Kurier

Bruno Mars wurde zum großen Grammysieg­er, die Gala selbst aber zur Retro-Veranstalt­ung.

Grammys. Wie auch andere große Auszeichnu­ngen verschlafe­n die Musikpreis­e die Gegenwart

- AP / MATT SAYLES

Der Sieger in der Kategorie „Beste Rock-Performanc­e“ist seit eineinhalb Jahren tot; sein schärfster Konkurrent seit Mai 2017.

Ja, Leonard Cohen war ein ausgezeich­neter, ein legendärer Musiker (genauso wie der ebenfalls nominierte Chris Cornell). Aber die Auszeichnu­ng für einen bereits im Vorvorjahr Gestorbene­n in einer derart prominente­n Kategorie sagt mehr über die Grammys aus, als denen lieb sein kann.

Diese Musikpreis­e sind die gewichtigs­ten der Welt. Nun haben sie selbst dafür gesorgt, dass diese Relevanz einen ordentlich­en Dämpfer bekommt. Denn vorgestrig­er kann eine Auszeichnu­ng eigentlich nicht vergeben werden: Man ließ den zuvor viel nominierte­n Hip-Hop, die inzwischen auch kommerziel­l wichtigste Populärmus­ik, in keine der allgemeine­n Kategorien vordringen.

Kendrick Lamar erhielt zwar alle Preise der Hip-HopKategor­ie, aber sonst außer dem inzwischen irrelevant­en Musikvideo-Preis keinen. Jay Z, längst US-amerikanis­cher Doyen des HipHop, ging nach acht Nominierun­gen gänzlich leer aus.

Um das nur ja zu erreichen, wurde ein aalglattes Entertaine­r-Album zum wichtigste­n des Vorjahres hochstilis­iert: Bruno Mars erhielt für „24K Magic“gleich sechs Auszeichnu­ngen. Dass das Siegeralbu­m – im Gegensatz zu Lamars grandiosem „DAMN“– „für die Entwicklun­g der Pop-Musik ohne jeden Belang ist, scheint da nicht so wichtig“, schrieb der KURIER bereits 1999 über den damaligen GrammyGewi­nner Eric Clapton.

Frauen? Welche Frauen?

Zurück zum Heute, obwohl die Grammy-Verleihung Zweifel aufkommen ließ, dass die Fragen und Debatten der Gegenwart dort angekommen sind. Grammys in Hauptkateg­orien an Frauen etwa muss man mit der Lupe suchen: In der Kategorie „Beste Pop-Performanc­e“waren vier Frauen und ein Mann nominiert. Wer will raten, wer gewonnen hat?

Und gesellscha­ftliche Relevanz wurde gleich ganz abgewählt, obwohl ja derzeit eine große Debatte schwelt, die man hätte würdigen können. „,#Time’s Up!‘, nuschelte Lady Gaga in den Übergang zwischen zwei Liedern“, konstatier­te die dpa trocken. Weiße Rosen am Kleid und eine Performanc­e von Kesha, und schon war das gerade für das Musikbusin­ess – wo die große #MeToo-Debatte noch aussteht – potenziell schmerzhaf­te Thema abgehakt.

Zu derartiger Mutlosigke­it passen die Preise an Mars perfekt – und die Schmähung des Rap: Jene Musik, in der noch Zorn und gesellscha­ftspolitis­che Anliegen wohnen, wurde, sorry, im Ghetto gelassen.

Bei Bruno Mars hingegen muss sich auch der Trump wählende weiße Mann aus dem mittleren Westen nicht fürchten.

(A propos: Es gab eine nette Strecke mit Hillary Clinton, die aus einem gegen den US-Präsidente­n gerichtete­n Aufdeckerb­uch vorlas.)

Scheuklapp­en

Es geht den Grammys wie vielen anderen Preisen: Man hat sich auf ein Koordinate­nsystem eingepende­lt, das sich aber zuletzt aufgelöst hat, und man ist zu groß und zu träge für Reformen.

Wahlberech­tigt ist oftmals, auch hier, eine Akademie, beim Grammy mit Vertretern aus dem Musikbusin­ess. Deren Blick ist bis an die Grenze zum Inzestiöse­n durch Scheuklapp­en eingeengt: Man verwaltet jenes Erbe, das die weiße Rockrevolu­tion hinterlass­en hat.

Und setzt so zwanghaft einen Mainstream irgendwo zwischen Rock, Pop und Gedudel fort, den es im Streamingz­eitalter zum Glück nicht mehr gibt, sondern der auch vom Formatradi­o – siehe Ö3 – nur mehr un- ter größten Mühen konstruier­t werden kann. Dass im Musikberei­ch aber Wesentlich­es passiert ist, zu dieser Erkenntnis können sich die Gremien nicht mehr aufraffen. Ähnliches passiert beim Oscar: Dort geht seit Jahren brutal eine Schere auf zwischen den Filmen, die das Publikum sehen will, und denen, die ausgezeich­net werden. Die Oscars beharren auf Schauspiel­er-, Historien- und Emotionski­no, während das Publikum Superhelde­n, Fantasy und Science Fiction schaut. Und die ausgezeich­neten Filme mit einem Schulterzu­cken abtut.

Auch im Musikbusin­ess weiß man, dank StreamingD­aten: Hip-Hop ist das meistgehör­te und lukrativst­e Business. Doch die Akademie zeichnet weiter jene aus, die Musik für einen Markt wie vor 25 Jahren machen. Also: Bruno Mars, sechs Grammys. Das beste regionale mexikanisc­he Album gewann übrigens Aida Cuevas. Und wer einen Österreich-Bezug sucht: Die vom heimischen Dirigenten Manfred Honeck geleitet Pittsburgh Symphony gewann gleich zwei Grammys.

 ??  ??
 ??  ?? Der große Gewinner der Hip-Hop-Kategorien: Kendrick Lamar gewann alle Rap-Grammys
Der große Gewinner der Hip-Hop-Kategorien: Kendrick Lamar gewann alle Rap-Grammys
 ??  ?? Der große Gewinner der allgemeine­n Kategorien: Bruno Mars erhielt sechs Grammys
Der große Gewinner der allgemeine­n Kategorien: Bruno Mars erhielt sechs Grammys

Newspapers in German

Newspapers from Austria