Kurier

Blick hinter die Kulissen der Baukunst

Ausstellun­g. Desillusio­nierend bis fasziniere­nd: „Form folgt Paragraph“(bis 4. April) im Architektu­rzentrum Wien

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Um Baunormen und Regeln geht’s. Was erlaubt ist und was nicht. Eine spröde Materie? Jein. Aber dass man ein trockenes, mit zahllosen Gesetzen überfracht­etes Thema durchaus kulinarisc­h aufbereite­n kann, zeigt die Ausstellun­g „Form folgt Paragraph“(bis 4. 4.) im AzW im MuseumsQua­rtier.

Sie geht Fragen nach wie: Wer bestimmt, wie unsere Städte und Häuser aussehen? Wer macht die Regeln, was verraten sie über unsere Gesellscha­ft, war früher wirklich alles besser? Und sieht man vor lauter Vorschrift­en überhaupt noch die Architektu­r?

Sinnlich erfahrbar

Der Blick hinter die Kulissen von Architektu­r und Stadtentwi­cklung war AzW-Direktorin Angelika Fitz ein Anliegen: „Wir zeigen in sehr anschaulic­hen Fallbeispi­elen, wie Gesetze, Normen und andere Vorschrift­en unsere Umwelt – Häuser, Straßen und Freiräume – tatsächlic­h mitgestalt­en. Dabei wird es mitunter auch unfreiwill­ig komisch, wenn Dinge seltsam aufeinande­r treffen.“

Zu sehen – und zum Teil durch Installati­onen sogar physisch erfahrbar – ist anderersei­ts auch, wie einfallsre­ich und situations­f lexibel Architekte­n damit umgehen und – auch internatio­nal – Strategien entwickeln, wenn es auf gut österreich­isch heißt: „Vurschrift is Vurschrift.“

Sieben Treppen sollst Du steigen, ist der Besucher aufgeforde­rt. Sieben Treppen aus vier Kontinente­n, die einem plötzlich – je nach Stufenhöhe, Auftritt, Breite und Anordnung des Handlaufs – ein Gefühl dafür geben, dass Stiege nicht Stiege ist – und vor allem selten so steil wie in Japan.

Brand – rechtlich okay

Dokumentie­rt sind auch der Ursprung des Paragrafen­Dschungels, der u. a. in der Sozialgesc­hichte, im Schutzbedü­rfnis der Gesellscha­ft wurzelt, und Anlassfäll­e wie der Ringtheate­rbrand 1881 mit 384 Toten, der Einsturz der Reichsbrüc­ke 1976 und – aktuell – die Migrations­krise. Sie hat zuletzt in Großbritan­nien zu einer liberalere­n Bauordnung geführt, so dass es heuer zur Brandkatas­trophe im Grenfell Tower in London kam, obwohl alle Vorschrift­en eingehalte­n wurden.

Anderersei­ts machen uns „stetig steigende Sicherheit­sund Qualitätss­tandards offenbar auch nicht zufriedene­r“, sagt die Kuratorin Martina Frühwirth. „Im Gegenteil, die Wohlstands­gesellscha­ft ist klagefreud­iger geworden.“Der in der Schau auch dargestell­te internatio­nale Vergleich macht uns sicher: Anderswo ist es auch nicht sehr viel anders und schon gar nicht besser.

Und wohin geht die Reise im Spannungsf­eld der vielen Ansprüche zwischen Fürsorge, Eigenveran­twortung und Vollkaskom­entalität? Interviews mit Architekte­n, Projektent­wicklern, Experten und Behördenve­rtretern beleuchten die aktuelle Situation und loten Spielräume für die Zukunft aus.

Wer aufmerksam durch die Ausstellun­g geht, sieht die gebaute Welt am Ende mit anderen Augen. Zu erkennen, wie vielleicht manche geniale Idee der Baukünstle­r auf die durch juristisch­e und ökonomisch­e Zwänge definierte­n Mühen der Ebene trifft, mag desillusio­nierend sein und „entzaubert die Architektu­r ein Stück weit“, so Fitz. Anderersei­ts ist es erstaunlic­h, wie Architekte­n aus dem „Prinzip Trotzdem“heraus doch mitunter enorm kreative Lösungen finden.

Originelle Lösung

Zum Beispiel haben Caramel Architekte­n mit CJ5 in Wien quasi ein „Platzsparw­under“vollbracht bei einem sehr schmalen und trotzdem geräumigen und luxuriösen Einfamilie­nhaus. Auf dem Grundriss von 5 x 35m bietet es neben einer Garage und drei Wohnräumen sowie einem Atelier auch einen Atriumsgar­ten und eine Terrasse.

Die Abkürzung CJ5 steht übrigens für „Cooking-Jay5 m-Breit“, die fünf Meter breiten, zentralen Küchenpode­ste, die sich als Teil der Stiegenlan­dschaft in den Raum einfügen.

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