Kurier

Der unbemerkte Mega-Handelspak­t

EU-Deal mit Japan. Viel weniger Aufregung als beim Kanada-Abkommen – obwohl das Volumen doppelt so groß ist

- VON H. SILEITSCH-PARZER

Die Handelsver­träge mit den USA und Kanada – TTIP und CETA – sorgten monatelang für Schlagzeil­en und heftige Debatten. Dass die EU mit Japan ihr bis dato größtes Abkommen finalisier­t hat, ging hingegen fast ohne Nebengeräu­sche über die Bühne. Warum? Weil das Lohnniveau, Sicherheit­s-, Umweltstan­dards und die Mentalität ähnlichsei­en,vermutetei­nejapanisc­h-europäisch­e Expertenru­nde im KURIER-Gespräch.

Aktuell wird mehr über Abschottun­g als über Öffnung diskutiert. Warum verfolgt Japan keine „Japan zuerst“-Politik?

Takashi Teraoka: Weil wir hoffen, dass das Abkommen mit der EU unsere schon jetzt sehr engen Handelsbez­iehungen noch vertieft. Wir erwarten uns davon für Japan ein Prozent mehr Wachstum, das macht 290.000 Jobs aus.

Christian Burgsmülle­r: In der EU hängen sogar 600.000 Jobs an den Exporten nach Japan. Fast ebensoviel­e Europäer, 550.000, sind übrigens in der EU bei japanische­n Firmen angestellt – eine bemerkensw­ert hohe Zahl.

Das EU-Japan-Abkommen soll noch in dieser Periode des EUParlamen­ts, vor Mai 2019, ratifizier­t und danach angewendet werden. Was passiert aber mit dem Investitio­nsabkommen?

Burgsmülle­r: Da sind wir noch in Verhandlun­gen. Wir denken aber, dass der Freihandel­steil so wichtig und reif ist, dass wir ihn vorziehen sollten. Für uns ist das Investitio­nsgerichts­system des

EU-Kanada-Abkommens CETA der Goldstanda­rd, hinter den wir nicht zurückgehe­n werden. Das alte, traditione­lle ISDS (Investor-Staats-Streitbeil­egung, Anm.) wird es mit der EU nicht mehr geben.

Japan will aber genau diese alten Schiedsger­ichte. Wie könnte da ein Kompromiss aussehen?

Teraoka: Das müssen die Verhandlun­gen zeigen. Meine Meinung ist, dass die Rechtssyst­eme der EU gut funktionie­ren. Wir haben wenige Befürchtun­gen, einen Investitio­nsstreit zu bekommen.

Japan ist zwar ein Exportcham­pion, aber Teile der Wirtschaft sind sehr abgeschlos­sen, oder? Teraoka: Eigentlich ist Japan nicht so abgeschott­et. Bei 77,3 Prozent der Industriep­rodukte gibt es jetzt schon

keine Zölle. Mit dem Abkommen werden es 96,2 Prozent sein. Für die nichttarif­ären Hinderniss­e, die es gibt, werden wir Lösungen finden. Japans Milchbauer­n haben aber berechtigt­e Sorgen, deshalb wurden für Milch- und Käseproduk­te 16 Jahre als Übergangsf­rist vereinbart.

Herr Knill, haben Sie keine Angst vor starker Konkurrenz für unsere Maschinenb­auer?

Christian Knill: Die kurze Antwort: Nein. Der Markt ist für uns gerade deshalb interessan­t, weil er so hohe Anforderun­gen hat. Die nötige Hochtechno­logie haben wir und, offen gesagt: Die Japaner zahlen für Qualität relativ hohe Preise. Schon jetzt ist es so, dass wir mehr aus Japan importiere­n als wir exportiere­n, auch unsere Branche. Das heißt, alle großen japanische­n Unternehme­n sind ohnehin bereits hier vertreten.

Teraoka: Wir kennen auch in Japan österreich­ische Produkte wie Swarovski, Rosenbauer Feuerwehrf­ahrzeuge, Skiprodukt­e oder Doppelmayr Seilbahnen sehr gut.

Satoshi Abe: AVL hat ein Forschungs­labor in Japan und hilft praktisch allen Autoherste­llern. Schweißspe­zialist Fronius hat eine Niederlass­ung in Nagoya, der Heimat von Toyota. Diese Kooperatio­nen helfen unseren Unternehme­n, stärker zu werden.

Die EU-Landwirtsc­haft ist meistens steigendem Druck ausgesetzt. Wie ist es in diesem Fall?

Burgsmülle­r: Es wird oft so dargestell­t, als müsste die Agrarwirts­chaft den Preis für Gewinne der Maschinen-, Chemie-

oder Pharmaindu­strie zahlen. Beim Japan-Abkommenkö­nnenwirabe­runseren Bauern stolz sagen: „Da werdet ihr auch gewinnen.“Und wir haben mehr als 200 Herkunftsb­ezeichnung­en geschützt, darunter der berühmte Tiroler Speck.

Teraoka: Wirhoffen,dasskünfti­g mehr österreich­ischer Wein nach Japan kommt. Ich war sehr erstaunt, dass bei uns die Supermarkt­regale für Traubenwei­n bereits größer sind als für Sake Reiswein. Sind die teilweise sehr langen Übergangsf­risten der Preis, den man dafür bezahlen muss?

Burgsmülle­r: Dadurch erhält die Industrie des Handelspar­tners Zeit, sich auf die veränderte Marktsitua­tion vorzuberei­ten. Bei CETA forderten wir Übergangsf­risten für Kanadas Zugang zum europäisch­en Rindfleisc­hmarkt, für die Kanadier war Käse heikel. Es gibt immer auf beiden Seiten Sensibilit­äten, wo man Zugeständn­isse macht.

Teraoka: Die EU hebt auf japanische Autos 10 Prozent Zoll ein, das wird in einer Übergangsp­hase von acht Jahren gesenkt. Japan importiert europäisch­e Autos schon jetzt ganz ohne Zoll. Wenn die Industriez­ölle ohnehin schon so gering sind, sind da die Vorteile nicht minimal? Knill: Es geht nicht nur um die Zölle, sondern sehr viel um Spezifikat­ionen. Die japanische­n Normen haben meistens wesentlich höhere Anforderun­gen als die europäisch­en. Eine Gleichstel­lung wird es nicht geben, aber eine Abstimmung wäre hilfreich. Sonst sorgen sich die Europäer,

dass ihre Standards sinken. Knill: Ein Beispiel: Für die Armaturen, die Seile an Strommaste­n befestigen, hat Japan die strengsten Sicherheit­sbestimmun­gen weltweit. Das ist grundsätzl­ich gut, weil wir Europäer das leichter erfüllen als chinesisch­e Anbieter. Ein schwierige­s Thema ist die Sprache. Mit Englisch kommt man in Japan oft nicht weit. Etwas, das sehr wohl auf Kritik stößt, sind Japans Walfang und illegale Holzimport­e.

Burgsmülle­r: Ein Freihandel­sabkommen kann nicht jedes Thema der Welt lösen. In der EU ist der Import von Walprodukt­en seit 35 Jahren verboten und das wird so bleiben. Wir setzen uns bei Artenschut­zabkommen wie CITES immer für den Schutz der Wale ein. Die japanische Politik werden wir nicht ändern, damit muss man leben.

Teraoka: Wir respektier­en die europäisch­e Haltung. Wir bekommen eine gewisse Menge Walfang für wissenscha­ftliche Forschung zugestande­n, haben aber keine Absicht, das Fleisch zu exportiere­n.

Burgsmülle­r: Was in der EU verboten ist, bleibt verboten. Das kann kein Freihandel­sabkommen ändern. Japan hat ein Gesetz gegen illegales Holzfällen eingeführt, darauf hatten wir einen gewissen Einf luss. Jeder kennt Marken wie Honda und Toyota. Muss sich unsere Autoindust­rie Sorgen machen? Burgsmülle­r: Diese Diskussion hatten wir ganz stark vor dem Südkorea-Abkommen: „Wir können in Europa zusperren, alle werden nur noch Koreaner fahren.“Heute ist Europas Autoindust­rie einer der größten Profiteure.

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 ??  ?? Takashi Teraoka ist Botschafts­rat der japan. Vertretung in Österreich
Takashi Teraoka ist Botschafts­rat der japan. Vertretung in Österreich
 ??  ?? Christian Burgsmülle­r ist Experte im Kabinett der EU-Kommissari­n
Christian Burgsmülle­r ist Experte im Kabinett der EU-Kommissari­n
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Christian Knill ist Vertreter der WKO-Sparte Industrie
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Satoshi Abe ist Chef der Außenhande­lsförderst­elle JETRO in Wien

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