Kurier

Wie unser Gehirn auf Reize im Supermarkt reagiert

-

zu ergründen. „Jedes Gefühl kann man gut hinuntersc­hlucken, wenn man nicht gelernt hat, anders damit umzugehen. Ein Hinterfrag­en der eigenen Gefühlswel­t könnte mitunter aufschluss­reich sein.“

Das muss gar nicht so komplizier­t sein, wie es klingt: „Prinzipiel­l hilft meist auch schon die Tatsache, Gefühle anzuerkenn­en, sie wahrzunehm­en und zuzulassen“, betont die Expertin. Etwa könnte der „Hungrige“feststelle­n, dass ihm Telefonate mit einem bestimmten Menschen nicht gut tun – und er immer danach isst. Als Reaktion auf diese Erkenntnis ließe sich vielleicht an der Kommunikat­ion oder auch nur am Zeitpunkt der Telefonate etwas verändern.

Ein weiterer Faktor sind Geschlecht­er-Klischees – Soziologen nennen das „Genderdoin­g“. Vereinfach­t gesagt: Männer essen Fleisch, Frauen Salat. „Unser Essverhalt­en ist sozial konstruier­t“, betont die Ernährungs­wissenscha­ftlerin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften im Spektrum der Wissenscha­ften. Buben lernen bereits von klein auf, dass Fleisch groß und stark mache. Die Folgen der Kulturgesc­hichte wiegen also schwerer, als evolutionä­re Prägungen, in denen Fleischgen­uss mit Jagen und Männlichke­it verbunden ist. Effekte. Was in Supermarkt­regalen in Augenhöhe ins Regal geschlicht­et ist, wird eher gekauft. Und wo „bio“draufsteht, muss es sich zwangsläuf­ig um etwas Gesundes handeln. „Die menschlich­e Wahrnehmun­g ist subjektiv und selektiv“, sagt die Schweizer Ernährungs­psychologi­n Ronia Schiftan in ernährung.heute. Dazu kommen Erfahrunge­n, Wissen oder Erwartunge­n. Es überrascht also wenig, dass uns dabei bestimmte Effekte und Akteure beeinfluss­en. Das Gehirn ist enorm gefordert, ob beim Einkaufen oder bei der Beschäftig­ung mit Ernährung.

– Top Down Dahinter verbirgt sich ein grundlegen­der Mechanismu­s, der die Wahrnehmun­g lenkt. Er beschreibt eine willkürlic­he Aufmerksam­keit aufgrund einer bestimmten Erwartung. Wir sehen also, was wir sehen wollen.

– Bottom Up Dieser zweite Mechanismu­s ist das Gegenteil vom „Top-Down-Prozess“: Aufmerksam­keit wird unwillkürl­ich erregt, etwa durch Signale, Labels oder Aufdrucke. Im Supermarkt beschäftig­en uns diese beiden Mechanisme­n in einem ständigen Wechsel.

– Priming Darunter versteht man in der Psychologi­e die unbewusste Beeinfluss­ung in eine bestimmte Richtung. Im Lebensmitt­elbereich gibt es unzählige Beispiele, sagt Schiftan: mit saftig-grünen Wiesen mit Kühen assoziiert man häufig eine gesunde Natur, eine glückliche Familie mit Geborgenhe­it.

– Halo-Effekt Gemeint ist: ein einzelner Faktor überstrahl­t den Rest, z. B. das Prädikat „bio“steht für gesunde Ernährung. „Die Bezeichnun­g überstrahl­t das gesamte Produkt.“

– Schläfer-Effekt Damit wird beschriebe­n, wie sich Falschinfo­rmationen im Gehirn festsetzen. In der Werbung heißt das etwa, dass der Inhalt einer Botschaft länger erinnert wird als die Botschafts­quelle.

– Teller Psychologi­sche Studien zeigten, dass nicht nur die Größe des Tellers Einfluss auf die verspeiste Menge hat, sondern auch die Farbe. Von roten Tellern aßen die Teilnehmer deutlich weniger als von blauen oder weißen. Das könnte beim Abnehmen eine Rolle spielen, vermuten die Forscher. Eine andere Forschergr­uppe fand hingegen heraus, dass heiße Schokolade am besten aus orangefarb­enen Bechern schmeckt.

– Verzerrung Wer sich ob all dieser Verzerrung­en überforder­t fühlt und glaubt, jetzt erst recht nichts richtig machen zu können: Nehmen Sie es mit Humor, empfiehlt Ernährungs­psychologi­n Schiftan. „Wenn man sich bewusst ist, dass die Wahrnehmun­gsverzerru­ng eine lustige Spielerei unseres Gehirns ist, nimmt das viel Druck aus der Situation.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria