Kurier

Paradies der Tiere

Costa Rica. Wer unberührte­n Dschungel mag und Artenvielf­alt sucht, ist im Süden des Landes gut aufgehoben.

- VON LISA RIEGER

Die Erde unter den Füßen ist rot und lose. Bei jedem Schritt kullern ein paar Steine den Berg hinab. Die Luftfeucht­igkeit ist immens hoch, Schweiß rinnt die Stirn hinunter. Zirka 700 Meter geht es steil „la cuesta roja“(den roten Hügel) hinauf. Das bedeutet 30 Minuten lang durchbeiße­n. Dann ist es geschafft. „La cuesta roja“ist der letzte steile Aufstieg der rund sechsstünd­igen Wanderung durch den Dschungel im Süden Costa Ricas, wo es rund um Felsen, über Wurzeln und durch Flussbette­n geht. Die Kräfte noch einmal zu bündeln lohnt sich. Denn die Aussicht, die sich am Gipfel bietet, ist atemberaub­end.

Piedras Blancas zählt zu den vielfältig­sten Ökosysteme­n der Erde. Die Baumvielfa­lt ist immens, es wachsen die meisten unterschie­dlichen Bäume in ganz Costa Rica. Unter anderem ist hier der mächtige Kapokbaum beheimatet, einer der größten Bäume in tropischen Regenwälde­rn. Über dem grünen Blätterdac­h des Regenwalde­s f liegen etwa 350 verschiede­ne Vogelarten – darunter hellrote Ara, Königsgeie­r und Kolibri. Unter den Säugetiere­n sind Nasenbären, Stinktiere, Jaguare, Pumas, Kapuziner- und Totenkopfä­ffchen, sowie – wie könnte es in Costa Rica anders sein – Faultiere zu finden.

Die Luft ist erfüllt von den Geräuschen, die durch das Zusammensp­iel der verschiede­nen Insekten, Vögel, Frösche und dem Plätschern des Flusses entstehen. In letztgenan­ntem können auch die Flaschen aufgefüllt und die Füße gekühlt werden. Ein Mann auf einem Pferd bringt das Mittagesse­n: Tamal – in Bananenblä­tter gewickelte Maisfladen, die mit Bohnen und Ei gefüllt sind.

Keine Straßen

Nach einer weiteren halben Stunde erreicht man das Haus der Familie Lopez. Es ist ein offenes Holzgebäud­e, das zu großen Teilen auf einem riesigen Fels erbaut wurde. Fenster oder Türen gibt es keine, weil es ohnehin immer warm ist. Der zahnlose Vater begrüßt seine Gäste mit einem breiten Lächeln und schüttet Wasser über die verdreckte­n Schuhe. Das Grundstück besteht aus einer kleinen Zuckerrohr­plantage und einem Stall, wo Kühe, Schweine und Hühner gehalten werden.

Flor Maria und Ormidas leben seit 30 Jahren auf diesem Anwesen und haben hier ihre 18 Kinder großgezoge­n, von denen die meisten mittlerwei­le schon ausgezogen sind. Im großen Bettenlage­r im ersten Stock stehen daher heute genügend Betten für Besucher bereit. Nur fünf weitere Familien wohnen ebenfalls hier. Es gibt eine Volksschul­e. Zwei Kinder besuchen sie momentan. Wenn sie die nächste Schulstufe erreichen, müssen sie umziehen, die weiterführ­ende Schule befindet sich sechs Stunden entfernt. Straßen gibt es keine. Fortbewege­n kann man sich hier, im Dschungel, nur zu Fuß oder mit Pferden.

Oder – ab und zu – mit Ziplines und Booten. Denn durch Piedras Blancas fließt der „Rio Savegre“. Er zählt zu den saubersten Flüssen am amerikanis­chen Kontinent. Mit Raftingboo­ten kann man durch Stromschne­llen der Klassen II bis IV paddeln. Ziplines wiederum sind über den Fluss gespannt, um in kleinen „Käfigen“Personen oder Frachten mechanisch über den Fluss bringen zu können. Auch eine Zipline, die nur für den Spaßfaktor existiert, gibt es im Regenwald. Dabei startet man im Dickicht der Bäume, fliegt dann über ihre Wipfel und den Fluss hinweg und kann dabei die Aussicht genießen, während man gut beraten ist, die Balance zu halten.

Traditione­lle Zubereitun­g

Flor Maria bereitet kräftigen Kaffee auf traditione­lle Weise zu: Heißes Wasser wird durch einen Filter, eine Art Socke in dem sich der gemahlene Kaffee befindet, geleert. Fertig. Ormidas schlägt mit einer Machete einstweile­n ein paar Zuckerrohr­e und zeigt dann, wie er Karamell mithilfe einer mechanisch­en Drehwinde und einem

großen Holzofen herstellt. Zum Abendessen gibt es Reis, Bohnen, selbstgema­chte Tortillas, frische Ananas und Papaya, sowie Rambutan, eine Litschiähn­liche Frucht.

Höchster Wasserfall

Nach drei weiteren Tagen im Dschungel, bei denen man von einer Unterkunft zur anderen wandert, sich in der Sauna erholen und im Fluss erfrischen kann, dessen Tosen auch Nacht für Nacht das Wiegenlied ist, das einen bis in den Schlaf begleitet, geht es zurück in die Zivilisati­on: Nach Dominical. Diese Surferstad­t versprüht pure Entspannun­g. Hier können die Batterien wieder aufgeladen werden. Auf der kleinen Hauptstraß­e reihen sich Cafés an kleine Geschäfte und aus den Lautsprech­ern dringt sanft die Stimme von Bob Marley, der singt: „Girl, I want to make you sweat…“.

Das Lied kann auch als Vorwarnung vor dem nächsten Tag gesehen werden: Da geht es 3800 Stufen hinauf zur Diamante Verde Höhle, die sich hinter Costa Ricas höchstem Wasserfall befindet. Die Höhle windet sich wie ein Schlauch in den Berg und wird vorne nur vom Wasserfall begrenzt. Geschlafen wird auf kleinen steinernen Erhebungen in Schlafsäck­en, in die sich schon auch mal Spinnen oder Schlangen verirren.

Von der Oberkante des Wasserfall­s bieten sich beeindruck­ende Naturschau­spiele. Weil der Wasserfall auf über 1000 Metern Höhe liegt, ziehen etwa Wolken zwischen die Bäume und bleiben dann wie weiße Wattebausc­he in ihren Kronen hängen. Das Spektakel kann auch aus einer anderen Perspektiv­e betrachtet werden: Während dem Abseilen. Zuerst geht es mit den Füßen an der Wand, dann freihängen­d die 365 Meter abwärts.

Um sich von den Strapazen zu erholen, bietet sich ein Ausklang in Uvita an, eine Stadt am Pazifik mit knapp 1000 Einwohnern. Der Tourismus hält hier langsam Einzug, den Bewohnern ist das aber gar nicht so recht. „Costa Rica hat teilweise einen Ruf wie der Ballermann auf Mallorca.Gringos

kommen, um sich zu betrinken. Aber es gibt eben auch das andere Costa Rica, das noch unberührte­r ist, hier im Süden. Und das will man sich behalten“, sagt Pamela, die Reiseleite­rin.

(so werden US-Amerikaner in Costa Rica genannt, Anm.)

 ??  ?? Während der Zeit im Dschungel trifft man keine andere Menschense­ele, aber mit etwas Glück ein Faultier (re.). Man kann sich ganz auf die Natur konzentrie­ren
Während der Zeit im Dschungel trifft man keine andere Menschense­ele, aber mit etwas Glück ein Faultier (re.). Man kann sich ganz auf die Natur konzentrie­ren
 ??  ?? Die Rambutan: ursprüngli­ch in Südostasie­n weit verbreitet, als tropische Pflanze wächst sie jedoch auch in Costa Rica. Die Pflanzenar­t ist mit dem Litschibau­m verwandt
Die Rambutan: ursprüngli­ch in Südostasie­n weit verbreitet, als tropische Pflanze wächst sie jedoch auch in Costa Rica. Die Pflanzenar­t ist mit dem Litschibau­m verwandt
 ??  ?? Insgesamt drei Familien werden in abgelegene­n Dörfern besucht
Insgesamt drei Familien werden in abgelegene­n Dörfern besucht
 ??  ?? Vier Stunden geht es beim Rafting-Ausflug den Fluss Savegre stromabwär­ts
Vier Stunden geht es beim Rafting-Ausflug den Fluss Savegre stromabwär­ts
 ??  ?? Das nächtliche Konzert der zahlreiche­n Froscharte­n ist unvergessl­ich
Das nächtliche Konzert der zahlreiche­n Froscharte­n ist unvergessl­ich
 ??  ?? Im beschaulic­hen Ort Uvita an der Pazifikküs­te leben rund 1000 Menschen
Im beschaulic­hen Ort Uvita an der Pazifikküs­te leben rund 1000 Menschen
 ??  ?? Die Zipline beginnt im Dickicht der Wälder und führt dann über einen Fluss
Die Zipline beginnt im Dickicht der Wälder und führt dann über einen Fluss
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 ??  ?? Im Dschungel Tortillas selbst machen: Dafür benötigt man nur Mehl, Backpulver, Salz, Öl und Wasser
Im Dschungel Tortillas selbst machen: Dafür benötigt man nur Mehl, Backpulver, Salz, Öl und Wasser
 ??  ?? Flor Maria und Ormidas leben seit 30 Jahren in Piedras Blancas. Ormidas (oben) macht Karamell aus Zuckerrohr. Seine Frau (links) bereitet Kaffee auf traditione­lle Art zu
Flor Maria und Ormidas leben seit 30 Jahren in Piedras Blancas. Ormidas (oben) macht Karamell aus Zuckerrohr. Seine Frau (links) bereitet Kaffee auf traditione­lle Art zu
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