Kurier

Einhorn an der Endstation Sehnsucht

Kritik. David Bösch gelingt im Akademieth­eater eine leise, geheimnisv­olle, beeindruck­ende Inszenieru­ng von „Die Glasmenage­rie“.

- VON GUIDO TARTAROTTI

Im Jahr 1944 schrieb Tennessee Williams „Die Glasmenage­rie“– mit dem Hintergeda­nken, Generation­en von Englischsc­hülern quälen zu können, die bei Schularbei­ten schwermüti­ge Interpreta­tionen über das Symbol des Einhorns abliefern mussten.

Nein, Unsinn. „Die Glasmenage­rie“ist Williams’ Abrechnung mit der eigenen Familie. Wir sehen drei Gespenster, lebendig begraben in einer billigen Wohnung. Alle drei haben kein Leben, sondern nur Träume. Die Mutter lebt in Erinnerung­en an die eigene Jugend als umschwärmt­e Südstaaten­Schönheit, der Sohn (der die Familie erhalten und ihr den geflüchtet­en Vater ersetzen muss) flieht in den Suff und ins Kino, die körperbehi­nderte, von Sozialphob­ien geschüttel­te Tochter widmet sich ihren Glastieren.

Der Besuch eines jungen Mannes bringt Hoffnung. Er f lirtet und tanzt mit der Tochter,zerbrichtd­abei(Achtung, Symbol-Alarm!) deren geliebtes Einhorn, gesteht, dass er verlobt ist, und verschwind­et. Die Familie bleibt resigniere­nd zurück. Ob es der Sohn bei seinem nächsten Fluchtvers­uch tatsächlic­h bis aufs Meer schafft, oder doch wieder nur bis ins Kino, bleibt offen.

David Bösch – dieses große, von wilder Fantasie angetriebe­ne Theaterkin­d – inszeniert diesen Text wunderbar unaufdring­lich, sparsam, voller Vertrauen auf die Kraft des Textes und die Kraft seiner Darsteller. Dabei gelingen ihm auch wieder die unvergleic­hlichen, wortlosen Bösch-Momente voller Poesie: Etwa, wenn Laura unter dem Dachlukenf­enster im Mondlicht steht (tolles Bühnenbild: Patrick Bannwart), und der schwere Südstaaten­regen verwandelt sich plötzlich in Goldflitte­r. (Am Ende steht sie an der selben Stelle, und aus dem Gold wird wieder Wasser.)

Großartig merkwürdig

Sarah Viktoria Frick, diese wunderbare, merkwürdig­e Schauspiel­erin, spielt die Laura gegen das Klischee, nämlich nicht hauchig oder tölpelhaft-verhuscht. Diese Laura ist eine erwachsene Frau, die um ihre Defizite weiß – sie meidet das soziale Leben, weil ihr klar ist, dass sie dort nicht bestehen kann. Ihre Glastiere sind grobe, aus Abfall zusammen gebaute Objekte, die erst im Schattenri­ss oder in der Fantasie zarte Formen annehmen.

Merlin Sandmeyer, der seitlangem­indiversen­Rollen positiv auffällt, spielt Lauras Bruder Tom als Gefangenen der Endstation Sehnsucht. Mit Bier, Zigaretten und Überdosen von HollywoodK­itsch betäubt er sein „hungry heart“und seine Wut auf die Mutter, die ihn mit allem Mitteln gefangen hält. Eine großartige Darstellun­g.

Regina Fritsch gibt diese Mutter unter Aufbietung all ihrer großen darsteller­ischen Kräfte – fällt aber stellenwei­se in ganz eigenartig­e Übertreibu­ngen. Martin Vischer ist als „netter junger Mann“zwischen Selbstverl­iebtheit und Unsicherhe­it sehr stark.

Großer Premierenj­ubel für eine leise, poetische, geheimnisv­olle, beeindruck­ende Vorstellun­g.

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