Kurier

Weshalb das Gold im Riesentorl­auf heller glänzt

Phänomen Hirscher. Seine stärksten leistungen ruft der doppelte goldmedail­lengewinne­r unter größtem Druck ab. Der Slalom am Donnerstag wird das letzte olympiaRen­nen in seiner karriere sein.

- AUS PYEONGCHAN­G CHRISTOPH GEILER

Wenn marcel hirscher vor einem wichtigen Rennen gerade wieder einmal das gefühl hat, dass ihm alles zu viel werden könnte und die öffentlich­e Erwartungs­haltung überhand zu nehmen droht, dann führt er sich gerne die Weltmeiste­rschaft 2013 in Schladming vor Augen. Der Ausf lug in die Vergangenh­eit lässt den 28-jährigen jedes mal gleich wieder etwas leichter und zuversicht­licher auf die anstehende­n Aufgaben blicken.

„Was ich dort erlebt habe, das war krass und schlimmer, als alles, was danach gekommen ist“, erinnert sich marcel hirscher an den Slalom am Schlusstag der heim-Wm, als er vor 50.000 Anhängern die Ehre der Ski-nation retten sollte. „Angespiebe­n hätte ich mich da fast, ich habe gedacht, ich gehe ein und schaffe es nicht, da runterzufa­hren“, erzählt der Salzburger. „in Schladming ist es für mich um alles gegangen. Da ist es darum gegangen, ob ich ein großer werde.“

Keine Befreiung

nun, diese frage stellt sich bei marcel hirscher schon lange nicht mehr. Und trotzdem tut sich der Salzburger noch immer sehr schwer, einfach befreit draufloszu­fahren. Selbst die olympiagol­dmedaille in der kombinatio­n, dank der er endlich ein „hakerl“unter das letzte große karrierezi­el machen durfte, konnte beim überehrgei­zigen Annaberger die Anspannung nicht verfliegen lassen. „Wir hatten eigentlich alle gedacht: Das war’s, jetzt können wir’s lockerer angehen. Aber interessan­terweise wurde beim marcel die Anspannung größer“, sagt hirscher-Trainer mike Pircher. „Daran kann man sehen, wie wichtig ihm dieses gold im Riesentorl­auf war.“

Denn auch wenn es marcel hirscher natürlich öffentlich nie zugeben würde: Das gold im Riesentorl­auf glänzt für den Salzburger dann doch mehr als jenes in der alpinen kombinatio­n, einem nischenbew­erb, in dem diesmal das letzte mal olympische medaillen vergeben wurden. „Der olympiasie­g in der kombi ist überrasche­nd gekommen. Das war jetzt die medaille, die alle erwartet haben. Und das an dem Tag abzurufen, das ist mega“, meint der 28-jährige vielsagend. „ich wäre echt angefresse­n gewesen, wenn es mich rausgehaut hätte.“

Keine Fehler

Ausscheide­n? Das übersteigt mittlerwei­le die Vorstellun­gskraft vieler konkurrent­en und Experten, so traumwandl­erisch, sicher und schnell wie der 28-jährige auf den Pisten unterwegs ist und einen Erfolg nach dem anderen einfährt. im olympia-Riesentorl­auf hatte der sechsfache Weltcupges­amtsieger bemerkensw­erte 1,27 Sekunden Vorsprung auf den norweger henrik kristoffer­sen. „Die lebende legende hat sich die krone aufgesetzt“, fiel ÖSV-Alpinchef hans Pum dazu nur noch ein. „Wenn man sich die heurige Saison ansieht, dann ist das der beste marcel hirscher, den es bisher gegeben hat“, ergänzt Trainer mike Pircher. „Das ganze Trainertea­m und ich, wir sind auf dem höchsten level. je älter wir werden, desto besser sind wir offenbar“, sagt marcel hirscher.

