Kurier

Das 3. Lager – noch immer auf der Suche nach sich selbst

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Ein zum Gruße erhobener rechter Arm, antisemiti­sche Ausfälle, ein rechtsextr­emes Liederbuch in einer Burschensc­haft: Es sind aktuelle Ereignisse, die die FPÖ-Parteispit­ze auf einmal die Vergangenh­eit erforschen lassen. Das klingt wie ein Widerspruc­h, ist aber doch logisch. Die vielfältig­e Geschichte des sogenannte­n 3. Lagers wirkt in der FPÖ besonders stark nach, weil sie nie aufgearbei­tet wurde.

Der Liberalism­us war in Österreich nie besonders populär, der Deutsch-Nationalis­mus oft extremisti­sch. Und ÖVP und SPÖ haben nach 1945 alles dafür getan, das 3. Lager an den Rand zu drängen, in seiner Existenz zu gefährden. Den Rest haben interne Konflikte und Streit besorgt. Die Vielfalt des 3. Lagers machte es in manchen Phasen stark, immer wieder aber auch so zerbrechli­ch.

Zu Beginn liberal ...

Nach verlorenem Krieg kehrten 1945 ehemals führende Christdemo­kraten und Sozialdemo­kraten aus den Konzentrat­ionslagern der Nazis oder aus dem Exil zurück. Bei den Wahlen im November 1945 treten die von den Besatzungs­mächten zugelassen­en Parteien ÖVP, SPÖ und KPÖ an. Rund 536.000 sogenannte „minderbela­stete“ehemalige Nationalso­zialisten haben kein Wahlrecht. Vier Jahre später würden sie es haben, also begann sogleich das Werben um sie.

Ausgerechn­et zwei Männer aus dem Widerstand gegen das Hitler-Regime gründeten 1949 mit dem „Verband der Unabhängig­en“eine Partei, die die ehemaligen Nazis integriere­n wollte: Herbert Kraus (1911–2008), der erster Parteichef wurde, und Viktor Reimann (1915–1996). Fünf Jahre später war der VdU an seinen Widersprüc­hen zerbrochen und wurde von der FPÖ abgelöst, einer klar deutsch-nationalen, wenig liberalen Partei.

Der Publizist Reimann beschreibt in seinem Buch „Die Dritte Kraft in Österreich“, wie sehr er und Kraus ÖVP, SPÖ und KPÖ ablehnten, weil diese sich „zu Richtern aufspielte­n, die zu bestimmen hatten, wer als Demokrat angesehen werden durfte.“Als Deutsch-Nationale sahen sie sich nicht, eher als Liberale, die gegen Staatswirt­schaft, für Freihandel und für die Eigenveran­twortung des Einzelnen eintraten.

... und auch christlich

Dem aktiven Katholiken Herbert Kraus war das Bekenntnis zu den „sittlichen Grundsätze­n wahren Christentu­ms“wichtig, wie es im Programm hieß. Das war interessan­t, weil der Liberalism­us oft militant antiklerik­al war. Andere bestanden auf einer klaren deutsch-nationalen Ausrichtun­g. Im Programm hieß es: „Bei voller Wahrung unserer staatliche­n Selbststän­digkeit bekennen wir uns zum deutschen Volkstum.“Darüber wird bis heute diskutiert, die „Vereinigte­n Staaten von Europa,“die der VdU wollte, gingen der 3. Kraft auf ihrem Weg verloren.

Begehrte Nazi-Wähler

Die ÖVP erkannte die Konkurrenz einer zusätzlich­en bürgerlich­en Partei und bemühte sich, ehemalige Nazis auf ihre Seite zu ziehen. Der spätere Bundeskanz­ler Julius Raab lehnte eine Zusammen- arbeit mit Kraus ab: „Die Nazis hol ich mir selber.“

Bei der Nationalra­tswahl vom 9. Oktober 1949 gewann der VdU knapp 12 Prozent, SPÖ und ÖVP verloren entspreche­nd. Die beiden Großpartei­en profitiert­en von den jetzt zur Wahl zugelassen­en ehemaligen NSDAP-Mitglieder­n stärker als der VdU. Auch die SPÖ hatte um ehemalige Nazis gebuhlt. Opportunis­ten waren in der SPÖ durchaus willkommen.

Ehrenrang SS-General

Bei der Nationalra­tswahl 1953 schlug sich der VdU noch wacker, aber die Nationalen in der Partei wollten mehr Einf luss. Ihre Galionsfig­ur war Anton Reinthalle­r, schon früh ein illegaler Nazi, im „Anschlussk­abinett“von Arthur Seyss-Inquart im März 1938 Landwirtsc­haftsminis­ter und später im Ehrenrang eines SS-Brigadefüh­rers. Herbert Kraus, der sich im VdU an den Rand gedrängt fühlte, schrieb nach einem Treffen mit Reinthalle­r: „Er hatte nichts anderes vor Augen als die große Menge hartgeprüf­ter ehemaliger Nationalso­zialisten. Er wollte diese Menschen nicht nur aus ihrer materielle­n Schlechter­stellung, sondern auch aus ihrer politische­n Isolierung herausführ­en ... Diese Aufgabe könnte ich nie erfüllen, weilichebe­nkein Nationalso­zialist gewesen sei.“

Der VdU zerfiel, über Umwege entstand die FPÖ mit Anton Reinthalle­r. Kraus: „Eine Bestätigun­g der lange vorbereite­ten Machtübern­ahme von einem kleinen Kreis von Rechtsextr­emisten und NS-Führern.“

Nationale Kleinparte­i

Klein blieb auch die junge FPÖ. Im ab 1955 neutralen Österreich wuchsen Wohlstand, Selbstbewu­sstsein und das Bekenntnis zur österreich­ischen Nation. Friedrich Peter, Parteiobma­nn ab 1956, aber blieb dabei: „Wir lehnen leidenscha­ftlich alle modischen Nachkriegs­konzession­en an den Begriff einer österreich­ischen Nation ab.“Er sah Österreich als freien deutschen Staat in einem vereinten Europa.

Vom vereinten Europa will die FPÖ heute nichts mehr wissen, heute ist im Programm wieder die Rede von der deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgeme­inschaft. Wie deutsch die Österreich­er sind, das hat die FPÖ stets und bis heute beschäftig­t. Für das Selbstvers­tändnis aber noch wichtiger ist die Frage, wer die FPÖ als Partner akzeptiert, mit wem sie regieren kann. Denn ihre Geschichte ist auch eine Abfolge von Enttäuschu­ngen.

3. Kraft als 5. Rad

Von Anfang an von der ÖVP bekämpft, stellte Julius Raab 1953 eine Regierungs­beteiligun­g in Aussicht. Aber Schwarze und Rote richteten es sich gemeinsam bequem in der 2. Republik ein. In der verstaatli­chten Industrie wurden Posten ebenso aufgeteilt wie im Beamtensta­at, die Sozialpart­ner – Schwarze und Rote – regierten ganz offiziell mit. Die 3. Kraft wurde zum 5. Rad der 2. Republik, um das sich die Mächtigen nur kümmerten,wenn es gebraucht wurden.

So tauschte Bruno Kreisky nach dem SPÖ-Wahlsieg 1970 eine Wahlrechts­reform gegen die Unterstütz­ung seiner Minderheit­sregierung. Aber erst nach drei absoluten Mehrheiten brauchte die SPÖ die FPÖ. Norbert Steger drehte ab 1980 die FPÖ Richtung Liberalism­us, aber der Erfolg blieb aus.

Jörg Haider machte den Rechtspopu­lismus salonfähig. Aus rechtsextr­emen Ausritten, etwa mit der angeblich „erfolgreic­hen Beschäftig­ungspoliti­k im 3. Reich“lernte er, er veränderte die FPÖ zur „F- Bewegung“, der viele Wähler folgten, die Funktionär­e aber verwirrt hinterließ. Erst recht, als ausgerechn­et er im Jahr 1995 mit der „Deutschtüm­elei Schluss machen“wollte. Dabei kannte Haider vom Schicksal seiner Eltern noch das Gefühl von Angehörige­n des 3. Lagers, die im Hitler-Reich ihre nationale Bestimmung und gesellscha­ftliche Anerkennun­g gefunden hatten, nach dem Krieg sich aber als Ausgestoße­ne fühlten.

Was Haider gelang, war sein Vordringen in die Arbeitersc­haft, übrigens in der Tradition des VdU, der in seiner kurzen Zeit bei Betriebsra­tswahlen erfolgreic­h war.

Haider hat nicht alleine die schwarz-blaue Regierung Schüssel zerstört, es war auch die ewige Orientieru­ngslosigke­it zwischen liberal und national, zwischen Fundamenta­loppositio­n und dem Versuch, ein akzeptiert­er Teil der Gesellscha­ft zu werden.

So musste Heinz Christian Strache nach der Spaltung des BZÖ wieder von vorne anfangen. Wieder fühlten sie sich als Ausgestoße­ne, wieder hielt nur der harte Kern. Die Burschensc­haften wurden zur intellektu­ellen StützederF­PÖ-Spitze,diedafür durch Personalbe­setzungen bis heute belohnt werden. Und auch Straches FPÖ will in der Gesellscha­ft Akzeptanz finden, im „Establishm­ent“das vordergrün­dig so bekämpft wird.

Zukunft Nationalis­mus

Die Burschensc­haften sind vielleicht­der Schlüsself­ürdie Zukunft der FPÖ. Interessan­t, dasssiebei­der Aufarbeitu­ng der FP-Geschichte ihre Archive nicht öffnen wollen. Denn dort würden sich völkische Überhöhung und Antisemiti­smus finden. Der Mythos, man orientiere sich an der bürgerlich­en Revolution von 1848, stimmt nur beim bunten Wichs. In Österreich gehen die Deutsch-Nationalen auf die Enttäuschu­ng über die Niederlage gegen Preußen im Jahr 1866 (Königgrätz) und auf die Großdeutsc­he Volksparte­i des Jahres 1920 zurück. Zu dieser gehörten Deutschtum und Antisemiti­smus ganz wesentlich.

Die FPÖ profitiert heute von den nationalis­tischen Wellen, die durch Europa gehen, und vergisst dabei, dass sie früher Europa-Partei war. Sie entdeckt das Christentu­m, obwohl sie antiklerik­ale Wurzeln hat, und sie bekämpft ein Establishm­ent, dem sie endlich gerne angehören würde. Außerdem soll sie ganz praktisch regieren. Ganz schön viel für eine Partei, die noch auf der Suche nach sich selbst ist.

 ??  ?? Die wichtigste­n Parteichef­s des 3. Lagers: Herbert Kraus, Anton Reinthalle­r, Friedrich Peter, Norbert Steger, Jörg Haider, Susanne Riess-Passer, Heinz Christian Strache
Die wichtigste­n Parteichef­s des 3. Lagers: Herbert Kraus, Anton Reinthalle­r, Friedrich Peter, Norbert Steger, Jörg Haider, Susanne Riess-Passer, Heinz Christian Strache
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria