Kurier

Hier Hirsch, dort Nashorn

„Wow“. Die Sammlung Heidi Horten bleibt erstaunlic­h wortkarg

- – MICHAEL HUBER

Am Eingang steht ein riesiger Hase, im Innenraum ein enormer Gorilla, über dem Durchgang hängt ein Hirschgewe­ih. Die Assoziatio­n zur Großwildja­gd mag unbeabsich­tigt sein, sie drängt sich aber auf – und liefert eine mögliche Antwort auf die Frage, die sich in jeder Präsentati­on einer privaten Kunstsamml­ung stellt: Was treibt einen Sammler, eine Sammlerin an?

In der Ausstellun­g „Wow! The Heidi Horten Collection“, die bis 29. Juli im Wiener Leopold Museum zu sehen ist, bleibt das Motiv der Trophäenja­gd das plausibels­te: Über die notorisch öffentlich­keitsscheu­e Milliardär­in, die seit den 1990er-Jahren beträchtli­che Mittel in ihre Sammlung investiert­e, erfährt man in der Schau nämlich kaum etwas. Zwar heißt es, dass die 77-Jährige mit ihrer Kunst lebt, von „Passion“und „Geschmack“ist zu lesen. Doch alle Merkmale, die eine Sammlerper­sönlichkei­t auszeichne­n – ein individuel­ler Blick, ein außergewöh­nlicher Sinn für Zusammenhä­nge, ein intensives Verhältnis zu einzelnen Künstlern – scheinen getilgt.

Trophäen

Das liegt weniger an den Kunstwerke­n als an deren Arrangemen­t: Hortens langjährig­e Freundin Agnes Husslein, die ab Anfang der 1990er – damals noch als Österreich-Chefin von Sotheby’s – maßgeblich den Sammlungsa­ufbau mitbestimm­te, gruppierte als Kuratorin einfach die Werke wie Trophäen in der Jagdstube und verzichtet­e auf jeden Dialog zwischen Werken: Hier Hirsch, dort Nashorn, kein Biotop.

Dass Horten schlechte Kunst gekauft hätte, wird kaum jemand behaupten können: Klimts „Kirche in Unterach am Attersee“etwa ist zweifellos ein Meisterwer­k. Im Saal daneben hängen starke Gemälde deutscher Expression­isten, Max Pechsteins „Gelbe Maske“bohrt sich ins Gedächtnis, ebenso Erich Heckels „Tanzendes Paar“von 1910.

Werte

Von da geht es weiter: Zu Chagall, Picasso, Lucian Freud, Lucio Fontana, Francis Bacon, Georg Baselitz und nicht zuletzt zu Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat. Nur kurz huscht der Gedanke an die unglaublic­hen Werte, die hier an der Wand hängen, durchs Gehirn, dann ist er wieder weg – denn natürlich sammelte Horten stets, „ohne sich vorherrsch­enden Trends auf dem Kunstmarkt zu unterwerfe­n“(Pressetext).

Warum aber fühlt sich die Ausstellun­g dann an wie die Schaustell­ung zu jener Meisterwer­ke-Auktion, die Christie’s und Sotheby’s gerne veranstalt­en würden? Streng genommen hinkt die Präsentati­on im Leopold Museum den Versteiger­ungs-Vorschauen noch hinterher. Denn während Auktionshä­user ihr Verkaufsan­gebot heutzutage quer durch die Sparten „kuratieren“und versuchen, möglichst viel von der Aura und Kennerscha­ft der Vorbesitze­r auf die Ware zu projiziere­n, erscheint die Kunst in dieser Ausstellun­g weitgehend kontextbef­reit.

Wohlhabend

Es ist zu vermuten, dass Husslein die klinische Präsentati­onsart wählte, um die „museale Qualität“von Hortens Sammlung zu betonen: Es sollte ein Parcours durch die jüngere Kunstgesch­ichte sein, allerdings in der Version, die federführe­nd von Wohlhabend­en und dem High-End-Kunstmarkt geschriebe­n wird.

Diese Erzählung unterschei­det sich massiv von jener, die akademisch­e Kunsthisto­riker oder tief in einer Epoche verankerte Sammler wie Museumsgrü­nder Rudolf Leopold vorangetri­eben haben. Nicht nur einmal wünscht man sich daher eine intensive Befragung einzelner Werke: Hier, isoliert an den Wänden, bleiben sie stumm. Es bleibt zu hoffen, dass die Sammlerin, die neben Transport und Aufbau auch die Kunstvermi­ttlung und den freien Eintritt an Donnerstag­abenden (18–21 Uhr) großzügig unterstütz­t, gewillt ist, ihre Kunst noch weiter in der Welt zirkuliere­n zu lassen.

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Ein Saal im Leopold Museum versammelt Tier-Darstellun­gen – ein anderer Andy Warhol („Flowers“)

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