Überdosis Schmerzmittel verabreicht
64 Patientinnen der Rudolfstiftung betroffen. Kein Einzelfall, sagt der Patientenanwalt
Es war ein unscheinbarer Tippfehler: In der Rezeptur wurden statt 2 Mikrogramm Fentanyl 20 Mikrogramm dokumentiert. Auf dem Etikett stand allerdings die korrekte Bezeichnung des Schmerzmittels, deshalb sei die unrichtige Dosierung nicht früher aufgefallen.
64 Frauen wurde das überdosierte Schmerzmittel in der Wiener Rudolfstiftung zwischen April und August des Vorjahres injiziert – als „Kreuzstich“bei der Geburt, berichtet Ö1. Eine Frau erzählte, dass sie sich plötzlich „high“gefühlt habe. „Ich konnte bei der Geburt nicht mehr mitarbeiten. Und vor allem sind die Herztöne des Kindes schwächer geworden. Es musste schließlich per Kaiserschnitt geholt werden.“Anzeige wurde keine erstattet, den Frauen und Kindern sei kein Schaden entstanden, urteilte eine Expertenkommission. Die Wiener Patientenanwältin wurde informiert, die Betroffenen ebenso. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt in der Sache nicht.
Es ist nicht das erste Mal, dass es mit Medikamenten in Krankenhäusern zu schwerwiegenden Verfeh-
„Sicherheitsvorkehrungen werden zu oft als bürokratische Hürden gesehen.“
Gerald Bachinger Patientenanwalt
lungen kommt. Erst vor wenigen Tagen bestätigte ein Gutachter, dass eine verwechselte Infusion im Landeskrankenhaus Kirchdorf, OÖ, für den Tod eines 61-Jährigen verantwortlich war.
„Internationale Studien über Behandlungsfehler in Krankenhäusern zeigen zwei Hauptprobleme: mangelnde Hygiene und das Medikationsmanagement. Darunter fallen Verwechslungen oder falsche Dosierungen“, sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger. „Das ist ein Riesenproblem.“
Zahlen dazu gibt es wenige. Aber internationale Stufalls dien lassen sich auch auf Österreich umlegen: In einer Studie ist die Rede davon, dass bei sieben Prozent aller Medikationsanordnungen im Krankenhausbereich Fehler entdeckt wurden. Eine andere kommt sogar zu einer Fehlerquote von 10,5 Prozent. In den USA sind medizinische Behandlungsfehler sogar dritthäufigste Todesursache (nach Krebs und Herzattacken).
„Nur die Spitze des Eisbergs landet bei Gerichten oder in der Patientenanwaltschaft“, sagt Bachinger. Das liege auch daran, dass „es in Österreich zu wenig offene Fehlerkultur gibt“.
Schweigen
Fehler würden oft verschwiegen. „Auch weil es dem Patienten oft nicht auffällt. Dann wird lieber kommuniziert, dass es an einer fortgeschrittenen Krankheit oder Komplikationen lag“, meint Bachinger.
Sicherheitsvorkehrungen würden noch immer zu oft als bürokratische Belastung gesehen werden. „Es gibt klare Check-Listen. In manchen Krankenhäusern werden die auch gelebt. In anderen weniger.“
Die Rudolfstiftung jeden- hat auf den Fehler reagiert. „Ich bin froh, dass bei diesem Irrtum in der DosierungniemandzuSchadengekommen ist, gleichzeitig tut mir dieser Fehler sehr leid“, sagt die ärztliche Direktorin Karin Gutierrez-Lobos. Alle betroffenen 64 Patientinnen wurden kontaktiert und mit ihren Kindern untersucht. Bei den betroffenen Frauen sowie bei den Kindern sei mit keinen Spätfolgen zu rechnen.
Als Ergebnis wurde auch ein verpflichtendes Vier-Augen-Prinzip bei der Übertragung der Rezeptur in das Herstellungsprotokoll sowie eine unabhängige Berechnung der Rezeptur durch zwei Experten vorgeschrieben. Zusätzlich wurden alle Apotheken des KAV angewiesen, die entsprechenden Sicherheitsroutinen bei der Herstellung von Medikamenten zu überprüfen.