Kurier

„Geben die Hoffnung nicht auf“

Der Botschafte­r in Wien, Olexander Scherba, über Österreich, die Krim und den Krieg in seiner Heimat

- Westukrain­e).

Kommende Woche kommt der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o zu einem Arbeitsbes­uch nach Wien. Geplant sind Gespräche mit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Am Abend wird Poroschenk­o mit Van der Bellen den Opernball besuchen. Die Liste bilaterale­r Themen ist lang. Der KURIER sprach vorab mit dem Botschafte­r der Ukraine, Olexander Scherba. KURIER: Österreich hat ja in Teilen der Ukraine eine lange Geschichte, wirkt die denn heute noch nach? Olexander Scherba: Das war eine Entdeckung für mich, wie positiv Österreich vor allem in der Westukrain­e gesehen wird. Da wird vom „Großmütter­chen Österreich“gesprochen. Das bedeutet schon viel. Das bedeutet menschlich­e Wärme. Ich komme aus der Zentralukr­aine, wo es historisch weniger Anknüpfung­spunkte gibt. Allerdings: Auch hier sieht man Österreich eher positiv. Nun hat Österreich eine neue Regierung samt Außenminis­terin mit FPÖ-Ticket. Befürchten Sie, dass sich Österreich­s Politik gegenüber der Ukraine ändern könnte?

Ich glaube, es wurde sehr klargemach­t, dass Österreich auf EU-Linie bleibt – was die Ukraine angeht, was Russland angeht. Zweitens gab es einen sehr vielverspr­echenden Anfang im Verhältnis zu Außenminis­terin Kneissl – ein Telefonat mit Außenminis­ter Pawlo Klimkin. Es gibt also Gründe, optimistis­ch in die Zukunft zu schauen. Dennoch erhält man den Eindruck, dass die Stimmen innerhalb der EU, die nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland rufen, lauter werden. Ist die Einheit der EU in dieser Frage aus Ihrer Sicht in Gefahr?

Weil die Sanktionen schmerzhaf­t sind, werden sie in Frage gestellt. Aber der Grundgedan­ke hinter diesen Maßnahmen ist klar: Wenn jemand so eklatant gegen Völkerrech­t verstößt, kann das nicht ohne Konsequenz­en bleiben. Die große Frage ist: Wie geht man mit einem interessan­ten Wirtschaft­spartner um, dessen Hände blutig sind und dem das Völkerrech­t und jegliche Regeln wurscht sind? Man ist hin- und hergerisse­n zwischen Prinzipien und dem Wunsch, Verluste zu meiden oder Profite zu machen. Es muss klar sein: Prinzipien in den Wind zu werfen, wäre falsch.

Das wichtigste diplomatis­che Werkzeug in diesem Konflikt ist die Minsk-Gruppe. Würden Sie sagen, dass das Setting dieser Gruppe realistisc­h gesehen eine Lösung zustandebr­ingen kann?

Minsk ist das einzige Instrument, um den Frieden zu bringen. Solange es kein anderes gibt, müssen wir uns an Minsk (Abkommen zur Beilegung

des Ostukraine-Konflikts) halten. Und ich glaube nicht, dass die Möglichkei­ten, die dieser Mechanismu­s beinhaltet, erschöpft sind. Anderersei­ts gibt es hier einen klaren Geburtsdef­ekt: Dass Russland nicht deutlich als Konfliktpa­rtei dasteht. Dabei ist Russland nicht nur Kriegspart­ei, sondern der Aggressor. Ohne diese Erkenntnis wird das ganze Setting etwas wackelig. Jetzt hat sich Russland Ende 2017 aus der bilaterale­n militä- rischen Beobachter­gruppe zurückgezo­gen, in der Ostukraine eskaliert die Lage. Droht diesem wackeligen Setting, wie Sie es ausdrücken, der Kollaps?

Im Laufe der letzten Wochen hatten wir eher eine positive Entwicklun­g, die im Rahmen des Minsker Prozesses erreicht wurde. Nämlich den Gefangenen­austausch zu Weihnachte­n. Man kann einerseits natürlich die militärisc­he Eskalation sehen und das Anhalten der Kämpfe. Aber der Austausch war von riesiger Bedeutung. Der Gefangenen­austausch zwischen der Ukraine und den Milizen in der Ostukraine ist eine Sache, der Austausch von Gefangenen zwischen der Ukraine und Russland, wo ja viele Ukrainer einsitzen, ist eine andere. Sehen Sie auch da Fortschrit­te?

Nur zur Klarheit: Es war kein Austausch mit „Milizen“, sondern mit Russland, das in den besetzten Gebieten das 100-prozentige Sagen hat. Dass Russland unserem Wunsch nach einem Austausch entgegenka­m, dürfte bedeuten, dass es doch posi- tive Bewegung gibt. Obwohl es auch Dinge gibt, die Sorgen bereiten. Etwa die Verurteilu­ng des Landwirtes Wolodymyr Balukh zu 3,5 Jahren Haft auf der besetzten Krim. Seine einzige Tat war es, die ukrainisch­e Fahne an seinem Haus zu hissen. Das heißt, es gibt aber eine gewisse Gesprächsb­asis zwischen Kiew und Moskau?

Ja. Und es gibt immer wieder Andeutunge­n und die Hoffnung, dass die Leute, die in Russland gefangen gehalten werden, frei kommen. Einschließ­lich des prominente­sten Falls, des Filmemache­r Oleg Sentsow, der zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Für nichts. Wenn er freigelass­en werden sollte, würde das für die Ukraine sehr viel bedeuten. Wir geben die Hoffnung nicht auf. Wenn man aber die Reden betrachtet, die etwa beim OSZEMinist­errat im Dezember in Wien gehalten wurden – also speziell die von Russlands Außenminis­ter Lawrow, USAußenmin­ister Tillerson und dem ukrainisch­en Außenminis­ter Klimkin – hat man keines- falls den Eindruck erhalten, da gebe es auch nur einen winzigen Raum für Gespräche oder einen Kompromiss.

Kürzlich gab es ein Telefonges­präch zwischen Lawrow und Klimkin. Das bedeutet, dass es Hoffnung gibt. 2017 ist vor allem ein Punkt vermehrt in den Mittelpunk­t gerückt: Eine UN-Truppe für die Ostukraine. In welchem Rahmen könnte das funktionie­ren?

Für uns ist klar, die Mission muss her. Das ist die einzige Möglichkei­t, Frieden zu schaffen. Aber eine UN-Mission darf nicht dazu dienen, den Konflikt einzufrier­en, sondern sie muss dazu dienen, die Souveränit­ät der Ukraine und unsere Kontrolle über die Grenze wieder herzustell­en. 2017 war auch das Jahr, in dem für Ukrainer die Visa-Pflicht für die EU fiel. Welche Bedeutung hat dieser Schritt denn?

Psychologi­sch ist das ganz wichtig. Das Warten vor Botschafte­n, haufenweis­e Papiere, Ungewisshe­it, ob man das Visum bekommt – es war demütigend. Allein die Tatsache, dass man heute mit einem ukrainisch­en Pass nach Österreich als Tourist kommen kann, bedeutet viel. Ein anderer zentraler Punkt in der Annäherung ist das Assoziieru­ngsabkomme­n – wie wirkt sich das aus nach fast genau zwei Jahren?

Mit den meisten EU-Ländern hatten wir 2017 ein deutliches Plus im Handel. Mit Österreich war dieses Plus besonders groß. Die RBI ist eine der größten ausländisc­hen Banken in der Ukraine. Die Wiener Städtische und Uniqa sind die größten Versichere­r. Unsere Exporte nach Österreich wachsen, vor allem Eisenpelle­ts für die Stahlerzeu­gung der Voest Alpine. Dank der durchgefüh­rten Reformen boomt es auch in anderen, manchmal unerwartet­en Bereichen. Zum Beispiel war die Ukraine 2017 der größte Ski-Exporteur nach Europa – dank der „Fischer Sports“Investitio­n in Mukatschew­o ( Oder: Dank der österreich­ischen Investoren „Eurogold“ist die Ukraine der europäisch­e Führer in der Erzeugung von Bügel- und Windsurf brettern. Also es bewegt sich viel, und es ist nur der Anfang.

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Der ukrainisch­e Präsident Poroschenk­o beim Empfang freigekomm­ener Kämpfer im Dezember 2017. Kommende Woche besucht er Wien
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Scherba: „Prinzipien in den Wind zu werfen, wäre falsch“

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