Kurier

„Die Demokratie­n müssen aufwachen“

Bernard-Henri Lévy. Der französisc­he Philosoph über Antisemiti­smus, Islamisten und die sozialen Medien

- VON GEORG LEYRER

Bernard-Henri Lévy ist in Frankreich genau das, was in Österreich so dringend fehlt: Ein Populär-Intellektu­eller, ein selbstbewu­sster Denker, dem die Menschen zuhören, wenn er etwas sagt.

Und sei es auch nur, um ihm dann, durchaus auch mal wütend, zu widersprec­hen.

Lévy mischt sich in alle möglichen Debatten ein: Er formuliert­e Meinungen zum Kopftuch in der Elite-Schule (dagegen), zum Kampf gegen den Terror (keine Schwäche zeigen!), zum Fall Roman Polanski (Lévy verteidigt­e den Regisseur ebenso wie Dominique Strauss-Kahn).

Er schrieb zuletzt über Amerika, den in Pakistan ermordeten Journalist­en Daniel Pearl und das Juden- tum, engagierte sich in der Ukraine und in den Kurdengebi­eten (wo er auch einen Dokumentar­film drehte).

Und der Philosoph, Redner und Autor ist auch optisch genau das, was man sich, wenn man rasch gefragt wird, unter einem französisc­hen Intellektu­ellen vorstellt: Zum KURIER-Interview anlässlich der Konferenz „An End to Antisemiti­sm!“an der Universitä­t Wien erschien der gut aussehende Lévy (69) mit perfekt aufgeknöpf­tem Hemd.

Das Gespräch drehte sich dann um den Kampf gegen Antisemiti­smus, um die Schuld des Westens daran, dass junge Muslime auf die Radikalen hören, um die „schmutzige“Erinnerung­sarbeit in Polen – und um den „Notfall“, den die sozialen Medienfürd­iewestlich­enDemokrat­ien darstellen.

KURIER: Sie haben wiederholt gesagt, dass der wichtigste politische und ideologisc­he Kampf unserer Zeit derjenige innerhalb des Islam ist, zwischen jenen, die Aufklärung suchen und sich am Westen orientiere­n, und den islamistis­chen Fanatikern. Gab es da zuletzt Fortschrit­te?

Bernard-Henri Lévy: Wahrschein­lich nicht. Erstens, weil die Extremiste­n immer lauter sind als die Moderaten. Und zweitens, weil sich jene im Graubereic­h – jene, die nicht wissen, ob sie wie die Kurden prowestlic­h sein sollen oder doch hinhören, was die Radikalen sagen – fragen: Wie behandelt der Westen am Ende des Tages jene unserer Glaubensbr­üder, die sich den westlichen Werten verschreib­en? Indem er sie abweist? Indem er akzeptiert, dass sie von den Türken getötet werden? Warum sollten wir das dann tun?

Das lässt wohl für viele nur den Schluss zu, sich vom Westen abzuwenden.

Natürlich haben die, die das tun, unrecht, natürlich sollten sie sich den Werten des Westens verschreib­en. Das machen die Kurden auch, das machten die Menschen in Sarajewo vor 20 Jahren, trotz der Preisgabe durch den Westen, trotz der Zurückweis­ung durch uns.

Sind die radikalen Islamisten die größte Gefahr für die Juden heute? Oder sind das die alten Rechtsextr­emen, oder gar Antisemite­n der neuen Linken?

Die Juden müssen an allendreiF­rontenkämp­fen.Die entscheide­nden sind wahrschein­lich die extreme Linke und die Islamisten. Denn die verwenden Argumente, die noch nicht vollständi­g diskrediti­ert wurden. Über die Argumente des rechtsextr­emen Antisemiti­smus – die rassistisc­hen, die alten christlich­en mit dem Christusmo­rd – herrscht weltweit Bewusstsei­n, dass diese die Welt in die Katastroph­e führen können. Dieser Mechanismu­s ist wohlbekann­t. Der Mechanismu­s, wie etwa die BDS-Bewegung (steht für „Boycott, Divestment, Sanctions“, eine ursprüngli­ch linke, gegen Israel gerichtete und als antisemiti­sch kritisiert­e Bewegung, Anm.) oder der islamistis­che Antisemiti­smus die Welt in eine Katastroph­e führen können, ist weit weniger bekannt. Und aus diesem Grund ist das gefährlich­er.

