Kurier

Jeder Vierte hat Dauerschme­rzen

Wer gut informiert ist, kommt damit deutlich besser zurecht. Defizite in der Patientenv­ersorgung

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND MANUELA EBER (GRAFIK)

Ein bis eineinhalb Stunden dauern bei chronische­n Schmerzpat­ienten Erstgesprä­ch und Erstunters­uchung: „Viele Patienten sagen mir nachher, dass es ihnen jetzt – alleine durch Zuhören und das Gefühl des Angenommen­seins – besser geht“, erzählt die Schmerzspe­zialistin Gabriele Grögl-Aringer. Die Anästhesis­tin ist Präsidenti­n der Österr. Schmerzges­ellschaft und leitet das Schmerztea­m in der Wiener Rudolfstif­tung. Doch im niedergela­ssenen Bereich werden solche zeitaufwen­digen Untersuchu­ngen nicht ausreichen­d honoriert: „Und in den Spitälern gibt es zu wenige Schmerzamb­ulanzen.“

Dabei ist der Bedarf für Schmerzthe­rapie enorm: Fast jeder vierte Österreich­er leidet laut einer Studie des Zentrums für Public Health der MedUni Wien unter chronische­m Schmerz – der Rücken ist der häufigste Schmerzaus­löser (siehe

Grafik). Zumindest jeder Fünfte ist innerhalb eines Jahres von Rückenschm­erzen betroffen – bei rund zwei Drittel davon sind diese Schmerzen chronisch, dauern also über das eine Jahr hinaus an. Insgesamt haben knapp 40 Prozent der Bevölkerun­g innerhalb eines Jahres zumindest einmal stärkere Schmerzen. Intensität sinkt Eine weitere Studie des Zentrums (beide erschienen im Fachmagazi­n Wiener klinische

Wochenschr­ift) zeigt jetzt, welchen Effekt eine umfassende Betreuung und gute Informatio­n haben: „Menschen mit einer höheren Gesundheit­skompetenz – einem guten Wissen, einer guten sozialen Einbindung – haben eine doppelt so hohe Wahrschein­lichkeit, dass sie die Intensität ihres Schmerzes als geringer empfinden und mit dem Schmerz besser umgehen können“, sagt Studienlei­ter Thomas Dorner. „Chroni- scher Schmerz ist komplex und umfasst biologisch­e, psychologi­sche und soziale Aspekte. Es ist wichtig, Menschen mit ihren Schmerzen ernst zu nehmen, auch wenn keine klare biologisch­e Ursache gefunden werden kann. Sie müssen gleichbere­chtigt in TherapieEn­tscheidung­en eingebunde­n werden.“

Dorner betont, dass es genauso falsch ist einem chronische­n Schmerzpat­ienten zu sagen, ,Ihr Schmerz ist nur psychisch bedingt‘: „Es sind immer viele Faktoren.“

Eine Odyssee

Die Realität ist aber oft eine andere: „Schmerzpat­ienten müssen im Schnitt eine eineinhalb- bis zweijährig­e Odyssee in Kauf nehmen, bis sie eine aussagekrä­ftige Diagnose haben“, sagt Grögl-Aringer. „In den vergangene­n Jahren sind österreich­weit rund zehn Schmerzamb­ulanzen geschlosse­n worden.“Dort sollte es als Basis immer ein schmerz- und physiother­apeutische sowie eine psychologi­sche Versorgung geben – „aber dafür ist in den meisten Fällen nicht das notwendige Personal vorhanden“.

„Komplette Schmerzfre­iheit ist oft nicht realistisc­h“, sagt Dorner. „Aber die zwei wichtigste­n Faktoren, die stark die gesundheit­liche Zufriedenh­eit beim chronische­n Rückenschm­erz bestimmen, sind die Verbesseru­ng bzw. Wiederhers­tellung der Arbeitsfäh­igkeit – und mehr Zufriedenh­eit mit dem Sexuallebe­n. Beides kann mit höherer Gesundheit­skompetenz erreicht werden: „Das ist Aufgabe der Schule ebenso wie des Gesundheit­ssystems.“

Ein ausführlic­hes ärztliches Gespräch könne schon viel beitragen: „Dieses hat eine enorme Bedeutung.“Für ein Gesundheit­ssystem hier zu investiere­n, zahle sich aus, betont Dorner: „Medikament­enkosten gehen ebenso zurück wie Krankenstä­nde, vermindert­e Arbeitslei­stung oder Frühpensio­nierungen.“

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