Regieren statt agitieren
Versuchen wir endlich, folgenden Idealzustand herzustellen: Die Regierung soll das Land regieren, Medien sollen berichten und kommentieren – und eine informierte Bevölkerung soll sich ihre Meinung bilden.
100 Tage sollte eine Regierung Zeit haben, um sich einzuarbeiten. Das Kabinett Kurz ist gerade einmal zwei Drittel dieser Zeit im Amt, also geht es hier nicht darum, eine erste Bilanz zu ziehen. Hier soll vielmehr auf eine Fehlentwicklung aufmerksam gemacht werden, die am (Faschings-)Dienstag einen ersten Tiefpunkt erreicht hat. Einen gar nicht lustigen.
Die Arbeit von Journalisten muss täglich der Kontrolle durch die Öffentlichkeit ausgesetzt sein, die Arbeit des von uns allen finanzierten ORF erst recht. Wehleidigkeit hat da nichts verloren. Aber die Formulierung „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF“ist einfach eine miese Kampagne. Verschärft von dem auf die Verfassung der Republik ÖsterreichvereidigtenVizekanzlerHeinzChristian Strache. Das hatte nichts mehr mit Kritik zu tun, das war Rufmord an einem Menschen, dem Moderator Armin Wolf, und an der Arbeit eines ganzen Unternehmens. Mehr noch: Das war ein Angriff auf alle Redaktionen, die ihre Arbeit als täglich Suchende (!) nach der Wahrheit empfinden, die freilich dabei auch Fehler machen können.
Straches Unwahrheit
Nur zur Erinnerung: Das hat Strache auf Facebook geschrieben, ausgerechnet einen Tag, nachdem er die Öffentlichkeit über eine Aussage zu Serbien getäuscht hatte. „Kosovo ist ein Teil Serbiens“habe er so nicht gesagt, ließ sein Sprecher uns wissen. Wahr ist: Genau so hat Strache das in einem schriftlichen Interview geschrieben. Er hatte also die Unwahrheit gesagt, daher hieß die Parole wohl: Davon ablenken.
Einzelfall? Kampagne gegen Journalismus? Methode einer Regierungspartei, die nicht lernt, was Regieren bedeutet? Und warum sagt niemand aus der ÖVP etwas dazu? Weil das türkise Marketingkonzept nur Themen zulassen will, die man selbst gesetzt hat?
Ist die Demokratie gleich gefährdet, wenn die Regierung Journalisten einschüchtert? Die KURIERRedaktion hat darüber lange diskutiert. Dieser Artikel fasst das Ergebnis der Diskussion zusammen.
Medien haben Eigentümer, die Finanzierung von Medien wird schwieriger, Regierungen in Bund und Land winken den „Braven“mit Inseraten. Dazu kommt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein politisch besetztes Aufsichtsgremium hat und auch Journalisten einen politischen Hintergrund haben können.
Dieser Befund gilt auch für andere Länder. Aber verglichen etwa mit Deutschland ist bei uns alles enger, die Verhältnisse sind schlampiger, vieles bleibt ohne Konsequenzen. So gesehen muss man Herrn Strache dankbar sein. Er hat per Facebook gezeigt, was in diesem Land möglich ist – wir haben uns dann doch gewundert –, und jetzt können sich alle Seiten darum bemühen, zu einem anständigen Umgang miteinander zu kommen, noch bevor die Regierung 100 Tage im Amt ist. Wir jedenfalls wünschen uns das.
Regieren ist mühsam
Dazu gehört zunächst, dass alle in der Regierung begreifen, wofür sie gewählt wurden: Um das Land zu verwalten, um vieles besser zu machen, neue Gesetze ins Parlament einzubringen. Aber wo sind die konkreten Vorschläge für die Flexibilisierung der Arbeitszeit? Wo wird „im System gespart“, wie oft versprochen wurde? Was fällt dem Infrastrukturminister jenseits von Tempo 140 ein? Wann werden die vielen Gesetze zwischen Bund und Ländern vereinfacht? Was ist mit der Reform der Sozialgesetze? Und schafft die Regierung ein Nulldefizit wenigstens heuer, bei drei Prozent Wirtschaftswachstum?
Das sind nur einige Fragen, worauf die Bürger Antworten erwarten. Die sind, zugegeben, nicht leicht zu finden, also lenkt man deshalb die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die „bösen Medien“?
Die vielen Marketing-Sprüche von der einen Regierungspartei, das Beschimpfen der Medien durch die andere sowie deren inhaltliche Steuerung durch Inseratenvergabe, die der Steuerzahler finanzieren muss, reichen nicht für „neu regieren“.
Vor allem die FPÖ hat ja sehr schnell den Umgang mit den sozialen Medien gelernt. Mit Facebook als permanentem Bierzelt, in dem über das „Establishment“gelästert wird, wo die anderen Parteien schlecht undMinderheitenheruntergemacht werden, wollte man die „klassischen Medien“umgehen. Aber diese Methoden richten sich jetzt auch gegen die FPÖ, wenn sie regiert. Strache hat inzwischen selbst mehrfach erlebt, was ein „Shitstorm“ist.
Wir haben keine Angst
„Die Medien sind bellende Wachhunde der Demokratie, und die Demokratie ist bekanntlich das beste politische System, weil man es ungestraft beschimpfen kann“, hat Ephraim Kishon geschrieben.
Wir wollen nicht schimpfen, das überlassen wir den Stammtischen auf Facebook. Wir wollen über Fakten der Regierungsarbeit berichten und kritisieren, wo wir es für richtig halten. Wir leben in einer Demokratie, also werden wir uns nicht fürchten und auch dem Druck nicht beugen, der ausgeübt wird. Gegen Lügen oder Bespitzelungen können wir uns im Rechtsstaat wehren. Für diesen unseren Rechtsstaat werden wir jedenfalls immer aufstehen.
„Es gibt einen Ort, wo Lügen zu Nachrichten werden“postete Heinz-Christian Strache mit Riesenlettern auf ein Foto von Armin Wolf.
Der Chef der rechtspopulistischen Partei im Frontalangriff auf eine Symbolfigur des Qualitätsjournalismus – das ist der bisherige Gipfel der Auseinandersetzung zwischen FPÖ und Medien (siehe Kasten unten).
Dahinter steckt beinharte Macht- und Parteipolitik.
Die Aufgabe von Journalisten in der Demokratie ist eine doppelte: Neuigkeiten zu berichten und die Politik kritisch zu bewerten.
In dieser Doppelfunktion ist ein Spannungsverhältnis zwischen Journalisten und Politikern angelegt. Politiker sind naturgemäß die Urheber vieler Neuigkeiten, weswegen Journalisten, wollen sie aktuell sein, nahe an der Politik dran sein müssen. Gleichzeitig sind Politiker Objekte der journalistischen Kritik, was wiederum Distanz der Journalisten zur Politik erfordert. Konf likte zwischen Politikern und Journalisten sind also programmiert, doch in der Regel können beide Seiten mit ihrer jeweiligen Rolle professionell umgehen.
Natürlicher Gegensatz
Bei (rechts-)populistischen Parteien und Qualitätsmedien ist es anders. Sie sind ein natürliches Gegensatzpaar. Qualitätsmedien verstehen sich als aufklärerisch, sie sehen es als Aufgabe, Fakten aufzuzeigen und Vorurteilen, Pauschalverdächtigungen und Aberglauben entgegenzuwirken. Das Wesen des Qualitätsjournalismus ist die Differenzierung.
Das Wesen des Populismus ist hingegen die Simplifizierung. Populistische Parteien arbeiten mit Pauschalurteil, Vorurteil und Mythen („die Ausländer“, „die Sozialschmarotzer“, „die Emanzen“). Sie berufen sich dabei auf angebliche „Volksnähe“.
Es liegt in der Natur der Sache, dass es zwischen Qualitätsjournalisten und Rechtspopulisten wie jenen in der FPÖ häufig Krach gibt.
Die FPÖ nutzt das zu ihren Gunsten. Sie gebärdet sich als medial verfolgte Unschuld, was sie gar nicht ist. Sie genießt und schweigt darüber, dass sie von den Boulevardmedien umso heftiger gefördert wird, weil diese nach ähnlichen Mechanismen funktionieren wie populistische Parteien. Sie stilisiert sich als Opfer der „Systemmedien“bei ihren Wählern, von denen sich viele unterprivilegiert fühlen. Von „Systemopfer“zu „Systemopfer“versteht man sich.
So weit so unerfreulich. Aber das ist Berufsalltag.
Absoluter Tiefpunkt
Zuletzt hat die FPÖ jedoch eine Spirale der Eskalation eingeleitet, über die man nicht einfach hinweggehen kann. Sie pickt einzelne Journalisten heraus und macht sie zur Zielscheibe für undifferenzierte Pauschalangriffe. Sie nimmt Fehler, und auch Ungerechtigkeiten ihr gegenüber zum Anlass, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Institution zu kippen. Die Attacke des Vizekanzlers gegen den ORF-Anchorman ist ein absoluter Tiefpunkt (Strache sagte Wolf später in einem Telefonat, er habe es nicht persönlich gemeint).
Normalerweise ist Strache nicht so rabiat, wie er sich in diesem Fall gebärdete.
Für sein Auszucken gibt es eine Erklärung. Das macht die Sache zwar um keinen Deut besser, aber zumindest rational fassbarer.
Wie aus der FPÖ zu hören ist, steht Strache unter Druck. „In der Partei brodelt es“, sagt ein Intimkenner der Vorgänge. Hintergrund sei Eifersucht auf den Koalitionspartner ÖVP.
Kanzler Sebastian Kurz und Medienminister Gernot Blümel signalisieren, sie würden den Fehler Wolfgang Schüssels nicht wiederholen, einen Nachrichten-Kommissar wie einst Chefredakteur Werner Mück im ORF zu installieren. Armin Wolf & Co müssten sich nicht vor den Türkisen fürchten. Das recht freundliche Interview von Medienminister Blümel mit Armin Wolf wurde so von der FPÖ argwöhnisch beäugt. Zum Brodeln brachte die Stimmung in der FPÖ, dass sich der ORF in letzter Zeit tatsächlich einige Ausrutscher bzw. Untergriffe (siehe
Story unten) gegen die FPÖ leistete. In der FPÖ herrscht jetzt die Lesart: Die Journalisten hauen sich mit der ÖVP auf ein Packel und schießen hinter diesem Schutzschild weiter gegen die FPÖ. Die ÖVP werde bevorzugt und heimse auch noch den Lorbeer ein, kritische Journalisten arbeiten zu lassen.
ÖVP muss „teilen“
So gesehen ist die Angriffswelle der FPÖ gegen den ORF, die Strache auch in seiner Aschermittwochrede fortsetzte (siehe Seite 4), eigentlich ein Machtkampf gegen die ÖVP. Die FPÖ will die ÖVP zwingen, möglichst rasch das ORF-Gesetz zu ändern, damit die FPÖ in die ORF-Chefetage einziehen und ihre Interessen durchsetzen kann.
Kurz gesagt: Der ORF soll sich aus Sicht der FPÖ nicht monocolor türkis verfärben, sondern türkis-blau werden (siehe auch Story rechts).
Durchsetzen will sich die FPÖ wie folgt: Mit dem Dauertrommeln gegen die ORFGebühren soll die ÖVP gefügig gemacht werden. Wenn dem ORF statt 600 Millionen nur 300 Millionen zufließen, müssten Landesstudios (das Heiligtum der Landeshauptleute), das Orchester und ORFeins zusperren. Wenn die ÖVP das vermeiden wolle, so das FPÖ-Kalkül, müsse sie noch heuer das ORF-Gesetz ändern, damit ab 1. Jänner 2019 ein neuer Vorstand ans Werk gehen kann. Die ÖVP müsse die Macht mit der FPÖ teilen, sonst stehe die Koalition auf dem Spiel, heißt es in der FPÖ grollend.