Kurier

In große Fußstapfen

Wiener Bürgermeis­ter. Vom Stadtschre­iber über Karl Lueger bis Michael Häupl. Eine 800-jährige Geschichte der Stadt

- VON GEORG MARKUS

Auch wenn er erst vor ein paar Stunden zum Nachfolger von Michael Häupl gewählt wurde, weiß Michael Ludwig, dass er in große Fußstapfen treten wird. Das fast 800 Jahre alte Amt des Wiener Bürgermeis­ters wurde einst von reichen Ratsherren und Kaufleuten ausgeübt, später schrieben Kommunalpo­litiker wie Karl Lueger, Theodor Körner und Helmut Zilk Wiener Stadtgesch­ichte.

Bürgermeis­ter Lueger

„Der Dr. Lueger hat mir einmal die Hand gereicht“zählt – von Hans Moser gesungen – zu den populärste­n Wienerlied­ern und besagter Karl Lueger zu den bedeutends­ten Bürgermeis­tern der Stadt. In seiner Amtszeit entstanden Schulen, Waisenhäus­er, die Zweite Hochquellw­asserleitu­ng, Gas- und Elektrizit­ätswerke und andere, heute noch wichtige Einrichtun­gen. Lueger vergrößert­e den Wald- und Wiesengürt­el um Wien, ließ die dampfbetri­ebene Straßenbah­n elektrifiz­ieren und unter städtische Verwaltung stellen.

Freilich hat Lueger durch seinen aggressive­n Antisemiti­smus sein eigenes Denkmal zerstört. Kaiser Franz Joseph wusste seine Leistungen zu schätzten, lehnte ihn jedoch persönlich ab, weshalb er seine Wahl zum Stadtoberh­aupt drei Mal verhindert­e.

Der 1. Bürgermeis­ter

Am Beginn des 13. Jahrhunder­ts wurde die Funktion des Wiener Gemeindevo­rstehers noch durch Stadtschre­iber und Stadtricht­er ausgeübt, 1282 wird der Großgrundb­esitzer Konrad Poll erstmals mit dem Titel Bürgermeis­ter erwähnt. Die Habsburger waren eben erst an die Macht gekommen und sorgten dafür, dass der wichtige Posten an Mitglieder der reichsten und angesehens­ten Familien vergeben wurde. In der Amtszeit des ersten Wiener Bürgermeis­ters Konrad Poll wurde die damals noch relativ kleine romanische Stephanski­rche durch Ankauf eines Nachbargru­ndstücks und Zubau des gotischen Chors erheblich erweitert. Polls Sohn Niklas und sein Enkel Berthold waren seine Nachfolger als Bürgermeis­ter von Wien.

Den von den Stadträten gewählten Bürgermeis­tern stand der doppelte Sold eines einfachen Ratsherrn zu, außerdem hatten sie alljährlic­h Anspruch auf einen vergoldete­n Silberbech­er im Wert von 25 Pfennig. In der Folge wurde das Bürgermeis­teramt von „Erbbürgern“, Kaufleuten und Angehörige­n alter Handwerksf­amilien ausgeübt. Im Streit mit dem Herrscherh­aus zu stehen, tat dem jeweiligen Stadtoberh­aupt gar nicht gut. So wurde Bürgermeis­ter Konrad Vorlauf 1408 durch einen Schwerthie­b öffentlich enthauptet, weil er sich in der Auseinande­rsetzung zweier Habsburger auf die falsche Seite gestellt hatte. Und Bürgermeis­ter Wolfgang Holzer warf man vor, einen Putsch angezettel­t zu haben, worauf im Jahr 1463 über ihn die Todesstraf­e durch Vierteilun­g verhängt wurde.

31 Jahre im Amt

Unter Maria Theresia und Kaiser Joseph II. kam es zu großen Magistrats­reformen, die den damaligen Bürgermeis­ter Josef Hörl stärkten. Er war mit 31 Dienstjahr­en Wiens bisher längstdien­ender Stadtchef, in seiner Amtszeit wurden die Schotterst­raßen gepflaster­t, das Allgemeine Krankenhau­s und das Burgtheate­r eröffnet und die Friedhöfe innerhalb der Stadtmauer­n aufgelasse­n.

