Kurier

Mit Liebe zu dritt gegen die Moral keule

Comic. „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“heißt das neue, sexuell aufgeladen­e Buch von Ulli Lust.

- VON MARCO WEISE

Ulli Lusts autobiogra­fisches Comic „Heute ist der letzte Tag vom Rest der Welt“(2009) wurde als Meisterwer­k gefeiert und mit Preisen bedacht. Darin beschreibt die aus Wien stammende Berlinerin ihr wildes Leben als 17-jährige Punkerin – ohne Geld, ohne Dach über den Kopf, ohne Future sozusagen. In ihrer danach folgenden Comic-Adaption „Flughunde“, nach dem gleichnami­gen Roman von Marcel Beyer, ging es um das Ende des Zweiten Weltkriegs – erzählt aus der Perspektiv­e eines fanatische­n Akustikers im Dienst des Dritten Reiches und aus der Sicht der ältesten Tochter von Joseph Goebbels. Auch dieser Comic wurde als Erfolg gefeiert.

Nun kehrt Lust mit einer neuen Graphic Novel zurück. Es ist die Fortsetzun­g ihres Erstlings und die Rückkehr zu einer autobiogra­fisch erzählten Geschichte, die von Liebe zu dritt, sexuellen Obsessione­n, Geschlecht­erkonflikt­en und der Befreiung von gesellscha­ftlichen Zwängen handelt. KURIER: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ist ein autobiogra­fischer Comic-Roman, in dem es durchaus deftig zur Sache geht. Wie schwer oder einfach fällt Ihnen der Seelenstri­p? Ulli Lust: Private und intime Dinge in der Öffentlich­keit zu verhandeln, ist mir grundsätzl­ich unangenehm. Viele Menschen können nicht locker damit umgehen, und ich reagiere als soziales Wesen auf die Irritation. Gesellscha­ftlich plädiere ich für einen unverklemm­ten Umgang mit Liebe und Sexualität. Die Verdrängun­g des Körpers hat in der Menschheit­sgeschicht­e ungeheuren Schaden angerichte­t, besonders in der Psyche von Frauen, von denen eine besondere Körpertaub­heit verlangt wurde. Literatur ist der Wahrhaftig­keit verpflicht­et, sei es in der Fiktion oder im dokumentar­ischen Erzählen. Als Leserin erwarte ich von Büchern, dass sie tiefer schürfen, als es gesellscha­ftliche Schamgren- zen erlauben. Das, was darunterli­egt, ist der natürliche Rohstoff für Literatur. Der Titel Ihres neuen Buches wirft die Frage nach dem „guten Menschen“auf. Wie definieren Sie einen „guten Menschen“?

Der Titel spielt ironisch mit der altmodisch­en Bedeutung des Wortes „guter Mensch“. Man ahnt es bereits, der Versuch wird misslingen. Würde der Titel lauten „Wie ich versuchte, eine gute Frau zu sein“, wäre ich auf ganzer Linie gescheiter­t. Das Rollenmode­ll „gute Frau“verlangt eine gehörige Portion Selbstverl­eugnung, und wurde Gott sei Dank nach den 70er-Jahren eingemotte­t. Zumindest in Europa. In meinem ersten autobiogra­fischen Comic beschreibe ich rebellisch­e Teenager. Wir machten absichtlic­h das Gegenteil von dem, was die Gesellscha­ft für gut hielt. Später, in dem Zeitraum, den der neue Comic umfasst, habe ich versucht, das Richtige zu tun: Ehrlich zu meinen Partnern zu sein und zu mir selbst, meinem Sohn eine gute Mutter, meinen Eltern eine annehmbare Tochter zu sein, eine gute Künstlerin zu werden ... Im Zentrum der Erzählung steht eine unorthodox­e Dreierbezi­ehung. Es mag mit dem gängigen Verständni­s von „gut“nicht vereinbar sein, Sexszenen offen zu zeigen. Aber ich halte glückliche Liebesbezi­ehungen und ein erfülltes Sexuallebe­n ebenfalls für gute Ingredienz­ien für ein gesundes Leben. Das Wort „Gutmensch“wird vom rechten Flügel der Politik als Schimpfwor­t verwendet. Ist das nicht absurd? Soll ein Mensch lieber ein Schlechtme­nsch sein?

Sie sagen es. Menschen zu diffamiere­n, die Mitgefühl beweisen, ist schon ziemlich zynisch. Wie schwer ist es, kulturelle Vorurteile aufzugreif­en, sich politisch inkorrekt zu verhalten, kritisch zu äußern, ohne gleich mit der Moralkeule erschlagen zu werden?

Kulturelle Vorurteile sind ein reiches Thema. Ich greife sie auf,

und konterkari­ere sie mit überrasche­nden Wendungen. Das Wort Vorurteil sagt es bereits: Urteile werden gefällt, ohne vorher hinzusehen – sozusagen blind. Es lohnt sich, sie zu hinterfrag­en. Die Moralisten und Shitstürme­r haben sich bis jetzt glückliche­rweise nicht für mich interessie­rt, und ich hoff’, das bleibt so. Sie sind Österreich­erin, haben lange in Wien gelebt. Warum haben Sie der Stadt den Rücken gekehrt?

Ich wollte unbedingt Kunst studieren, leider haben sich die Wiener Kunsthochs­chulen verweigert. Im Gegensatz zu Wien, wo man narrative Zeichnunge­n ablehnte, konnte man in Berlin Illustrati­on studieren. Geplant war eigentlich nur ein halbes Jahr, ich habe mich dann langsam von der Gasthöreri­n zur ordentlich­en Studentin hochgearbe­itet. Heute bin ich zu meiner großen Überraschu­ng selbst Professori­n für Illustrati­on an der Hochschule in Hannover. Beobachten Sie von Berlin aus die aktuelle Lage in Österreich? Wie beurteilen als Außenstehe­nde manche Entwicklun­gen?

Wenn ich österreich­ische Zeitungen lese, gruselt es mich. Ich lebe seit 22 Jahren nicht mehr im Land. Eine untergriff­ige Rhetorik, die man früher nur aus Jörg Haiders Mund und aus der Kronen Zeitung kannte, findet sich jetzt durchwegs in allen Presseorga­nen. Die Österreich­er haben das Gefühl für eine ausgewogen­e Berichters­tattung verloren. Sie halten einen hetzerisch­en Tonfall mittlerwei­le für normal – langsam weich gekocht, wie die berühmten Frösche im Wasserbad. Wenn Sie über Sebastian Kurz und HC Strache ein Comic zeichnen müssten, welchen Titel würden Sie diesem Comic geben?

„Das Grauen“. Bei Kurz muss ich immer an Joseph Conrads „Herz der Finsternis“denken. Auch in der Filmadapti­on „Apokalypse now“heißt der abtrünnige Anführer Kurtz. Ist der dritte Teil der Trilogie schon fertig? Wann kommt er, wie wird er heißen? Und worum wird es gehen?

Es wird keinen dritten Teil geben. Aus Rücksicht auf die Privatsphä­re anderer handelnder Personen muss er imaginär bleiben. Das nächste Buch wird eher keinen autobiogra­fischen Hintergrun­d haben.

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L T E I D A R B R A B : D L BI ), 2 ( G A L R E V P M A K R H U S ©
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Die in Berlin lebende Ulli Lust (51) war Gast des Literaturf­estivals „Erich Fried Tage„ in Wien. Sie zählt zu den wichtigste­n deutschspr­achigen Comiczeich­nern.
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 ??  ?? Ulli Lust: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“Graphic Novel. Suhrkamp Verlag . 367 Seiten. 25,70 Euro.
Ulli Lust: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“Graphic Novel. Suhrkamp Verlag . 367 Seiten. 25,70 Euro.
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