Lebenslang für den Massenmord
Urteil. General Mladic zog in den 1990er-Jahren eine Spur der Verwüstung – und ist heute noch uneinsichtig
Begleitet von TV-Kameras hatte er den Zivilisten von Srebrenica – unter ihnen zahlreiche Flüchtlinge – im Juli 1995 mit ruhiger und Vertrauen vermittelnder Stimme freies Geleit zugesichert. Mit dem Zusatz: „Passt auf, dass ihr keine Kinder verliert.“Busse würden warten, so der damalige General Ratko Mladic. Frauen und Alte sollten zuerst die bosnische Stadt verlassen. „Danke“riefen darauf hin sichtlich verängstigte Männer in die Kamera.
Soldaten der Armee der „Republika Srpska“hatten Srebrenica gerade überrannt. Mladic beruhigte und gab TV-Interviews. Das war am 12. Juli. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Truppen Mladics an anderer Stelle in Srebrenica bereits damit begonnen, Männer von Frauen zu trennen. Am nächsten Tag begannen die Massenerschießungen. Mindestens 8000 Bosniaken starben. Die UNO hat dieses Verbrechen als Genozid eingestuft.
Am Mittwoch wurde Mladic wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag schuldig gesprochen. Das Strafmaß: Lebenslange Haft. Grundlegend für das Urteil sind die Verbrechen von Srebrenica sowie jene begangen bei der 1425 Tage dauernden Belagerung Sarajevos. Mladic hatte jeweils das Kommando.
Verharren in Opferrolle
Der 75-Jährige legte laut seinem Sohn Darko Mladic Berufung gegen das Urteil ein. Und der sagte zu dem Urteil: „Gerechtigkeit wurde durch Propaganda ersetzt.“
Der bosnische Serbenführer Milorad Dodik sagte trotztig: „Das Urteil wird nur den Standpunkt des serbischen Volkes bekräftigen, dass Ge- neral Mladic ein Held und Patriot ist.“Unter den Angehörigen der Opfer reißt das alte Wunden auf.
Der Politologe Vedran Dzihic von der Uni Wien ortet zwei Dimensionen des Urteils gegen Mladic. Die realpolitische und die der objektiven Aufarbeitung. Realpolitisch, so Dzihic, werde sich das Urteil nicht unmittelbar auswirken. Zu tief seien Narrative, die im Krieg geprägt wurden, in der politischen Kultur verankert. Nach wie vor würden politische Akteure auf dem Westbalkan vor allem auf ein Mittel setzen: die eigene Opferrolle bei zugleicher Abgrenzung von anderen entlang ethnischer Bruchlinien. Eine objektive Aufarbeitung der Verbrechen der 1990er-Jahre gebe es nicht, sei aber wesentlich. Nach dem aktuellen Urteil, so Dzihic, werde man nicht mehr so einfach behaupten können, Mladic sei ein Held.
Was bleibt sind grundlegende Probleme der Region, die sich vor allem in Bosnien akkumulieren, einem dreigeteilten Staat, der es auch 20 Jahre nach dem Krieg nicht schafft, auf eigenen Füßen zu stehen – trotz oder gerade ob internationalen Mandates. Bosniens jetziger Zustand, so Dzihic, sei das „Rezept zum Desaster“.
Die seit zehn Jahren anhaltende und nur langsam weichende Wirtschaftskrise tue ihr übriges dazu, dass politische Akteure wieder zunehmend die nationalistische Karte spielten – etwas, das für die gesamte Region gelte. Ebenso die Schwächung der EU bei zugleich verlangsamter EU-Erweiterungspolitik. Dieses Vakuum haben andere politische Mächte gefüllt. Erdoğan und Putin sind heute die beliebtesten Politiker in der Region des Westbalkan.
„Demokratische Scheinstabilität“nennt Dzihic den Zustand der Region. Ein Wechsel der politischen Eliten wäre vonnöten. Auch Entwicklungsperspektiven, wie sie etwa ein EU-Erweiterungsprozess bieten würde. Nicht zu vergessen sei hingegen die Dimension der Proteste und der Demokratisierung durch das Volk. Letztlich sei es aber eine Frage von Generationen.