Ebenfalls noch recht unbekannt sind die Auswirkung­en der sozialen Medien auf die westlichen Demokratie­n – obwohl man da schön langsam eine Ahnung bekommt: Das Negative wird hier wie in einem Lautsprech­er verstärkt. Das dürfte ein Problem für den Kampf gegen den Antisemiti­smus werden.

Das ist einer der Hauptpunkt­e. In der alten Welt – jener von vor 20 Jahren! – gab es Meinungen, die als Verbrechen angesehen wurden. Der KURIER, Le Monde, Radio und Fernsehen hätten die- sen Meinungen, die Aufrufe zu Verbrechen sind, niemals ein Zuhause gegeben. Heute kriegt all das in dieser Wüste voller Lärm, die das Web ist, die Möglichkei­t zur Verbreitun­g. Das ist ein großer Rückschrit­t, ein Notfall. Wir müssen gegen Fake News kämpfen. Und wir müssen gegen die Aufrufe zu Verbrechen kämpfen.

Wir – Europa? Oder Facebook?

Wenn die Unternehme­n – die meisten davon sind amerikanis­ch – das nicht verstehen, dann muss Europa Entscheidu­ngen treffen. Es gab eine Kultur der Eindämmung des Schlimmste­n. Es gab ein Verständni­s darüber, was eingedämmt werden musste, damit die Gesellscha­ften nicht explodiere­n. Dieses Verständni­s wurde geformt von Jahrzehnte­n, Jahrhunder­ten dunkler Erfahrunge­n.Unddaswurd­edurch die sozialen Medien komplett zum Explodiere­n gebracht. Sie müssen etwas dagegen tun, und das werden sie auch.Wennnicht,müssendie Demokratie­n aufwachen.

Sie sind nach Wien gekommen, um den Eröffnungs­vortrag zur Konferenz „An End to Antisemiti­sm!“zu halten. Wie kann man Antisemiti­smus beenden?

Ich bin sehr geehrt, den Vortrag zu halten – aber ich hätte die Konferenz wohl nicht so genannt. Ich glaube nicht an ein Ende des Antisemiti­smus. Ich glaube nicht einmal, dass dies das Ziel sein sollte. Das Ziel sollte sein, stark gegenüber dem Antisemiti­smus zu sein. Das Gegenmitte­l gegen Antisemiti­smus zu stärken. Und dagegen zu kämpfen. Man wird das Böse nicht los. Man kann es eindämmen. Aber man kann es nicht – niemals – beenden. Das ist seit langer Zeit das Gesetz der Geschichte. Die Juden müssen stark sein. Und Verbündete haben.

Apropos: Hat Trump die Situation für Israel verändert?

Wenn ich „Verbündete“sage, meine ich: Echte Verbündete. Dazu braucht man echte Liebe und wirkliches Verständni­s für den Partner. Ich fürchte, dass Herr Trump kein solches Verständni­s hat.

In Polen scheint man die Geschichte neu schreiben zu wollen. Der polnische Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki sagte mit Bezug auf das umstritten­e polnische Holocaust-Gesetz, in der NS-Zeit habe es neben deutschen auch polnische, russische, ukrainisch­e und „jüdische Täter“gegeben.

Es gibt eine Arbeit an der Erinnerung, die eigentlich eine Arbeit des Vergessens ist. Im heutigen Polen ist klar, dass die angebliche Erinnerung­sarbeit die Erinnerung weniger klar macht, sie verwirrt, die Mörder mit den Opfern vermischt, die Verantwort­ung auflöst – und den Wegzukünft­igenVerbre­chen erleichter­t. Genau das passiert in Polen. Ich hoffe, das passiert nicht in Österreich. Das ist genau das, was ich fürchte. Die Polen machen Geschichte, um zu lügen und die Toten zu drangsalie­ren. Und um diejenigen zu schwächen, die um die Toten weinen. Das ist die schmutzige Arbeit der Erinnerung.

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REUTERS / JEAN-PAUL PELISSIER Der französisc­he Philosoph BernardHen­ri Lévy war für einen Vortrag in Wien

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