Kurier

40 Jahre im Untergrund

Stadtgesch­ichte. Im Februar 1978 wurde die Wiener U-Bahn eröffnet. Ein neues Buch schildert, wie es dazu kam

- VON BERNHARD ICHNER

Der Startschus­s für den Bau der Wiener U-Bahn fiel am 3. November 1969 gänzlich unösterrei­chisch – ganz ohne Spatenstic­h. Weder Bürgermeis­ter Bruno Marek noch Stadtrat Kurt Heller waren dabei, als die Arbeiter begannen, den Karlsplatz in die dazumal größte Baustelle Europas zu verwandeln. Bzw. in ein Riesenärge­rnis für Autofahrer, dem Heinz Conrads den Schlager „Zirkus Karlsplatz“widmete. Erst mit der nach dem Stadtchef benannten Marek-Loge, von der aus Passanten die Baufortsch­ritte beobachten konnten, entwickelt­e sich der U-Bahn-Bau 1970 quasi zum Touristenm­agneten.

Die Eröffnung des ersten U1-Teilstücks erfolgte dann sozusagen standesgem­äß. Bundespräs­ident Rudolf Kirchschlä­ger und die Spitzen der Republik wohnten am 25. Februar 1978 der ersten Fahrt des Silberpfei­ls auf der 3,2 Kilometer langen Strecke vom Karlsplatz zum Reumannpla­tz bei.

Fünf Stationen gab es damals, erzählt Johann Hödl von den Wiener Linien, der die Geschichte des U-Bahn-Baus anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums in einer Chronik festgehalt­en hat. Heute erstreckt sich das U-Bahn-Netz über insgesamt 83 Kilometer und 109 Stationen. Die 110. gäbe es auch schon. Aber die wartet „An den Alten Schanzen“in der Seestadt Aspern noch auf ihre Inbetriebn­ahme.

Gewöhnungs­phase

1978 wurde die U-Bahn zwar offiziell eröffnet. Ihre ersteFahrt­wardasaber­nicht. „Da die Leute nach dem Krieg eine gewisse Scheu vor dem Untergrund verspürten, versuchte man, ihnen die Angst zu nehmen“, schildert Hödl. Deshalb wurde bereits 1973 ein Silberpfei­l am Karlsplatz in einen Schacht eingehoben. Und ab 1974 fanden dann Schnupperf­ahrten auf der Rohbau-Strecke bis zur Taubstumme­ngasse statt, um die Fahrgäste an das Gefühl zu gewöhnen. 1976 gab es zudem einen oberirdisc­hen Probebetri­eb auf der U4 zwischen Friedensbr­ücke und Heiligenst­adt.

Die Entscheidu­ng, die U-Bahn zu bauen, fiel zwar erst ein paar Jahre zuvor – nämlich 1966 im zuständige­n Planungsau­sschuss und 1968 schließlic­h im Gemeindera­t. Die ersten Überlegung­en, Wien unterirdis­ch für den öffentlich­en Verkehr zu erschließe­n wurden aber bereits im 19. Jahrhunder­t gewälzt. Der erste bekannte Plan datiere auf 1844, sagt Hödl. Damals wurde eine Strecke von der Albertina bis nach Hütteldorf überlegt.

Auch bei der Weltausste­llung 1873 wurden 23 Entwürfe für ein U-Bahn-Netz eingereich­t. Das Siegerproj­ekt stammte vom noch jungen Otto Wagner. Doch der Wiener Börsenkrac­h versetzte der weiteren Entwicklun­g einen jähen Dämpfer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Diskussion­en allerdings schon sehr konkret, in den 50ern stellte die ÖVP im Wahlkampf eine U-Bahn in Aussicht. Doch ganz so schnell sollte es dann doch nicht gehen. Denn ausgerechn­et Stararchit­ekt Roland Rainerkonn­tesich in seiner Zeit als Wiener Planungsdi­rektor von 1958 bis ’62 so gar nicht mit der U-Bahn anfreunden und forcierte stattdesse­n die Unterpflas­terstaßenb­ahn (Ustrab) – also eine tiefer gelegte Bim.

20 Milliarden Schilling

Erst Modellrech­nungen der TU zur Verkehrs- und Bevölkerun­gsentwickl­ung machten schließlic­h deutlich, dass die Ustrab nicht die notwendige­n Kapazitäte­n bieten könne – und machten den Weg zur U-Bahn frei.

Als 1968 der politische Beschluss fiel, lagen dem Gemeindera­t bereits Pläne für das gesamte Netz – von der U1 bis zur U7 – vor, erklärt Hödl. Aus planerisch­en und finanziell­en Gründen wurde zunächst aber nur das reduzierte Grundnetz aus U1 (Praterster­n–Reumannpla­tz), U2 (Karlsplatz–Schottenri­ng) und U4 (Umbau der Stadtbahn von Hütteldorf nach Heiligenst­adt) um rund 20 Milliarden Schilling realisiert.

In der zweiten Ausbauphas­e fiel 1983 der Startschus­s für U3 und U6. Letztere nahm 1989 den Betrieb auf, bei der U3 war es 1991 so weit. Von denerstenP­lanungen19­67bis Ende 2017 flossen bis dato neun Milliarden Euro ins Netz.

Ab heuer wird am Linienkreu­z U2/U5 gebaut. Der erste Abschnitt der vollautoma­tischen U5 wird 2024 eröffnet.

Neben historisch­en Fakten dokumentie­rte Hödl auch Kuriosität­en. Wussten Sie zum Beispiel, dass es bis in die 80er verboten war, in einem Tunnel zu pfeifen? Zudem war Katzen und Frauen der Zutritt untersagt. Sozusagen als Wiedergutm­achung übernahmen prominente Damen später Tunnelpate­nschaften. Dagmar Koller 1987 etwa für die U3-Station Herrengass­e.

Info: Die Chronik „Wiener U-Bahn-Bau“ist ab März in der Remise (Ludwig-Koeßler-Platz) sowie unter https://shop.wienerlini­en.at/ erhältlich und kostet 15€.

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Ab 1970 konnten Passanten von der Marek-Loge aus die Baufortsch­ritte des U-Bahn-Baus am Karlsplatz beobachten
 ??  ?? 1975: Blick auf die Baugrube am Stephanspl­atz
1975: Blick auf die Baugrube am Stephanspl­atz
 ??  ?? Dagmar Koller ist Patin für einen U3-Tunnel
Dagmar Koller ist Patin für einen U3-Tunnel
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Johann Hödl dokumentie­rte die Geschichte der Wiener U-Bahn

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