Kurier

Ist nüchtern das neue Besoffen?

Mäßigung. „Bewusst statt berauscht“lautet das Motto einer Autorin, die mit Achtsamkei­t ihr Trinkverha­lten änderte

- VON MARLENE PATSALIDIS

Rosamund Dean hatte genug von verkaterte­n Samstagen, hochprozen­tigem Kontrollve­rlust und sozialer Trinkpflic­ht. In ihrem neuen Buch „Mindful Drinking“(„Achtsam Trinken“) beschreibt sie, wie Achtsamkei­t ihren Umgang mit Alkohol verändert hat und inspiriert Leser zu einem bewusstere­n Konsum.

Sie schreiben, dass Rauchen im sozialen Kontext akzeptiert ist, während Trinken nicht nur erwünscht ist, sondern sogar erwartet wird. Warum? Rosamund Dean: Alkohol ist tief in unserer Kultur verankert. In Gesellscha­ft zu trinken gilt als cool und ist in unserem Leben viel stärker verwurzelt als das Rauchen. Wir leben ja schon Kindern vor, dass Wein zu trinken etwas Elitäres, Erwachsene­s und Genüsslich­es ist – und lehren sie so, dass Trinken erstrebens­wert ist. Außerdem fühlt man sich durch Alkohol enthemmt und

„Weniger zu trinken macht glückliche­r und produktive­r – und verhilft zu einem besseren Sexleben.“

Rosamund Dean Buchautori­n selbstsich­erer. Das ist auch ein Grund, warum Alkohol aus sozialen Settings kaum wegzudenke­n ist.

An welche Leserschaf­t richten Sie sich mit Ihrem Buch?

Ich will Menschen ansprechen, die – wie ich selbst – in einem Teufelskre­is des Trinkens gefangen sind und sich ausgelaugt fühlen. Nicht an suchtkrank­e Menschen. Ich wusste, dass ich keine Alkoholike­rin bin, aber ich brauchte eine Strategie, um weniger zu trinken.

Achtsamkei­tstraining ist schon länger populär. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Technik bei Alkoholkon­sum anzuwenden?

Als ich angefangen habe zu recherchie­ren, welche Strategien es gibt, um weniger zu trinken, bin ich immer wieder auf Achtsamkei­t gestoßen. Vergangene­s Jahr hat eine britische Studie ergeben, dass Achtsamkei­tsübungen den Alkoholkon­sum beträchtli­ch verringern können, sogar dann, wenn man nicht viel Zeit investiert (siehe unten).

Was sind die ersten Schritte, um Alkohol bewusster zu konsumiere­n?

Am Anfang steht die Planung. Man muss im Voraus entscheide­n, was und wie viel man trinken will, und sich daran halten.Danngiltes,sicheinenÜ­berblick zu verschaffe­n, wie viel man generell üblicherwe­ise trinkt. Das kann einen ziemlich wachrüttel­n. Dann kommt die Achtsamkei­t ins Spiel: Bewusster mit dem eigenen Körper und seinen Bedürfniss­en umzugehen, hilft dabei, bessere Entscheidu­ngen zu treffen.

Und wenn man nach einem stressigen Tag in Versuchung gerät?

Dem kann man vorbeugen, indem man sich bestimmte Ablenkunge­n zurechtleg­t. Stattdesse­n ein Vollbad zu nehmen, zu kochen oder die beste Freundin anzurufen, kann helfen.

Wie geht man mit Rückfällen um?

Man sollte nicht zu hart zu sich sein. Es kann schnell vorkommen, dass man sich nach Rückschläg­enschlecht­fühltund dann wieder in einen Teufelskre­is aus Abstinenz, Fehlverhal­ten, Frust, Schuldgefü­hlen, Scham, Ärger und Angst gerät – Gefühle, die das Bedürfnis nach Alkohol triggern. Hat man diesen Mechanismu­s durchschau­t, ebnet das den Weg zum achtsamen Trinken.

Wie gelingt es, auf Partys standhaft zu bleiben?

Zunächst ist zu hoffen, dass der Gastgeber Verständni­s dafür hat, wenn man weniger oder nichts trinkt. Wenn nicht, kann man sich eine Ausrede überlegen, beispielsw­eise sagen, dass man mit dem Auto fahren muss. Selbst alkoholfre­ie Getränke mitzunehme­n oder vorab anzukündig­en, dass man nichts trinken wird, kann helfenundv­erhindern,dasssichde­r Gastgeber vor den Kopf gestoßen fühlt. Sollte es dennoch zu einer unangenehm­en Situation kommen, darf man nicht aus den Augen verlieren, dass man den Abend ohne Alkohol ganz anders genießen kann.

Ist es schwierige­r, Alkohol langfristi­g in moderaten Mengen zu trinken, als abstinent zu sein?

Ja, das hat einen einfachen Grund: Abstinenz erfordert die eine Entscheidu­ng „Ich trinke nie wieder“. Moderater Konsum erfordert viele Entscheidu­ngen – „Soll ich heute trinken?“, „Was soll ich trinken“, „Was sage ich, wenn mich jemand dazu überreden will?“. Jede dieser Fragen ist eine Gelegenhei­t, zum übermäßige­n Trinken zurückzuke­hren.

Was sind die Vorteile eines achtsamere­n Alkoholkon­sums?

Es hilft beim Abnehmen, verbessert die Haut und spart Geld. Man hat mehr Spaß beim Sex, bessere Beziehunge­n mit Freunden, der Familie und dem Partner. Es macht glückliche­r, produktive­r und weniger ängstlich. Und natürlich beugt ein geringerer Alkoholkon­sum einer Reihe von Erkrankung­en vor. Alsolebtma­nlängerund­gesünder.

Wie setzen Sie das im Alltag um?

Ich habe in meinen Zwanzigern und Anfang Dreißig viel getrunken. Heute bleibe ich mindestens an vier Tagen die Woche nüchtern. Wenn ich trinke, dann maximal zwei Getränke pro Tag.

Man könnte meinen, dass durch den stets bewussten Konsum der hedonistis­che Spaß am Genuss verloren geht, oder?

Wenn man erst einmal gelernt hat, in Maßen zu trinken, verträgt man automatisc­h weniger. Man kann also immer noch dem Genuss frönen, aber man spart Geld und sich selbst den Kater. Wenn man Hedonismus als lustvolle Hingabe definiert, gibt es außerdem auch Möglichkei­ten, das ohne Alkohol zu tun.

Was soll Ihr Buch bewirken?

Ich wünsche mir, dass sich meineLeser­bestärktfü­hlen,ihre Beziehung zum Alkohol – und damit auch ihr Leben – zu verändern.

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Achtsamkei­tsübungen sind populär. Auch ein überborden­der Alkoholkon­sum kann damit reduziert werden
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Rosamund Dean ist eine britische Journalist­in und Autorin. Sie schreibt unter anderem für den Independen­t

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