„Berlusconi wird nach Wahl wieder die Fäden in der Hand haben“Türken-Premier vor Treffen mit Merkel schmeichelweich
Phänomen Berlusconi. Die vom Ex-Premier geschmiedete Mitte-rechts-Allianz führt zweieinhalb Wochen vor den Wahlen ganz klar in denUmfragen.Danach wird gepokert. Fall Yücel. Kommt deutscher Journalist frei?
„Ich bin wie guter Wein. Mit dem Alter werde ich besser, und jetzt bin ich perfekt“, ließ der Wahlkämpfer Silvio Berlusconi gestern in der ihm üblichen Art per Twitter wissen. Dabei fällt dem 81jährigen Ex-Premier und Multimilliardär das Reden nicht mehr so leicht, erst im Sommer hatte er sich einer Herz-Operation unterzogen. Und doch ist er noch immer die Spinne im Netz, der Politiker, der nach den Wahlen am 4. März wohl die Regie- rungsbildung bestimmt. „Berlusconi wird nach der Wahl wieder alle Fäden in der Hand haben“, sagt Gianfranco Pasquino von der Johns Hopkins School in Bologna. „Wenn seine MitteRechts-Allianz gewinnt, dann ist eh alles klar. Wenn nicht, dann wird Berlusconi einfach mit seiner Forza Italia und Matteo Renzis Demokratischer Gianfranco Pasquino Politologe in Bologna Partei ein Abkommen schmieden.“
Bündnis mit Linken
Über die von Berlusconi und Renzi laut ausgesprochenen Gedanken über baldige Neuwahlen nach den Wahlen, sollten dieses kein klares Ergebnis bringen, kann der 75jährigePolitologenurlachen. „Renzi wird keine Sekunde zögern, wenn Berlusconi ihm das anbietet. Und der wiederum hat gar kein Problem damit, die Lega stehen zu lassen. Berlusconi kann zwar wegen seiner Verurteilungen nicht selbst Premier werden, aber er wird dennoch der Dirigent sein.“
Die Mitte-Rechts-Allianz (Forza Italia, Matteo Salvinis Lega und die Fratelli d’Italia) führt die Umfragen klar mit 37 Prozent an. Die Mittelinks-Koalition mit der PD von Matteo Renzi liegt bei 27 Prozent, die Fünf-SterneBewegung bei 28 Prozent. Diese schließt zumindest offiziell jede Koalition aus. Das entlockt Pasquino ein Lächeln – in Italien sei nichts in Stein gemeißelt. Sollten die Fünf Sterne stark genug werden, könnten sie sehr wohl versuchen, für ihre Projekte Mehrheiten im Parlament zu finden. Das größte Problem der chaotischen Bewegung wäre wohl geeignete, professionelle Minister zu finden.
Das größte Problem Italiens? „Unsere Staatsstruktur und enorme Verschuldung. Die Refinanzierung kommt enorm teuer. So ist kein Geld für Infrastrukturprojekte da, für Beschäftigungsprogramme, für eine gute Ausbildung der Kinder und Jugend.“Das müsse Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, in den Griff bekommen. Dann würden auch die Jungen, die ihr Glück in vielen Ländern Europas suchten, wieder zurückkommen und mit ihren Erfahrungen ihr Heimatland bereichern, gibt sich der 75-Jährige optimistisch. Zuerst der Außenminister, jetzt der Regierungschef – die Charme-Offensive Ankaras Richtung Europa rollt ungebrochen weiter, exakt getaktet und bis in die Formulierungen hinein wohlgesetzt: „Lasst uns eine neue Seite aufschlagen, die Vergangenheit vergessen, in die Zukunft blicken“, sagte der türkische Premier Binali Yildirim vor dem heutigen Treffen mit seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel in Berlin. Genau das hatte sein Außenminister Mevlüt Çavusoglu zuvor schon beim Besuch der österreichischen Chefdiplomatin Karin Kneissl im Jänner in Istanbul gesagt.
Doch Yildirim ging jetzt noch einen Schritt weiter. In der Causa des seit einem Jahr inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel, 44, denke er, der Premier, „dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird, ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird“. Allerdings sei das eine Frage der Justiz, fügte Yildirim in einem Gespräch mit der
hinzu.
Der am 14. Februar 2017 in der Türkei verhaftete (Vorwurf der Terror-Unterstützung und Volksverhetzung) ist derzeit eines der größten Hindernisse für eine Entspannung zwischen Berlin und Ankara – zumal noch immer keine Anklageschrift vorliegt. Mit ihm sitzen noch fünf weitere Deutsche aus politischen Motiven in türkischen Gefängnissen.
Diese Justizanstalten sind seit dem gescheiterten Staatsstreich vom Juli 2016 übervoll. Denn unmittelbar danach ließ Präsident Tayyip Erdoğan Zehntausende mutmaßliche Putschisten und in einem Aufwaschen auch politische Gegner verhaften. Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer Aushöhlung des Rechtsstaates, zudem von einer Knebelung der Meinungs- und Pressefreiheit, zumal insgesamt 150 Journalisten weggesperrt sind. Auch jetzt geht das Kesseltreiben gegen Andersdenkende weiter: Wer etwa gegen die laufende türkische Militäroperation in Nordsyrien, die primär gegen die dortigen Kurden gerichtet ist, demonstriert, landet im Gefängnis.
„Schmutzige Deals“
Aus all diesen Gründen liegen die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara de facto auf Eis, Merkel hat sich auch gegen die eigentlich anstehende Ausweitung der Zollunion der EU mit der Türkei ausgesprochen. Mit jener Türkei, mit der sie als treibende Kraft den Flüchtlingsdeal 2016 durchgeboxt hatte, der bis heute weitgehend hält.
Ankara ist jedenfalls jetzt klar um Entspannung bemüht, die gesamte Regierung arbeitet daran. Doch warnt Deniz Yücel aus seiner Zelle vor „schmutzigen Deals“.
„PD-Chef Renzi wird keine Sekunde zögern, wenn Berlusconi ihm eine Koalition anbietet.“