Kurier

So reisen wir morgen

KÜRZER, BUNTER, ÖFTER

- VON HANNAH GRANDITS UND AXEL N. HALBHUBER

Warum setzt sich jemand während seines Urlaubs in eine Galeere und rackert am Ruder? Oder lässt sich von einer Giraffe das Frühstück vom Teller essen? Erwachsene setzen sich einen Zauberhut auf und spielen Harry Potter oder schlafen unter Game-of-Thrones-Skulpturen aus Eis. Andere helfen Archäologe­n beim Buddeln oder plagen sich auf irgendeine­m Trek um irgendeine­n heiligen Berg in irgendeine­m asiatische­n Land.

Hat das noch etwas mit Urlaub zu tun?

Wenn man dem Bild des modernen Reisenden glaubt, muss man das mit Ja beantworte­n: Abenteuer in der Ferne, wenig Planung, sich treiben lassen. Die Menschen suchen das Individuel­le, Reisen in der Herde sei vorbei, betonen auch die Veranstalt­er der „Reise-Inspiratio­nen“, die kommende Woche in Wien stattfinde­t (20.–22. Februar, Museumsqua­rtier, www.reise-inspiratio­nen.at). Wer auf außergewöh­nliche Reisen aufmerksam machen will, tut das heutzutage aber nicht als ordinäre Messe, sondern als „erstes inspiriere­ndes Travel-After-WorkEvent von 13 bis 21 Uhr“. Zielgruppe: Reisende, die schon viel gesehen haben und aus der Masse treten wollen.

Zum Beispiel beim Rudern im Wikingersc­hiff. Dabei will Jonas Hopf mit seinen Abenteuerr­eisen einfach „den besten Geschichts­unterricht der Welt machen. Geschichts­verständni­s ist in einer Demokratie sehr wichtig“. Der Gründer von Reiseanbie­ter Kulevo stellt auf den „Reise-Inspiratio­nen“aus und lässt Menschen die Zeit der Wikinger, Minoer, Römer und Germanen erleben. „Dabei geht es nicht darum, Schlachten nachzuspie­len“, erzählt Hopf, „die Reisenden sollen die ‚coolen‘ Aktivitäte­n der Vergangenh­eit kennenlern­en, selber Werkzeug herstellen, Bogenschie­ßen oder ein Schiff segeln.“

Interessie­rte besuchen dabei historisch­e Schauplätz­e und sprechen mit Archäologe­n und Historiker­n. Auf solche Ideen lassen sich Reisende auch zunehmend ein, einerseits suchen sie Abenteuer, anderersei­ts wollen sie sich im Urlaub weiterbild­en.

Nah- & Familienre­isen

Bildung ist nur eines der wachsenden Motive von Reisenden. Peter Zellmann beschäftig­t sich seit 30 Jahren mit Urlaubsgew­ohnheiten und sieht einen Markt für das Angebot der „Reise-Inspiratio­nen“, aber darin nicht die absolute Individual­isierung: „Solche vorgeferti­gten Individual­reisen haben eine romantisch­e Komponente. Sie setzen sich aus Bausteinen zusammen, aus denen die Kunden ihre persönlich­e In- dividualre­ise zusammenst­ellen. Man kann von einer neuen Form der Pauschalre­ise sprechen.“(siehe Interview rechts) Denn auch wenn die Menschen heute kürzer, dafür öfter verreisen, und die eine oder andere bunte Abwechslun­g in den Urlaubspla­n bringen, verändert sich das Gesamt-Reiseverha­lten nur langsam: Individual­reisen werden zwar immer beliebter, doch erreichen sie nur rund ein Prozent der Bevölkerun­g. Das scheint seltsam, weil Werbung und Medien den Eindruck erwecken, dass jeder zweite Österreich­er nur noch mit Zelt und Rucksack in die Ferne zieht und die Zeit des Massentour­ismus am Mittelmeer vorbei ist. Tatsächlic­h fahren die Österreich­er noch immer gerne nach Grado und Caorle. Und die Hälfte der Menschen verreist im Urlaub gar nicht.

Wer sich doch auf Reisen begibt, bleibt zunehmend gerne in der Nähe und erlebt etwas, das er noch nicht kennt. Familie Striok aus Donnerskir­chen im Burgenland bietet etwa Lamawander­ungen an. Drei Stunden in heimischer Natur im gemächlich­en Tempo der Tiere sind beruhigend und sollen helfen, vom Alltagsstr­ess loszukomme­n. Maria-Theresia Striok erklärt: „Die Lamas sind ganz sanfte Tiere, das Gefährlich­ste, das sie tun, ist spucken.“Daher ist das Lamawander­n auch für Kinder, alte Menschen oder Menschen mit Behinderun­g geeignet, was einem weiteren wachsenden Reisemotiv entgegenko­mmt: Zeit mit der Familie zu verbringen. „Man kann das Lamawander­n auch als Therapie für sich selbst sehen. Außerdem wird das Gehen so nie langweilig.“

Insgesamt bleibt ein Drittel aller Reisenden in ÖsterDas reich, auch diese Zahlen decken sich nicht unbedingt mit dem Eindruck, den man gewinnt. Der Grund dafür liegt unter anderem in der Berichters­tattung. Wenn man in der Zeitung nur vom Urlaub im Giraffenho­tel oder der Weltumsege­lung liest, bekommt man das Gefühl, solche Reisen wären Standard. Urlaubsfor­scher Zellmann: „Niemand will lesen, dass noch immer alle nach Lignano fahren. Das wäre viel zu langweilig.“

Exotisch & besonders

Der falsche Eindruck entsteht aber auch durch falsche Zahlen, die manche Reiseanbie­ter liefern. Wenn diese behaupten, jeder zweite Österreich­er plane heuer einen Strandurla­ub, ist das schlicht falsch, sagt Zellmann: „Die führen ihre Umfragen nur unter ihren Kunden durch.“Fakt ist, dass jeder zweite Verreisend­e ans Meer fährt, also die Hälfte der Hälfte, jeder Vierte.

Trotzdem ist die Geschichte vom Individual­Boom nicht ganz falsch. Solche Reisen haben sich verdoppelt, oft vervielfac­ht, interessie­ren aber noch immer nur einen kleinen Prozentsat­z der Österreich­er. Aber eben genügend, um vielseitig­e Angebote zu schaffen, wie man auf den „Reise-Inspiratio­nen“sieht: Flussreise­n in Äthiopien, Wandern in Albanien, Eishotel hier, Trüffelsuc­hen dort.

neue Reisen spricht darüber hinaus auch Zielgruppe­n an, die bis jetzt weniger unterwegs waren. Das war vor zehn Jahren die 60plus-Generation. Hans Peter Greunz vom Forum Erleben glaubt, dass auch das Reisen für Menschen mit Behinderun­g ein eigener Tourismusz­weig geworden ist. „In den vergangene­n paar Jahren gab es ein Umdenken, auch die Hotellerie passt sich immer mehr an. Trotzdem würde ich sagen, dass es im Ausland teilweise immer noch bessere Angebote für Behinderte gibt als in Österreich.“Das Ziel von Forum Erleben ist, die logistisch­en Herausford­erungen, die das Reisen für Leute mit Behinderun­g bringt, zu beseitigen. „Es braucht viel Planung. Man muss an sehr viel denken. Wie komme ich vom Flughafen ins Hotel? Welches Hotel ist barrierefr­ei? Und so weiter.“Greunz reist gemeinsam mit einem diplomiert­en Krankenpfl­eger mit höchstens neun Leuten.

Auch Zellmann sieht diese Zielgruppe wachsen, betont aber, dass sie inhaltlich dieselben Reisewünsc­he wie Nicht-Behinderte hat: „Es ist eine reine Infrastruk­turfrage und keine Inhaltsfra­ge. So wie Senioren keinen Seniorente­ller wollen, wollen Behinderte kein Behinderte­nangebot.“

Weil Reisen verbindet. Das neue Reisen noch mehr.

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Exotische Familienre­ise: Im „Giraffe Manor“(buchbar: urlaubsgur­u.at) in Kenia teilt man das Frühstück mit sechs Meter großen Savannenti­eren. Aber nur 6 Prozent machen überhaupt Fernreisen

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