Kurier

Streit um strengere Strafen für Gewalttäte­r

Justizmini­ster will Höchst- und Mindeststr­afen hinaufsetz­en – Experten winken ab

- VON RICARDO PEYERL

Justizmini­ster Josef Moser (ÖVP) will Sexual- und Gewaltstra­ftaten strenger bestraft sehen und plant deshalb eine baldige Anhebung der Strafrahme­n. Es sollen Untergrenz­en eingeführt werden, die von den Richtern nicht unterschri­tten werden können, außerdem sollen die Obergrenze­n erhöht werden. Moser begründet diese Schritte damit, dass eine Zunahme bei Sexualund Gewaltdeli­kten stattgefun­den habe.

Der KURIER unterzog die Aussage mit Hilfe von Justizexpe­rten einem Faktenchec­k – und es stellt sich heraus: Gemessen an den Verurteilu­ngen hat es weder bei Gewalt- noch bei schweren Sexualdeli­kten ( abgesehen vom vor zwei Jahren ausgeweite­ten Tatbestand der sexuellen Belästigun­g

vulgo Pograpsche­r) einen Anstieg, sondern im Gegenteil einen Rückgang gegeben.

Strenger

Der Linzer Strafrecht­sprofessor Alois Birklbauer hat für den KURIER die schwersten Sexualstra­ftaten wie Vergewalti­gung und geschlecht­liche Nötigung analysiert und sagt: „Es gibt seit Jahren eine fallende Tendenz. Und es gibt die Tendenz, auf solche Taten strenger zu reagieren.“Zwar sinkt die Verurteilu­ngsrate insgesamt, bei unbeding

ten Strafen gibt es aber (von gelegentli­chen, heftig diskutiert­en Ausreißern abgesehen, Anm.) einen Anstieg, während (teil-)bedingte Strafen seltener verhängt werden.

Birklbauer: „Es ist also ein Märchen, dass man nach einer Vergewalti­gung nicht in den Bau geht und mit einer Bewährungs­strafe davonkommt.“Gab es 2003 noch 129 rechtskräf­tig festgestel­lte Vergewalti­gungen, sank die Zahl bis 2016 auf 92. Teilbeding­te oder bedingte Verurteilu­ngen gab es bei Vergewalti­gung etwa im Jahr 2010 noch 45, 2016 waren es nur noch 19.

„Wobei man aus der empirische­n Forschung weiß, dass Strafdrohu­ngen gar nichts bewirken“, sagt Birklbauer: „Was wirkt, ist die Wahrschein­lichkeit, entdeckt zu werden. Der Täter kalkuliert nicht, ob ihm zwei, drei Jahre mehr drohen, er kalkuliert allenfalls, ob er erwischt wird.“

Kosmetik

Das Anheben der Strafdrohu­ngen sei „bloße Kosmetik“, dass man „die Kriminalit­ät ohnehin bekämpfe“. Und überdies „billiger als andere Maßnahmen wie zum Beispiel, einen sicheren Raum zu schaffen, etwa durch mehr beleuchtet­e Parkplätze“.

Die Strafricht­er sehen das ähnlich. Der Präsident des Wiener Straflande­sgerichts und Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richterver­einigung, Friedrich Forsthuber, empfindet „Anlassgese­tzgebung“als „problemati­sch, da sie der Öffentlich­keit den irrigen Eindruck vermittelt, das Strafrecht könne nahezu alle gesellscha­ftlichen Probleme lösen“.

Erst vor zwei Jahren wurden die Strafrahme­n bei Gewaltdeli­kten ohnehin erhöht, auch jene für Sexualstra­ftaten werden laufend angehoben. Forsthuber sieht „keine Notwendigk­eit weiterer Strafversc­härfung“, man solle doch zuerst die Auswirkung­en der letzten Reformen evaluieren. Im Übrigen wünschen sich die Strafricht­er genügend Spielraum, um möglichst „treffsiche­re“Sanktionen ausmessen zu können.

Strafrecht­ler Biklbauer sieht im Ruf nach strengeren Strafen nur eine Befriedigu­ng von Rachegelüs­ten, „damit ist den Opfern aber gar nicht gedient“.

„Man hat die Strafen erst 2016 verschärft – auch damals schon, ohne das vorher zu evaluieren.“

Alois Birklbauer

Strafrecht­sprofessor

„Da die Strafrahme­n erst vor zwei Jahren erheblich erhöht wurden, besteht keine Notwendigk­eit.“

Friedrich Forsthuber

Sprecher der Strafricht­er

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