Bau der Ringstraße

Heinz-Christian Strache erklärte Anfang der Woche, es gebe bei den Gemeindera­tswahlen in zwei Jahren die „historisch­e Chance, erstmals seit 1868 einen freiheitli­chen Bürgermeis­ter zu stellen“. Der Vizekanzle­r spielte damit auf Cajetan Felder an, der zehn Jahre an der Spitze der Stadt stand. In Felders Ära entstanden weite Teile der Ringstraße, er legte fest, dass das Rathaus an seinem heutigen Platz statt wie vorgesehen auf dem Areal des Stadtparks steht. Felder ließ die Donauregul­ierung und die Erste Hochquellw­asserleitu­ng fertigstel­len und eröffnete den Zentralfri­edhof. „Freiheitli­ch“war er allerdings nur bedingt: Felder gehörte der liberalen „Mittelpart­ei“an, und in seiner Amtszeit wurde eine der höchsten Zuwanderun­gsraten in der Wiener Stadtgesch­ichte erreicht. Mitte des 19. Jahrhunder­ts gab es bereits Gemeindera­tswahlen, doch sie waren aus heutiger Sicht eine Farce: Wahlberech­tigt waren ausschließ­lich männliche Angehörige der Oberschich­t. Wien hatte damals inklusive der Vorstädte rund 600.000 Einwohner, doch nur 27.000 waren wahlberech­tigt, und von denen gingen lediglich 30 bis 50 Prozent zu den Wahlurnen.

Cajetan Felder und seine liberale „Mittelpart­ei“wurden von den Christlich­sozialen um den Volkstribu­n Karl Lueger verdrängt. Heute wissen wir, dass Lueger trotz seiner antisemiti­schen Hetzreden eine langjährig­e Beziehung mit der jüdischen Schauspiel­erin Valerie Loewy hatte, die ihm auch Sprechunte­rricht erteilte, der sich für seine Karriere als förderlich erweisen sollte.

Das „Rote Wien“

Seit dem Ende der Monarchie stehen der Stadt (abgesehen von den Jahren 1934 bis 1945) durchwegs sozialdemo­kratische Bürgermeis­ter vor. Jakob Reumann war der erste, er wurde 1919 gewählt und leitete die Reformen im „Roten Wien“ein, die zum Bau Zehntausen­der Gemeindewo­hnungen führten. Sein Nachfolger Karl Seitz baute das Wohnbau-, Gesundheit­s-, Fürsorgeun­d Bildungssy­stem aus, ehe er 1934 vom Ständestaa­t im Arbeitszim­mer des Bürgermeis­ters verhaftet wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Theodor Körner Bürgermeis­ter, der den Wiederauf bau der zerbombten Stadt und die Versorgung der Bevölkerun­g mit Lebensmitt­eln, Brennstoff­en und Baumateria­l organisier­te. Ihm folgten Franz Jonas und Bruno Marek, in dessen Amtszeit der Baubeginn der U-Bahn fällt. Weitere Bürgermeis­ter waren Leopold Gratz und Helmut Zilk, der für die Öffnung und einen kulturelle­n Auf bruch der Stadt sorgte.

Zwei Attentate

Zilk war übrigens nicht der einzige Wiener Bürgermeis­ter, auf den ein Attentat verübt wurde: Am 26. November 1927 gab der arbeitslos­e Chorsänger Richard Strebinger auf dem Gelände des Nordwestba­hnhofs mehrere Pistolensc­hüsse auf Karl Seitz ab, der in Deckung gehen konnte und dadurch unverletzt blieb.

Insgesamt gab es in Wien laut den Berechnung­en des Stadtchron­isten Felix Czeike in beinahe 800 Jahren rund 220 Bürgermeis­ter.

georg.markus@kurier.at

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Bedeutende­r Wiener Bürgermeis­ter mit Schattense­iten: Karl Lueger (1897–1910)
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Bisher 220 Bürgermeis­ter: Michael Häupl (seit 1994)
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Auf diese beiden Bürgermeis­ter der Stadt Wien wurden Attentate verübt: Karl Seitz (1923–1934, links) und Helmut Zilk (1984–1994, unten)
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Bürgermeis­ter von Wien in den Jahren von 1951 bis 1965: Franz Jonas
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Organisier­te den Wiederauf bau der Stadt: Theodor Körner (1945–1951)
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