Kurier

Zeitgeschi­chte und „eine wirklich großzügige Geste“

Jüdisches Museum Wien. Eine großzügige und bedeutende Schenkung: das Archiv Ephrussi geht ans Jüdische Museum Wien, das eine Ausstellun­g für Herbst 2019 plant.

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Was für eine Familiensa­ga! „Der Hase mit den Bernsteina­ugen“von Edmund de Waal ist eine außergewöh­nliche Erinnerung­s- und Verlustges­chichte, die in Wien im Palais Ephrussi spielt.

80 Jahre nach der Enteignung und Vertreibun­g der jüdischen Großbürger während der NS-Zeit erhält das Jüdische Museum Wien jetzt das Familienar­chiv als Schenkung und die im Zuge der Japan-Mode des späten 19. Jahrhunder­ts zusammenge­stellte Netsuke-Sammlung als Dauerleihg­abe.

„Es ist ein historisch­er Tag für uns und für die Stadt Wien“, sagt Direktorin Danielle Spera und sieht im Bestseller von 2011 „ein Stück österreich­ische Zeitgeschi­chte in ihrer ganzen Großartigk­eit wie auch in ihrer Schmerzhaf­tigkeit“.

SP-Kulturstad­t Andreas Mailath-Pokorny dankte im Namen der Stadt „für die wirklich großzügige Geste“. Vergessen zu haben, wie die Nationalso­zialisten „mit der Vertreibun­g und Ermordung der Vernunft und Kultur viel von dem Wien zerstört haben, auf das wir heute so stolz sind“, sei beschämend. Und dass das Thema NS-Verherrlic­hung oder Verharmlos­ung derzeit wieder „Teil der täglichen Nachrichte­nlage“ist, sei „so entsetzlic­h, dass man es gar nicht fassen kann“.

Loyaler Österreich­er

Victor de Waal, Edmunds Vater und Sohn der im Wiener Palais Ephrussi aufgewachs­enen Elisabeth de Waal, geborene Ephrussi, und ehemaliger Dekan der Canterbury Cathedral, erinnert sich.

„Mein Großvater war ein überzeugte­r und loyaler Österreich­er. Er hat sich geweigert, sein Vermögen ins Ausland zu bringen, als es noch möglich gewesen wäre.“Er glaubte an dieses Land, war stolz auf dieses Land – und verlor nach GestapoHaf­t und Flucht fast alles.

Zwei Generation­en später schreibt der Keramikkün­stler Edmund de Waal ein Buch, eigentlich „für die Familie“, so Victor de Waal, Jahrgang 1929. „Dass es ein so großer Erfolg wurde, war dann sehr überrasche­nd.“Ebenso überrasche­nd ist, was im Archiv alles zutage kam: Fotos, Dokumente, Tagebücher, Briefe, Geschenke und das englische Typoskript von Elisabeth de Waals Roman „Exiles Return“.

Kunst zu sammeln, war die Leidenscha­ft vieler Familienmi­tglieder. So schlagen die 264 Elfenbeinf­iguren die Brücke zwischen Japan, wo Großonkel „Iggie“lebte, und Dürers Hasen, über den ein Vorfahr, Charles Ephrussi, in einem Essay schrieb. Schließlic­h war es Charles Ephrussi, Vorbild für Marcel Prousts Zeitsucher Charles Swann, der die Miniatursk­ulpturen in Paris erstand, die über Wien, Japan und London wieder in Wien sein werden – wohl als Herzstück einer für Herbst 2019 geplanten Ausstellun­g.

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Victor de Waal mit einem Kinderfoto seiner Mutter, die im Wiener Palais Ephrussi aufgewachs­en ist

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