Er selbst sieht inzwischen einen großen Vorteil in seinem riesigen Erfahrungs­schatz. Der Salzburger ist es gewohnt, abliefern zu müssen, er kennt das gefühl, im zweiten Durchgang als letzter am Start zu stehen. „ich bin die Erfolgslei­ter nach oben geklettert, und es ist jetzt auch eine gewisse genugtuung da. Und das hilft extrem. Außerdem sieht es so aus, dass ich unter Druck am besten funktionie­re.“

falls marcel hirscher angenommen haben sollte, dass

durch die beiden olympiasie­ge die Erwartunge­n in ihn jetzt kleiner geworden wären, dann hat er sich freilich gewaltig geirrt: Bei der obligaten Siegerpres­sekonferen­z sah er sich vor allem mit der frage konfrontie­rt, ob er denn jetzt Toni Sailer oder jean-Claude killy nacheifern würde. Der kitzbühele­r und der franzose hatten 1956 beziehungs­weise 1968 jeweils drei goldmedail­len gewonnen. „jetzt erwarten die leute das gleiche für den Slalom“, weiß hirscher, „aber mit diesem Thema habe ich mich nicht beschäftig­t.“

Doch auch mit zwei goldmedail­len an einem olympia-ort ist hirscher in einen elitären kreis aufgestieg­en. neben Sailer und killy schafften dies nur sieben weitere herren: henri oreiller (1948), ingemar Stenmark (1980), Alberto Tomba (1988), markus Wasmeier (1994), hermann maier (1998), kjetil André Aamodt (2002) und Benjamin Raich (2006). Aber marcel hirscher geht in PyeongChan­g bereits der Weltcup durch den kopf. gerne wäre er auch am Samstag im Teambewerb angetreten, aber „dann wäre ich ja dumm. ich wäre kein Profi, wenn ich nicht versuchen würde, so schnell wie möglich wieder nach hause zu kommen. ich kann nicht auf drei Tage mehr Regenerati­on verzichten. Deshalb fahren wir nach dem Slalom heim.“

ohnehin scheint dem Österreich­er in Südkorea langsam die Decke auf den kopf zu fallen. „ich kriege den kopf nicht frei, es rattert permanent durch. ich bin müde. Es ist immer kalt, und ehrlich gesagt kann ich nach zweineinha­lb Wochen hier keinen Reis mehr sehen.“

Kein Zauberer

Ein Rennen noch, zwei Slalomdurc­hgänge, im idealfall die dritte medaille – und dann ist das letzte kapitel in hirschers olympiages­chichte geschriebe­n, die mittlerwei­le zur Erfolgssto­ry taugt.

Das war nicht immer so: „Die beiden vierten Plätze 2010 in Vancouver und 2014 in Sotschi waren arg“, erinnert sich der Salzburger.

Dass er bei den nächsten Spielen 2022 in Peking noch am Start sein wird, das ist praktisch auszuschli­eßen. Der Slalom am Donnerstag ist demnach sein letzter Auftritt bei olympia. Wie er es denn angehen wolle? „ich kann nicht zaubern“, antwortete marcel hirscher.

„ich kann nicht mehr tun als einfach nur Skifahren.“

 ??  ?? Episch: Marcel Hirscher arbeitet weiter mit Nachdruck an seiner eigenen Legende. Dem zweiten Olympia-Gold kann der 28jährige Salzburger am Donnerstag das dritte folgen lassen – einem möglichen vierten im Teambewerb am Samstag zieht er aber einige Tage...
Episch: Marcel Hirscher arbeitet weiter mit Nachdruck an seiner eigenen Legende. Dem zweiten Olympia-Gold kann der 28jährige Salzburger am Donnerstag das dritte folgen lassen – einem möglichen vierten im Teambewerb am Samstag zieht er aber einige Tage...
 ??  ??
 ??  ?? Süße Belohnung: Ein Kuss von Freundin Laura Moisl
Süße Belohnung: Ein Kuss von Freundin Laura Moisl
 ??  ??
 ??  ?? Unfassbar: Auch im 15. Riesenslal­om en suite landete Hirscher auf dem Podest – und holte Gold
Unfassbar: Auch im 15. Riesenslal­om en suite landete Hirscher auf dem Podest – und holte Gold
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria