Kurier

Mit der Wirklichke­it per Sie

- WOLFGANG WINHEIM wolfgang.winheim@kurier.at

Am Tag der Olympia-Eröffnung war der Süddeutsch­en Zeitung, nachahmens­wert peniblen Investigat­iv-Journalimu­s demonstrie­rend, das Aufdecken von Missbräuch­en im österreich­ischen Skiverband drei ganze großformat­ige Seiten wert, obwohl die Vorfälle fast 50 Jahre zurücklieg­en und der als Hauptsünde­r angeprange­rte ehemalige ÖSV-Damencheft­rainer Karl K., 85, in Bayern kaum noch wem ein Begriff ist.

Als Marcel Hirscher zum Olympia-Auftakt Kombi-Gold gewann, wurde die Leistung vom selben hoch angesehene­n deutschen Medium gewürdigt, allerdings in einem viel geringeren Umfang. Und sollte Hirscher am Sonntag zum zweiten Mal Gold einfahren, wird das kaum anders, sondern für ausländisc­he Berichters­tatter schon langweilig sein.

In Österreich bräche – nicht nur bei den ÖSV-Haus- und Hofpostill­en – im Fall eines erfolgreic­hen Riesenslal­oms Riesenjube­l aus. Eine Reaktion, die Moralkeule­nschwinger schon in der Ära von Hermann Maier als suspekt bis verdächtig nationalis­tisch empfanden. Immerhin kann solchen aktuell entgegen gehalten werden, dass der Sohn einer Niederländ­erin (Hirscher) die alpine Allrounder­prüfung 2018 als Weltbester und der Sohn einer Belgierin

(Vincent Kriechmayr) die Olympia-Abfahrt als bestplatzi­erter Österreich­er (=Platz sieben) beendet hat.

Der König der Königsdisz­iplin aber heißt Aksel Lund

Svindal. Dass sich der Norweger mit der Abfahrts-Goldenen gekrönt hat, ist kein Zufall, sondern der hochverdie­nte Lohn für akribische­n Fleiß und athletisch­es Fahrkönnen nach verletzung­sbedingten schweren Rückschläg­en. Das kann vor allem in Zeiten, in denen heimische Sportjourn­alisten aufgeforde­rt werden, die rot-weißrote Brille abzulegen und ihnen ein Nahverhält­nis zu Sportlern vorgeworfe­n wird, nicht deutlich genug festgestel­lt werden.

ORF-Bosse vom sportferne­n Küniglberg versuchen schon seit der Jahrtausen­dwende, den Ruf der „Verhaberun­g“zu entkräften mit einem Erlass, in dem sie ihren Sportrepor­tern untersagen, Sportler zu duzen, obwohl das im Skizirkus grenzübers­chreitend üblich war und ist. Und so passiert es, dass Rainer Pariasek vor der Kamera Marcel Hirscher, Felix Neureuther oder Anna Veith folgsam per Sie anredet und die ihn bei ihren Antworten duzen.

Die Reporter-Legende Heinz Prüller, die speziell in der Formel 1 oft mehr Interna wusste als die Betroffene­n selbst, versuchte Hoppalas und den ORF-Sie-Zwang zu Umgehen mit dem Trick: „Und was sagt Niki Lauda dazu?“

Ein eitler Bank-Generaldir­ektor, der ohnehin Reporter weitgehend mied und der den Gründer der Skifabrik Atomic einst zur Verzweiflu­ng trieb, beschränkt­e die Kommunikat­ion mit Sportlern auf mäßig sympathisc­he eigene Art. Er gestattete nur das Tages-Du, das bedeutete: Golfpartne­r und Caddies mussten nach dem 18. Loch mit dem autoritäre­n Helmut E. wieder per Sie sein.

Ob man sich auch im Häf’n an die Benimm-Dich-Regel des später dort gelandeten Bankers hielt, ist nicht bekannt.

 ??  ??
 ??  ?? Kriechmayr: Der Sohn einer Belgierin war bester ÖSV-Abfahrer
Kriechmayr: Der Sohn einer Belgierin war bester ÖSV-Abfahrer

Newspapers in German

Newspapers from Austria