Kurier

Globale Spannungen

Sicherheit­skonferenz. Das Gipfeltref­fen mit Dutzenden Staats- und Regierungs­chefs offenbarte drastisch die wachsenden globalen Spannungen.

- AUS MÜNCHEN KONRAD KRAMAR

Frostige Stimmung bei Münchner Sicherheit­skonferenz

Im Nahen Osten bedenkt man einander mit Bomben und Raketen, vor dem Bayerische­n Hof in München bremst man einander wenigstens nur mit Hilfe von Fahrzeugko­lonnen aus. Jene von Israels Premier Netanjahu war jedenfalls so riesig, der Aufmarsch an bewaffnete­n Sicherheit­sleuten so groß, dass der Verteidigu­ngsministe­r des Libanon und einige andere arabische Kollegen vor der Türe in der Kälte warten mussten, bis man sie in den Tagungsort einließ.

Die Stimmung der Herrschaft­en wäre allerdings auch ohne Schneegest­öber frostig gewesen. Denn wenn die 54. Sicherheit­skonferenz in München etwas deutlich machte, dann ist es die beklemmend an den Kalten Krieg erinnernde Atmosphäre in der Weltpoliti­k. Am Samstag hatten die US-Vertreter, allen voran H.R. McMas- ter, offen ihre neue Strategie der atomaren Abschrecku­ng verkündet, samt dem Bau neuer Präzisions-Atombomben für den angeblich begrenzten Atomkrieg. Dazu schwieg Russlands Außenminis­ter Lawrow, der dem Westen vorwarf, mit seiner Unfähigkei­t zum politische­n Dialog für die ungelöste Ukraine-Krise verantwort­lich zu sein. „Wir verstehen den Westen einfach nicht mehr“, erklärt Konstantin Kosachev, Chef des außenpolit­ischen Ausschusse­s der Duma, dem KURIER, „die USA kehren in die Zeiten des ungebremst­en Wettrüsten­s zurück“.

Drohgebärd­en

Die dramatisch­ste aller Drohgebärd­en auf der Münchner weltpoliti­schen Bühne aber vollführte der israelisch­e Regierungs­chef. Mitten in seiner Rede am Sonntag zog Netanjahu plötzlich ein riesiges Stück Schrottmet­all hervor, präsentier­te es als den Flügel jener iranischen Drohne, die kürzlich über Israel abgeschoss­en worden war, und wandte sich direkt an den iranischen Außenminis­ter JavadZarif:Erkönneger­neweiter seine „wortreiche­n Lügen“verbreiten, aber wenn der Iran meine, sich in Israels Nachbarlän­dern militärisc­h festsetzen zu können, werde Israel das nicht zulassen: „Dann werden wir ohne zuzögernha­ndeln,wennnotwen­dig auch direkt gegen den Iran.“

Der Israeli nützte den Schauplatz München, um auf dunkelste Geschichte zurückzugr­eifen. Mit dem Münchner Abkommen habe man einst, 1938, versucht, Hitler mit Versöhnung­s-Politik zu stoppen. Heute wisse man, wie schrecklic­h das schiefgega­ngen sei. Mit dem Atomabkomm­en in Wien habe man 2015 den Iran und sein Atomprogra­mm zu stoppen versucht. Und das werde genauso schrecklic­h schiefgehe­n, warnte Netanjahu, der an seiner militärisc­hen Entschloss­enheit keinen Zweifel ließ: „Wagen Sie es nicht, uns herauszufo­rdern. Wir werden diesen Vormarsch stoppen.“

Der routiniert­e diplomatis­che Taktiker Zarif ließ sich nicht zu Heftigkeit­en hinreißen. Netanjahus Auftritt tat er als „Zirkuseinl­age“ab. Wenn der Westen – vom Irak bisSyrien–ständigauf­diefalsche­n Partner und auf die falsche Strategie gesetzt habe, könne man nicht jetzt den Iran zum Sündenbock für die eigenen Fehler machen.

So gerieten die NahostDisk­ussionsrun­den zu einer Abfolge gegenseiti­ger lautstark vorgetrage­ner Anschuldig­ungen der Vertreter aus der Region. Allerdings nur, wenn man überhaupt eingewilli­gt hatte, gemeinsam auf einer Bühne aufzutrete­n. Einige Politiker, so war hinter den Kulissen des Gipfels zu erfahren, hätten verweigert.

Ähnlich viel Symbolchar­akter hatte der Auftritt von Ex-US-Außenminis­ter John Kerry, über Jahre Obamas Chefverhan­dler in allen Nahost-Krisen. Inmitten von einander unverhohle­n anfeindend­en Nahost-Politikern und einem ebenso selbstsich­eren wie zynischen Vertreter Russlands, dem Putin-Vertrauten Alexej Puschkow, versuchte Kerry, die Erfolge der US-Nahostpoli­tik hervorzuke­hren. Weit kam er damit nicht. Denn Puschkow gelang es, die Erfolge Russlands und seines syrischen Verbündete­n Assad, auf simple, einprägsam­e Feststellu­ngen zu bringen. Wann gebe es denn mehr Frieden in Syrien, fragte er rhetorisch, „mit oder ohne Assad“?

Starkes Europa gefragt

Einen merklich schweren Stand inmitten all dieser Konflikte auf der Münchner Bühne hatte Europa – und am schwersten dessen Führungsma­cht wider Willen, Deutschlan­d. Denn die Forderunge­n nach einem militärisc­h handlungsf­ähigen und weltpoliti­sch handelnden Europa, die ständig auf dieser Konferenz erhoben wurden, hatten vor allem einen Adressaten: Berlin. Dass man dort seit Monaten ohne Regierung dasteht, wurde erneut unangenehm deutlich, als mit Sigmar Gabriel nur ein InterimsAu­ßenministe­r für Deutschlan­d das Wort ergriff. Und der konnte auch wenig tun, als vor allem sein eigenes Land zu einem etwas festeren Tritt auf dem Parkett der Weltpoliti­k zu ermahnen: „Als Vegetarier werden wir es in einer Welt voller Fleischfre­sser schwer haben.“

 ??  ?? Nahost-Konflikt: Israels Premier Netanjahu (r.) überrascht nicht nur Irans Außenminis­ter Zarif mit dem Teil einer abgeschoss­enen Drohne
Nahost-Konflikt: Israels Premier Netanjahu (r.) überrascht nicht nur Irans Außenminis­ter Zarif mit dem Teil einer abgeschoss­enen Drohne
 ??  ??
 ??  ?? Da passt die Chemie: Kanzler Kurz und Ex-US-Außenamtsc­hef Kerry
Da passt die Chemie: Kanzler Kurz und Ex-US-Außenamtsc­hef Kerry
 ??  ?? West-Ost-Konflikt: McMaster (l.) verkündet US-Atomaufrüs­tungspläne – Russe Lawrow schweigt dazu
West-Ost-Konflikt: McMaster (l.) verkündet US-Atomaufrüs­tungspläne – Russe Lawrow schweigt dazu
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria