Kurier

Kaum Wachstum: Briten halten die rote Laterne

Wirtschaft. Insel fällt sogar hinter Italien zurück – Arbeitslos­igkeit gering, Löhne steigen aber kaum

- H. SILEITSCH-PARZER

Einige Monate lang schien es, als pralle die Brexit-Entscheidu­ng an der britischen Wirtschaft einfach ab. Das Wachstum zog an; die Kauflaune der Menschen war ungebroche­n.

Inzwischen hat sich das Bild gewandelt. „Die Dinge werden unschön“, kommentier­te Iain Begg von der London School of Economics (LSE). Der Anlass: Das britische Wachstum – vor zwei Jahren das stärkste der großen Industrien­ationen – fällt sogar hinter den notorische­n Trödler Italien zurück. Die OECD erwartet für die Briten heuer 1,2 Prozent und 2019 nur noch 1,0 Prozent Plus. Das bedeutet EU-weit die rote Laterne – in einer Phase der weltweiten Hochkonjun­ktur.

Das spüren die britischen Bürger im Börsel. Das schwache Pfund hilft zwar den Exportfirm­en der Insel, die ihre Waren günstiger ins Ausland verkaufen. Die Briten müssen aber viele Alltagsgüt­er importiere­n – und das geht ins Geld. Die Inf lationsrat­e liegt beharrlich über drei Prozent.

Die Regierung bejubelt zwar die niedrigste Arbeitslos­igkeit seit 1975 (!). Die Löhne steigen aber so wenig, dass sich die Briten unterm Strich weniger leisten können.

Nicht minder verunsiche­rt sind die Unternehme­r. Obwohl die Brexit-Verhandlun­gen im Dezember in die zweite Phase übergewech­selt sind, bleibt ungewiss, wie es nach April 2019 weitergeht. Kein Firmenchef, der einiger- maßen bei Trost ist, nimmt da Geld für langfristi­ge Investitio­nen in die Hand.

Zum Schaden aller

Die Finanzbran­che hat ihre Notfallplä­ne schon aktiviert. Bürofläche­n in Dublin, Paris oder Frankfurt sind angemietet; Zulassunge­n in anderen EU-Ländern beantragt.

Zwar stirbt die Hoffnung auf einen günstigen BrexitDeal zuletzt, aber die Zeit dafür rennt ab. Dass Luxemburgs Premier Xavier Bettel – wegen der Betroffenh­eit der eigenen Finanzindu­strie – auf „pragmatisc­he Lösungen“pocht, hört Londons Finanzdist­rikt gerne. Doch EUVerhandl­er Michel Barnier bremste sofort Erwartunge­n, die Branche könne einen Sonderstat­us für den Marktzugan­g in der EU erhalten.

Sollten sich die Briten am Ende ohne Handelsdea­l verabschie­den („harter Brexit“), wären die Folgen gravierend, analysiert­e das Institut Oxford Economics am Dienstag (Gra

fik). Der britischen Wirtschaft kämen bis Ende 2020 insgesamt 140 Mrd. Euro Produktion­sleistung abhanden.

Wegen der eng verwobenen Lieferkett­en wäre der Schaden für die EU-27 ebenfalls größer als gedacht: Die Einbußen würden sich auf 112 Mrd. Euro addieren. Am meisten würden das Irland, Ungarn und Tschechien spüren. Der Schaden für Österreich fiele mit rund -0,3 Prozent des BIP noch relativ gering aus. –

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