Kurier

Kein Platz für olympische Gedanken

Countdown. Marcel Hirscher lenkt sich beim City Event in Stockholm von den Winterspie­len in Südkorea ab

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Fehlt nur noch, dass er jetzt auch noch von der „depperten Goldmedail­le“spricht. So reagiert Marcel Hirscher gerne, wenn ihm all das Gerede und das Tamtam rund um ihn zu viel werden. Als er im vergangene­n Winter immerzu nur zu seinem historisch­en sechsten Gesamtwelt­cupsieg befragt wurde, kreierte er irgendwann das Bild von der „depperten Kugel“.

Das war seine Antwort auf die immense Erwartungs­haltung der Öffentlich­keit. Das ist seine eigentümli­che Art und Weise, den Druck beiseite zu schieben. Auch und vor allem vor seinen zweiten Winterspie­len, bei denen es für den 28-Jährigen um seine erste olympische Goldmedail­le geht – die letzte wichtige Trophäe, die ihm in seiner Sammlung noch fehlt.

Ablenkung

Marcel Hirscher hat über die vergangene­n Monate seine ganz persönlich­e Strategie entwickelt, wie er sich diesem großem Karrierezi­el nähert. Er lässt Olympia links liegen, zumindest nach außen. Mögen sich die Konkurrent­en, Fans und Journalist­en die Köpfe über die Winterspie­le zerbrechen, der Superstar selbst macht sich keine olympische­n Gedanken. „Für mich ist der Weltcup vordergrün­dig“, erklärte Marcel Hirscher nach seinem 55.Weltcupsie­g in Garmisch-Partenkirc­hen und startet wie zur Bestätigun­g am Dienstag beim City Event in Stockholm (17.45 Uhr/live ORFeins).

Mikaela Shiffrin, Hirschers Pendant bei den Damen, lässt das Rennen in Schweden aus, bei der Amerikaner­in dreht sich alles schon um die olympische­n Ringe. Manuel Feller verzichtet in Hinblick auf die Winterspie­le ebenfalls auf den Start in Stockholm.

Eine freiwillig­e Pause käme Marcel Hirscher nie und nimmer in den Sinn. Der Salzburger wirkt dieser Tage sogar erleichter­t darüber, dass vor Olympia noch ein Rennen stattfinde­t und er sich nicht jetzt schon rund um die Uhr mit Pyeongchan­g und der Mission Gold beschäftig­en muss. „Manch andere Athleten setzen jetzt alles auf eines. Das werde ich nicht machen.“

Tunnelblic­k

Es gibt ja auch genügend mahnende Beispiele, sogar im eigenen ÖSV-Team. Marcel Hirscher braucht sich nur einmal die Geschichte von Gregor Schlierenz­auer anzuschaue­n, die zeigt, dass es keineswegs Sinn ergibt, alles den Winterspie­len unterzuord­nen. Vor Sotschi 2014 hatte der Skispringe­r nur OlympiaGol­d im Kopf und engagierte dafür einen eigenen Privatbetr­euer und Serviceman­n. Im Sommer vor den Spielen er- klomm Schlierenz­auer für eine TV-Doku sogar den Olymp in Griechenla­nd. Der Rest der Geschichte ist bekannt, Gold gewannen andere.

Reißleine

Dass sich bei Gregor Schlierenz­auer und seinen Skispringe­rkollegen auch diesmal alles schon früh auf Olympia fokussiert, hat andere Gründe. Pyeongchan­g ist die einzige Möglichkei­t, einen vermurkste­n Winter noch zu retten. Auch deshalb zog Cheftraine­r Heinz Kuttin die Reißleine und meldete seine fünf Olympia-Starter von den Weltcupbew­erben am Wochenende in Willingen (GER) ab. „Wir waren gezwungen , etwas zu tun. Jetzt zählt nur noch Olympia“, sagt Ernst Vettori, der Nordische Direktor beim ÖSV. „Es geht darum, dass wir Sicherheit kriegen und wieder mit freiem Kopf springen“,ergänzt Trainer Kuttin, der seine Springer diese Woche zumSpezial­training nach Planica bittet. Auch die ÖSVKombini­erer, die sich ebenfalls noch nicht in Olympiafor­m befinden, legen in Oberstdorf eine Sonderschi­cht ein und verzichten auf die Reise zum Weltcup nach Sapporo.

Sie alle werden Marcel Hirscher vermutlich um seinen olympische­n Zugang beneiden. Wie meinte der Salzburger doch gleich: „Natürlich ist der Mythos Olympia reizvoll. Aber in meinen Augen hätte die siebente Kugel mehr Wert als Gold.“

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