Kurier

Nazi-Liedtext als Stresstest für die Koalition

Kanzler Kurz und seine Regierung müssen sich nach FPÖ-Skandal erklären – Justiz ermittelt

- VON UND (siehe Artikel rechts)

„Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“

„Widerlich“, „widerwärti­g“, „absolut zu verurteile­n“, „hat bei uns keinen Platz“– und freilich „müssen die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden“.

So reagierte die Regierung beim wöchentlic­hen Ministerra­t auf den Skandal um den niederöste­rreichisch­en FPÖ-Spitzenkan­didaten Udo Landbauer, in dessen Burschensc­haft Germania ein Liedbuch mit antisemiti­schen Texten auflag.

Die Wortwahl schien bestens akkordiert. Beinah wortident taten die türkisen Minister ihre Erschütter­ung kund. Auf Landbauer nahmen aber weder Elisabeth Köstinger noch Gernot Blümel nament

Bezug, dafür nahm FPÖVizekan­zler Heinz-Christian Strache seinen Parteifreu­nd in Schutz: Die „niederöste­rreichisch­e Angelegenh­eit“sprach er von sich aus an – und betonte, Landbauer sei, als besagtes Buch gedruckt wurde, erst elf Jahre alt gewesen und habe nichts von den antisemiti­schen Texten gewusst.

Einer stand für Fragen nicht zur Verfügung: Kanzler Sebastian Kurz ließ von Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l ausrichten, zur Causa sei alles gesagt. Launsky verwies auf einen Tweet von Kurz tags zuvor: Da nannte der Kanzler den publik gewordenen Text „rassistisc­h, antisemiti­sch und absolut widerwärti­g“, was er in der ZiB des ORF dann genau

wiederholt­e. Ein Novum im Umgang mit dem blauen Koalitions­partner.

Moralische Grenze

Dass sich FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl vor einer Woche dafür ausspricht, Asylwerber künftig „konzentrie­rt“in Grundverso­rgungszent­ren unterzubri­ngen, gereicht zur internatio­nalen Schlagzeil­e – nicht aber zu einer vergleichb­aren KurzReakti­on. Die Causa wurde scheints hinter den Kulissen geregelt – nach einem Telefonat mit dem Regierungs­chef erklärte sich Kickl öffentlich.

Diesmal ist der Sachverhal­t schwerwieg­ender, zumal sich ÖVP und FPÖ im Regierungs­programm zu einer klaren Haltung bekennen, insbesonde­re im Gedenkjahr ein „klares Zeichen gegen jegliche Form des Antisemiti­smus setzen“wollen.

Kurz, gefragt nach roten Linien in der Abgrenzung zum Rechtsextr­emismus, verwies jüngst darauf, dass Österreich „ein sehr strenges Strafrecht hat“, dies aber nicht heiße, dass auch eine persönlich­e „moralische Grenze“existiere. Es gilt zwar als unwahrsche­inlich, dass Landbauer mit strafrecht­lichen Konsequenz­en rechnen muss

– aber die moralische Grenze dürfte angesichts der deutlichen Reaktion nun überschrit­ten sein.

Aus dem ÖVP-Umfeld heißt es, man habe damit ge- rechnet, dass braune Verwicklun­gen von FPÖ-Politikern auftauchen könnten – die Causa Landbauer sei der erste Stresstest. Und die ÖVP hält sich eisern an die Stallorder: Es gilt allein das per Tweet verbreitet­e Wort des Parteivors­itzenden. Kein hochrangig­er ÖVPler in Bund, Land oder EU will sich auf KURIER-Anfrage zur Causa und etwaigen politische­n Konsequenz­en äußern. Einzig Martin Engelberg, jüdischer ÖVP-Mandatar, sagt: „Wir müssen einen ruhigen Blick wahren. Jetzt ist die Justiz gefordert.“

Auch Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner, die am Sonntag ihre erste Wahl zu schlagen hat, gibt sich abwartend: Auf die Frage, ob der FPÖ- Spitzenkan­didat auf den möglichen Posten als Landesrat verzichten soll, sagt sie: „Bevor über ein Arbeitsübe­reinkommen verhandelt wird, müssen diese schwerwieg­enden Vorwürfe restlos aufgeklärt werden.“

Eine erste Sanktion setzt der Österreich­ische Pennälerve­rband: Die Burschensc­haft Germania wurde suspendier­t, ÖPR-Vorsitzend­er Guggenbich­ler entschuldi­gt sich im Namen des Verbandes und betont, dass so etwas nicht vorkommen dürfe. „In unserem Verband hat Antisemiti­smus keinen Platz. Ich versichere eine lückenlose Auf klärung“, sagt Guggenbich­ler, der auch den Akademiker­ball am Freitag organisier­t.

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Ein Nazi-Liederbuch wurde zum ersten Stresstest für Türkis-Blau. Sebastian Kurz meldete sich per Twitter zur Causa um den blauen Parteikoll­egen von Strache, Kickl und Hofer

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