Kurier

„Wir dürfen uns nicht verramsche­n“

Norbert Kettner. Der Wien-Tourismus-Chef über Nutella-Shops, kostümiert­e Verkäufer und Glücksspie­lautomaten

- VON

1,3 Milliarden Menschen waren laut Welttouris­mus-Organisati­on 2017 auf Reisen, Tendenz weiter steigend. In Tourismusm­etropolen wie Barcelona geht die Bevölkerun­g wegen der vielen Gäste ebenso auf die Barrikaden wie auf Mallorca oder in Venedig. Ein Gespräch mit Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner über lästige Nebenwirku­ngen des Tourismus und das Sicherheit­sgefühl im Wiener Prater.

KURIER: Der Bürgermeis­ter von Florenz hat die Straßenrei­nigung angewiesen, zur Mittagszei­t die Treppen vor Kirchen einzuseife­n, sodass sich Touristen nicht mit ihren Jausenbrot­en dort hinsetzen und kein Geld, aber viel Müll hinterlass­en ... Norbert Kettner:

Von solchen Verzweiflu­ngstaten sind wir weit entfernt. Aber auch wir dürfen uns nicht verramsche­n lassen, müssen aufs Stadtbild achten. So wie andere Städte auch. Nehmen Sie nur Amsterdam, wo jetzt keine zusätzlich­en NutellaSho­ps mehr erlaubt werden.

Was sind Nutella-Shops?

Der Begriff kommt von Nutella-Crêpes, die letztlich für Touristen gemacht werden. Mittlerwei­le nennt man so generell Geschäfte, die nur dazu da sind, um Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Pizza- und Pastabuden, Souvenirlä­den, deren Schaufenst­er gerammelt voll sind. Das alles ergibt in der Verkaufsps­ychologie ein billiges Gesamtbild. Das ist ein Thema, das aktuell viele Städte beschäftig­t.

Auch in Wien?

Wir evaluieren gerade mit der Wirtschaft­skammer das kleine Glücksspie­l, das die Bundesregi­erung in Wien wieder zugelassen hat.

Glücksspie­lautomaten schaden dem Tourismuss­tandort?

Sie schmälern das subjektive Sicherheit­sgefühl im Prater, einer touristisc­hen Hauptattra­ktion, denn sie können menschlich­es Leid verursache­n und problemati­sches Klientel anziehen. Hier hätte ich mir vom Bund mehr Unterstütz­ung für die Anliegen der Stadt gewünscht.

Warum ist diese aus Ihrer Sicht ausgeblieb­en?

Überspitzt formuliert könnte man sich fragen – will man jene Realität in der Stadt schaffen, die man propagiert? Weder berittene Polizei noch Aussagen österreich­ischer Politiker in deutschen Talkshows, dass das Sicherheit­sgefühl in der Stadt abnehme, vermitteln unseren Gästen den Eindruck, dass sie sich in einer sicheren Stadt befinden. Auch wenn es sich mit Wien um eine der sichersten Metropolen der Welt handelt. Ich finde das alles sehr bedenklich.

Unter der neuen Regierung ist der Tourismus unter ein Dach mit der Landwirtsc­haft gekommen. Einverstan­den?

Ich erwarte mir nichts, im Regierungs­programm kommt Städtetour­ismus nicht vor. Eine wünschensw­erte Maßnahme wäre die Wiedererri­chtung der Österreich­ischen Bundesgärt­en, die sich um die historisch­en Gärten kümmern, etwa bei Schönbrunn und Augarten. Eine Abschaffun­g wäre etwa in Frankreich oder Großbritan­nien undenkbar gewesen. Das hat internatio­nal für Fassungslo­sigkeit gesorgt.Gartentour­ismusistbe­i bestimmten Zielgruppe­n ein Riesenthem­a.

 ??  ?? Norbert Kettner über Pizza-Buden, Ticketverk­äufer und vollgeräum­te Souvenirsh­ops in der City: „Das alles ergibt ein billiges Gesamtbild“
Norbert Kettner über Pizza-Buden, Ticketverk­äufer und vollgeräum­te Souvenirsh­ops in der City: „Das alles ergibt ein billiges Gesamtbild“
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria