Streit um strengere Strafen für Gewalttäter
Justizminister will Höchst- und Mindeststrafen hinaufsetzen – Experten winken ab
Justizminister Josef Moser (ÖVP) will Sexual- und Gewaltstraftaten strenger bestraft sehen und plant deshalb eine baldige Anhebung der Strafrahmen. Es sollen Untergrenzen eingeführt werden, die von den Richtern nicht unterschritten werden können, außerdem sollen die Obergrenzen erhöht werden. Moser begründet diese Schritte damit, dass eine Zunahme bei Sexualund Gewaltdelikten stattgefunden habe.
Der KURIER unterzog die Aussage mit Hilfe von Justizexperten einem Faktencheck – und es stellt sich heraus: Gemessen an den Verurteilungen hat es weder bei Gewalt- noch bei schweren Sexualdelikten ( abgesehen vom vor zwei Jahren ausgeweiteten Tatbestand der sexuellen Belästigung
vulgo Pograpscher) einen Anstieg, sondern im Gegenteil einen Rückgang gegeben.
Strenger
Der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer hat für den KURIER die schwersten Sexualstraftaten wie Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung analysiert und sagt: „Es gibt seit Jahren eine fallende Tendenz. Und es gibt die Tendenz, auf solche Taten strenger zu reagieren.“Zwar sinkt die Verurteilungsrate insgesamt, bei unbeding
ten Strafen gibt es aber (von gelegentlichen, heftig diskutierten Ausreißern abgesehen, Anm.) einen Anstieg, während (teil-)bedingte Strafen seltener verhängt werden.
Birklbauer: „Es ist also ein Märchen, dass man nach einer Vergewaltigung nicht in den Bau geht und mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.“Gab es 2003 noch 129 rechtskräftig festgestellte Vergewaltigungen, sank die Zahl bis 2016 auf 92. Teilbedingte oder bedingte Verurteilungen gab es bei Vergewaltigung etwa im Jahr 2010 noch 45, 2016 waren es nur noch 19.
„Wobei man aus der empirischen Forschung weiß, dass Strafdrohungen gar nichts bewirken“, sagt Birklbauer: „Was wirkt, ist die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Der Täter kalkuliert nicht, ob ihm zwei, drei Jahre mehr drohen, er kalkuliert allenfalls, ob er erwischt wird.“
Kosmetik
Das Anheben der Strafdrohungen sei „bloße Kosmetik“, dass man „die Kriminalität ohnehin bekämpfe“. Und überdies „billiger als andere Maßnahmen wie zum Beispiel, einen sicheren Raum zu schaffen, etwa durch mehr beleuchtete Parkplätze“.
Die Strafrichter sehen das ähnlich. Der Präsident des Wiener Straflandesgerichts und Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung, Friedrich Forsthuber, empfindet „Anlassgesetzgebung“als „problematisch, da sie der Öffentlichkeit den irrigen Eindruck vermittelt, das Strafrecht könne nahezu alle gesellschaftlichen Probleme lösen“.
Erst vor zwei Jahren wurden die Strafrahmen bei Gewaltdelikten ohnehin erhöht, auch jene für Sexualstraftaten werden laufend angehoben. Forsthuber sieht „keine Notwendigkeit weiterer Strafverschärfung“, man solle doch zuerst die Auswirkungen der letzten Reformen evaluieren. Im Übrigen wünschen sich die Strafrichter genügend Spielraum, um möglichst „treffsichere“Sanktionen ausmessen zu können.
Strafrechtler Biklbauer sieht im Ruf nach strengeren Strafen nur eine Befriedigung von Rachegelüsten, „damit ist den Opfern aber gar nicht gedient“.
„Man hat die Strafen erst 2016 verschärft – auch damals schon, ohne das vorher zu evaluieren.“
Alois Birklbauer
Strafrechtsprofessor
„Da die Strafrahmen erst vor zwei Jahren erheblich erhöht wurden, besteht keine Notwendigkeit.“
Friedrich Forsthuber
Sprecher der Strafrichter