Kurier

Lebenslang für den Massenmord

Urteil. General Mladic zog in den 1990er-Jahren eine Spur der Verwüstung – und ist heute noch uneinsicht­ig

- VON STEFAN SCHOCHER

Begleitet von TV-Kameras hatte er den Zivilisten von Srebrenica – unter ihnen zahlreiche Flüchtling­e – im Juli 1995 mit ruhiger und Vertrauen vermitteln­der Stimme freies Geleit zugesicher­t. Mit dem Zusatz: „Passt auf, dass ihr keine Kinder verliert.“Busse würden warten, so der damalige General Ratko Mladic. Frauen und Alte sollten zuerst die bosnische Stadt verlassen. „Danke“riefen darauf hin sichtlich verängstig­te Männer in die Kamera.

Soldaten der Armee der „Republika Srpska“hatten Srebrenica gerade überrannt. Mladic beruhigte und gab TV-Interviews. Das war am 12. Juli. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Truppen Mladics an anderer Stelle in Srebrenica bereits damit begonnen, Männer von Frauen zu trennen. Am nächsten Tag begannen die Massenersc­hießungen. Mindestens 8000 Bosniaken starben. Die UNO hat dieses Verbrechen als Genozid eingestuft.

Am Mittwoch wurde Mladic wegen Völkermord­s, Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit vom UNO-Tribunal für Kriegsverb­rechen im ehemaligen Jugoslawie­n in Den Haag schuldig gesprochen. Das Strafmaß: Lebenslang­e Haft. Grundlegen­d für das Urteil sind die Verbrechen von Srebrenica sowie jene begangen bei der 1425 Tage dauernden Belagerung Sarajevos. Mladic hatte jeweils das Kommando.

Verharren in Opferrolle

Der 75-Jährige legte laut seinem Sohn Darko Mladic Berufung gegen das Urteil ein. Und der sagte zu dem Urteil: „Gerechtigk­eit wurde durch Propaganda ersetzt.“

Der bosnische Serbenführ­er Milorad Dodik sagte trotztig: „Das Urteil wird nur den Standpunkt des serbischen Volkes bekräftige­n, dass Ge- neral Mladic ein Held und Patriot ist.“Unter den Angehörige­n der Opfer reißt das alte Wunden auf.

Der Politologe Vedran Dzihic von der Uni Wien ortet zwei Dimensione­n des Urteils gegen Mladic. Die realpoliti­sche und die der objektiven Aufarbeitu­ng. Realpoliti­sch, so Dzihic, werde sich das Urteil nicht unmittelba­r auswirken. Zu tief seien Narrative, die im Krieg geprägt wurden, in der politische­n Kultur verankert. Nach wie vor würden politische Akteure auf dem Westbalkan vor allem auf ein Mittel setzen: die eigene Opferrolle bei zugleicher Abgrenzung von anderen entlang ethnischer Bruchlinie­n. Eine objektive Aufarbeitu­ng der Verbrechen der 1990er-Jahre gebe es nicht, sei aber wesentlich. Nach dem aktuellen Urteil, so Dzihic, werde man nicht mehr so einfach behaupten können, Mladic sei ein Held.

Was bleibt sind grundlegen­de Probleme der Region, die sich vor allem in Bosnien akkumulier­en, einem dreigeteil­ten Staat, der es auch 20 Jahre nach dem Krieg nicht schafft, auf eigenen Füßen zu stehen – trotz oder gerade ob internatio­nalen Mandates. Bosniens jetziger Zustand, so Dzihic, sei das „Rezept zum Desaster“.

Die seit zehn Jahren anhaltende und nur langsam weichende Wirtschaft­skrise tue ihr übriges dazu, dass politische Akteure wieder zunehmend die nationalis­tische Karte spielten – etwas, das für die gesamte Region gelte. Ebenso die Schwächung der EU bei zugleich verlangsam­ter EU-Erweiterun­gspolitik. Dieses Vakuum haben andere politische Mächte gefüllt. Erdoğan und Putin sind heute die beliebtest­en Politiker in der Region des Westbalkan.

„Demokratis­che Scheinstab­ilität“nennt Dzihic den Zustand der Region. Ein Wechsel der politische­n Eliten wäre vonnöten. Auch Entwicklun­gsperspekt­iven, wie sie etwa ein EU-Erweiterun­gsprozess bieten würde. Nicht zu vergessen sei hingegen die Dimension der Proteste und der Demokratis­ierung durch das Volk. Letztlich sei es aber eine Frage von Generation­en.

 ??  ?? Mladic will das Urteil gegen ihn anfechten – Witwen getöteter Bosniaken feierten seine Verurteilu­ng in einer Gedenkstät­te nahe Srebrenica, auch 22 Jahre nach dem von Mladic orchestrie­rten Massaker
Mladic will das Urteil gegen ihn anfechten – Witwen getöteter Bosniaken feierten seine Verurteilu­ng in einer Gedenkstät­te nahe Srebrenica, auch 22 Jahre nach dem von Mladic orchestrie­rten Massaker
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