„Wahrscheinlich wäre sie lieber ein Pferd“
Burgtheater. Sarah Viktoria Frick über „Die Glasmenagerie“, den Regisseur David Bösch, Matthias Hartmann, offene Briefe und #MeToo.
GUIDO TARTAROTTI Sarah Viktoria Frick spielt auf der Bühne meist quirlige Figuren mit wilder Körpersprache. Im Interview ist sie sehr ruhig und antwortet langsam und bedächtig.
KURIER: Wie läuft die Probearbeit mit David Bösch ab? Sie kennen einander ja sehr lange. Sarah Viktoria Frick:
Manches ist viel einfacher, weil nicht mehr über alles gesprochen werden muss. Aber wir sind jetzt auch einige Jahre älter und um einige Erfahrungen unabhängig voneinander reicher. Ein großer Teil der Arbeit besteht mittlerweile halt darin, dass wir immer wieder neue Schnittmengen finden müssen. Man muss nämlich aufpassen, dass man nicht nostalgisch wird und sagt: Wieso kann es nichtmehrsoseinwiefrüher?
Machen Sie es sich gerne schwer?
Nach 14 Jahren hinterfrage ich mehr als am Anfang, bin manchmal sogar zu streng. Ich werde halt misstrauisch, wenn es zu einfach ist. Aber manchmal läuft es eben auch einfach und das muss trotzdem kein schlechtes Zeichen sein.
David Bösch ist ein Regisseur mit großer Fantasie. Ihre letzte Zusammenarbeit war das „Käthchen von Heilbronn“, ein wildes Märchen. Wie nähert man sich der „Glasmenagerie“an, das ist ja etwas ganz anderes?
Tennessee Williams hat in der Glasmenagerie vieles ausformuliert, was uns heute selbstverständlicher scheint, als es damals war. Deswegen haben wir uns auf den Kern des Stückes konzentriert. Es ist eine gnadenlose Familiengeschichte, wie sie auch heute passieren könnte. Trotzdem haben wir es nicht ganz aus der Zeit herausgerissen, in der es spielt.
Sie spielen die Laura, die sich ganz in ihre Fantasiewelt zurückzieht.
Sie ist nicht die Einzige. Alle leben in Fantasiewelten. Die Mutter in einer hochstilisierten Vergangenheit, der Bruder in der Ferne, oder Jim, der den amerikanischen Traum träumt. Lauras Fantasiewelt ist weniger leicht einzuordnen, deshalb wird sie von ihren Mitmenschen als „anders“eingestuft.
Laura ist behindert.
Die Frage ist, was sie behindert. Sie steht enorm unter Druck. Der Vater ist weg. Der Bruder muss seine Position ersetzen und ist damit überfordert. Die Mutter macht sich Sorgen um Laura.AlldaslastetaufLaura, und sie fühlt sich schuldig. Gleichzeitig weiß sie um ihr merkwürdiges soziales Verhalten außerhalb des vertrauten Familienlebens und will sich der Außenwelt gar nicht erst aussetzen.
Eine ideale Figur für Sie – Sie sagten ja schon öfter, Sie spielen gern Außenseiter. Eine Traumrolle?
Ja... Schon.
Haben Sie schon früher daran gedacht, sie zu spielen?
Nein. Ich finde eine Figur ohne deutlich im Text beschriebene Körperbehinderung genauso spannend, wenn nicht noch spannender. Denn jede Figur hat irgendwo ein Defizit. Interessant ist dann nur, ob man es benutzt – oder versteckt.
Denkt man beim Erarbeiten von Rollen über Menschen nach, die man kennt? Menschen, die sich in Traumwelten zurückziehen, gibt es ja heute viele. Aber die haben keine Glastiere, sondern sitzen vor dem Internet.
Ich denke am Anfang in einer Probenzeit erst mal über die Klärung der Situationen nach. Dadurch entsteht meistens die Figur wie von alleine. Am Ende entdecke ich immer wieder Teile von Leuten, die ich kenne in den Figuren. Aber ich lege es nicht darauf an, jemanden nachzuahmen.
Das Einhorn ist ein wichtiges Symbol im Stück – heute ist das eine inflationäre Figur.
Ich glaube, dass das Einhorn für Laura eher negativ besetzt ist. Das Besondere ist für sie ein Makel. Wahrscheinlich wäre sie lieber ein Pferd. Dann würde sie nicht auffallen.
Themenwechsel. Es gibt einen offenen Brief, der von 60 Mitarbeitern des Burgtheaters unterschrieben wurde, in dem mit dem Stil von Ex-Direktor Matthias Hartmann abgerechnet wird. Sie haben nicht unterschrieben. Warum?
Für mich wurden da zu viele Themen vermischt. Selbstverständlich bin ich dafür, dass die alten hierarchischen Strukturen am Theater überdacht und verändert werden. Aber einer Person allein die Verantwortung dafür zu geben, halte ich für falsch. Ich weiß, dass es tiefe Verletzungen gab in dieser Zeit. Aber die Öffentlichkeit scheint mir nicht der richtige Ort, um damit aufzuräumen. Vor allem in Zeiten von #MeToo. Die MeToo-Debatte ist eine großartige Sache, aber sie ist auch gefährlich… weil die öffentliche Meinung keine ausgebildete Richterin ist.
Wie sehr ist Theaterregie immer ein Gewaltakt?
Das Gerücht, dass Regisseure unmenschlich sein müssen, um genial zu sein, hält sich ja schon erstaunlich lange. Ich habe aber auch mit Unmenschen gearbeitet, die keine Genies waren. Nein, im Ernst, ich kenne auch Regisseure, die einem auf Augenhöhe begegnen und gleichzeitig großartige Arbeit machen.
Wie war konkret die Arbeit mit Matthias Hartmann? Im offenen Brief gibt es massive Vorwürfe gegen ihn.
Ich glaube, es ist nicht richtig, wenn auch ich noch etwas dazu sage. Weil ich es falsch finde, eine Einzelperson an den Pranger zu stellen.
Es hatte den Eindruck, das Ensemble sei wieder zur Ruhe gekommen. Jetzt, nach dem offenen Brief, hat man wieder den Eindruck einer Spaltung.
Von einer Spaltung würde ich nicht sprechen. Sicher waren wir in diesem Fall nicht alle einer Meinung. Aber das wäre ja auch etwas merkwürdig, wenn sich da alle einig wären. Für eine ernsthafte Diskussion sind unterschiedliche Meinungen die Grundlage.