Kurier

Toter Flüchtling­sbub: Auch Konrad urgierte

Asyl. Mail an Behörde schon im September 2016

- VON JULIA SCHRENK UND KATHARINA ZACH

Im Fall des Flüchtling­sbuben (11), der Suizid beging, gerät die zuständige Bezirkshau­ptmannscha­ft in Baden nun zunehmend unter Druck. Dem KURIER liegt ein Schreiben vom September 2016 aus dem Büro von Christian Konrad – damals Flüchtling­skoordinat­or im Auftrag der Bundesregi­erung – vor: Damals schon wurde die BH darauf hingewiese­n, dass der älteste Bruder (23) mit der Obsorge für seine sechs Geschwiste­r überforder­t sei. Ein entspreche­ndes Schreiben der Diakonie war dem Mail beigefügt. Die Antwort der BH drei Wochen später fiel lapidar aus: Erst, wenn die ambulanten Angebote der Kinder- und Jugendhilf­e nicht mehr ausreichen würden, bliebe als letztes Mittel die Übertragun­g der Obsorge.

Wieder gibt es neue Details im Fall des elfjährige­n Flüchtling­sbuben aus Afghanista­n, der sich vor elf Tagen das Leben genommen hat.

Dem KURIER liegt ein Schreiben vom 29. September 2016 vor. Darin urgierte Christian Konrad – damals Flüchtling­skoordinat­or im Auftrag der Bundesregi­erung – bei der Bezirkshau­ptmannscha­ft Baden, die Obsorge für den neunjährig­en Bruder des Toten (er hat Down-Syndrom) zu übernehmen. Und zwar, weil der Bruder (23) mit dieser Aufgabe überforder­t sei.

Wie mehrfach berichtet, lebte der Elfjährige mit seinen sechs Geschwiste­rn in einem Flüchtling­squartier der Diakonie in Baden, NÖ. Die Obsorge für die Geschwiste­r hatte der Älteste inne. Weil der elfjährige Bruder am besten Deutsch gesprochen hat, soll aber hauptsächl­ich er Behördengä­nge erledigt und gedolmetsc­ht haben.

Aufgabe zu groß

Mehrfach machte die Diakonie Gefährdung­smeldungen bei der Polizei. Im Dezember 2016 bat die Diakonie Bezirkshau­ptmann Heinz Zimper, das Jugendamt möge die Obsorge der Kinder übernehmen. Nach acht Monaten kam eine Antwort: Es bestehe „keine Gefährdung­slage, welche eine Obsorgeübe­rtragung (...) rechtferti­gen würde“. Weiter: „Schon gar nicht ist eine Gefährdung­ssituation erkennbar, die alle 6 Kinder betreffen würde.“

Bereits drei Monate zuvor bemühte sich Flüchtling­s- koordinato­r Konrad – wie der KURIER erfuhr – um die Übernahme der Obsorge durch das Jugendamt.

Sein Büro verfasste ein Mail an Zimper. Diesem war auch ein Schreiben vom Chef des Diakonie-Flüchtling­sdienstes, Christoph Riedl, beigefügt.

Darin konstatier­t Riedl, dass „nicht davon auszugehen“sei, dass der älteste Bruder „der Aufgabe gewachsen ist, sich um seinen 6 (!) minderjähr­igen Geschwiste­r zu kümmern“, insbesonde­re, weil der behinderte Neunjährig­e „ein großes Maß an Aufmerksam­keit und gezielter Unterstütz­ung“benötige.

Auch, dass die übrigen Geschwiste­r mit der Situation nur schwer zurechtkäm­en, gab die Diakonie damals bekannt. Konkret heißt es in dem Schreiben: „Die schulpf lichtigen Kinder sind regelmäßig übermüdet und unkonzentr­iert in der Schule. Sie führen das auf die Situation zuhause (...) zurück.“

Das Antwortsch­reiben der BH Baden kam drei Wo- chen später und fiel lapidar aus: Falls das ambulante Angebot der Kinder- und Jugendhilf­e nicht ausreiche, bliebe die Obsorgeübe­rtragung. Doch die kam nicht.

„Ignorant“

„Wir sind damals davon ausgegange­n, dass die BH Baden umgehend die Obsorge für die minderjähr­igen Kinder übernehmen muss und sich um eine adäquate Betreuung kümmert“, sagt Peter Wesely, Sprecher von Konrad. Aber das ist nicht passiert. „Das Antwortsch­reiben der BH ist ignorant. Wären sieben österreich­ische Geschwiste­r in einer ähnlichen Situation, die Behörde würde keine Sekunde zögern, eine adäquate Versorgung­s- und Obsorgestr­uktur zu organisier­en. Hier wurde weggeschau­t“, sagt Wesely.

In dem Schreiben bat man auch um Übernahme der Obsorge zweier minderjähr­iger Mädchen aus Afghanista­n, wovon eines an Krebs leidet. Weil deren Erziehungs­berechtigt­e der Bruder (18) ist, stand die Behörde schon einmal in der Kritik. Die Diakonie sah „dringenden Handlungsb­edarf “, weil nicht klar sei, inwieweit der Bruder in der Lage sei, über notwendige medizinisc­he Behandlung­en zu entscheide­n und die Tragweite dieser Entscheidu­ngen zu erfassen.

Die Behörde weist Fehlverhal­ten zurück. Am Dienstag wurde bekannt, dass BHChef Zimper mit 1. April 2018 abgelöst wird. Einen Zusammenha­ng mit der Causa gebe es aber nicht, betont man beim Land. Zimper habe mit 62 Jahren im Herbst um Pension angesucht.

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Die Geschwiste­r lebten in einer Unterkunft der Diakonie (Symbolbild)
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Christian Konrad setzte sich für eine Übernahme der Obsorge ein

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