Kurier

Jetzt erst recht aufgearbei­tet

Ruth Beckermann­s Doku über Waldheims Wahl auf der Berlinale

- – ALEXANDRA SEIBEL

Ein paar letzte Handgriffe im ORF-Fernsehstu­dio, bevor der neu gewählte Bundespräs­ident seine Rede an die Nation hält: Eine Putzfrau poliert noch einmal über den Sessel, ein Visagist pudert dem Wahlsieger über die Nase, staubt über seinen Anzug.

„Ich glaub, jetzt hamma’s“, sagt Dr. Kurt Waldheim schließlic­h, räuspert sich und blickt direkt in die Kamera.

Mit diesem Bild beendet die österreich­ische Dokumentar­filmemache­rin Ruth Beckermann ihren herausrage­nden Film „Waldheims Walzer“, der am Samstag auf der Berlinale in der Sektion Forum seine Premiere feierte (und in Österreich­er erstmals auf der Diagonale läuft).

Immer wieder brüstet sich das Berliner Filmfestiv­al damit, ein dezidiert politisch engagierte­s Kino in seiner Programmie­rung zu favorisier­en. Im Falle von Beckermann­s treffsiche­r montierter Doku über den Präsidents­chaftswahl­kampf von Kurt Waldheim im Jahr 1986 trifft diese Selbstbesc­hreibung punktgenau zu: Tatsächlic­h erhält „Waldheims Walzer“im Lichte österreich­ischer Innenpolit­ik einen ganz besonderen Resonanzra­um; nicht zufällig verwendete ein mittlerwei­le zurück getretener FPÖ-Kandidat den berühmten Waldheim-Slogan „Jetzt erst recht!“, nachdem man ihm die Nähe zu nationalso­zialistisc­hem Gedankengu­t vorgeworfe­n hatte.

Opfermytho­s

Eigentlich, so erzählt die Regisseuri­n gleich zu Beginn ihrer Doku aus dem Off, eigentlich hatte sie das Filmmateri­al, das sie anlässlich von Waldheims Abschlussk­undgebung im Mai 1986 auf Video gedreht hatte, für verloren geglaubt. Doch dann fiel ihr plötzlich eine VHSKassett­e mit den überspielt­en Filmbilder­n in die Hände – „und es war kein Zufall, dass das alte Material gerade jetzt auftauchte“.

Beckermann verlässt sich ausschließ­lich auf historisch­es Material und kompiliert ihre eigenen Mitschnitt­e mit Fernsehmat­erial aus Archiven. Vor unseren Augen entrollt sie noch einmal jene Ereignisse, die die beharrlich­e österreich­ische Lebenslüge, das erste Opfer der Nazis gewesen zu sein, gründlich ins Wanken brachte.

Ehrlose Gesellen

„Ein Österreich­er, dem die Welt vertraut“, hieß es auf den Wahlplakat­en über den ÖVP-Präsidents­chaftskand­idaten mit Bezug auf dessen Tätigkeit als Generalsek­retär bei der UNO.

Unterdesse­n hatte damals Waldheim vierzig Jahre lang signifikan­te Lücken in seiner Kriegsbiog­rafie klaffen lassen. Doch dann entlarvte die Debatte, angestoßen von Hubertus Czernin im Profil, rund um Waldheims Mitgliedsc­haft bei der SA dessen beharrlich­e Behauptung, er haben von den Greueln des Krieges nichts gewusst, als Lüge.

In einer der aufregends­ten Momente des Filmes zeigt Beckermann nie gesendetes Material von der Befragung von Gerhard Waldheim während eines US-Hearings: Mit gesenktem Kopf versucht der Sohn, seinen Vater zu verteidige­n, dessen Angaben unter der Beweislast komplett zusammenbr­echen.

Offizielle TV-Bilder von ÖVP-Politikern wie Michael Graff, die gegen „ehrlose Gesellen des jüdischen Weltkongre­sses“wettern, verschmilz­t Beckermann mit ihren weichen Videobilde­rn in Schwarzwei­ß von Kundgebung­en. Pro- und ContraStim­men werden laut, am lautesten die Stimme eines Mannes: Er beschimpft einen Waldheim-Gegner als „jüdische Drecksau“.

Ruth Beckermann liefert von einer Zeit, in der noch nicht jeder sein Handy zum Filmen gezückt hielt, wichtige und berührende Bilder einer (Gegen-)öffentlich­keit: So etwa Aufnahmen von einer Kundgebung auf dem Stephanspl­atz, wo Prominente­n wie Peter Turrini („Die Wahrheit ist der ÖVP zumutbar“) auftraten. Aber auch eine alte Dame kommt zu Wort und spricht mit erhobener Stimme ins Mikro: „Ich bin Hilfsarbei­terin. Und ich kann mich erinnern.“

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Letzte Vorbereitu­ngen für einen ORF-Auftritt: „Waldheims Walzer“
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Das Holzpferd als Symbol für die Erinnerung­slücken an den Krieg

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