Und plötzlich stand Hundertwasser nackt da
Vor 50 Jahren. Spektakulärer Auftritt des Malers
Ein halbes Jahrhundert ist seither vergangen, aber der Skandal ist vielen Wienern immer noch präsent. Man schrieb den 25. Jänner 1968, als sich die damalige Wiener Kulturstadträtin Gertrude Sandner in ein Studentenheim in der Gymnasiumstraße begab, um eine Ausstellung des 39-jährigen Malers Friedensreich Hundertwasser zu eröffnen.
So jedenfalls war es vorgesehen. Der Abend begann – wie in solchen Fällen üblich – mit einer Rede der Stadträtin zum Thema Kulturpolitik, nahm dann aber einen ganz anderen Verlauf als geplant. Denn statt nun das Podium zu betreten und über seine künstlerischen Ziele zu referieren, holte Hundertwasser nasse Farbe aus seiner Tasche und spritzte sie über die Gäste der vorderen Sitzreihen, darunter die Kulturstadträtin.
Splitternackt
Nicht genug damit, begann der Maler nun, sich seiner sämtlichen Kleider zu entledigen. Als er splitternackt da stand, rief er dem erstaunten Publikum zu: „Das Gebäude ist zum Kotzen und ihr Studenten müsst in diesem Gefängnis studieren.“
Danach zog sich Hundertwasser seelenruhig wieder an und sprach: „Damit ist die Ausstellung eröffnet!“
In den darauf folgenden Tagen entfachte der hüllenlose Künstler einen Sturm der Entrüstung, Hundertwasser wurde in Zeitungskommentaren als geistesgestört und/ oder kriminell bezeichnet. Es gab eine Diskussion darüber, ob er wegen des Paragrafen 468 (boshafte Sachbeschädigung, bedroht mit Arrest bis zu drei Mona-
ten) oder 516 (Erregung öffentlichen Ärgernisses, bis sechs Monate
strenger Arrest) zu belangen sei. Nichts von alldem geschah, aber Hundertwasser war über Nacht eine Berühmtheit.
Später erklärte der mittlerweile arrivierte Künstler, dass er damals „nur versucht hätte, meine Kritik an der zeitgenössischen Architektur wirksam auszudrücken“.
Das ist ihm jedenfalls mit nachhaltigem Erfolg gelungen: Die Stadt Wien lud ihn immer wieder ein, seine architektonischen Ideen an diversen Gebäuden umzusetzen. Seine berühmtesten Bauwerke sind das Hundertwasserhaus, das Kunsthaus Wien und das Fernheizwerk Spittelau.
Das Ziel erreicht
Hundertwasser hatte, ohne sich je wieder öffentlich entblättern zu müssen, sein Ziel erreicht.
Anzufügen wäre noch Gertrude Sandners Reaktion, als des Meisters Hüllen gefallen waren: Die Stadträtin stand ruhig auf, nahm ihre Handtasche und verließ die Veranstaltung. Bös war sie ihm nie, erinnerte sie sich Jahre danach: „Ich hatte eigentlich nur Angst um mein Kleid – wegen der Farbspritzer.“
Hundertwasser sollte als Maler noch Weltruhm erlangen, ehe er im Februar 2000 an Bord der „Queen Elizabeth 2“vor Australiens Küste starb.
Die SPÖ-Stadträtin Gertrude Sandner heiratete drei Jahre nach dem spektakulären Vorfall den ÖVP-Gemeinderat Josef Fröhlich. Sie starb im Juni 2008 in Wien.
georg.markus@kurier.at