Forscher Dürrschmid über die Lust am Hungern, Essstörungen und Jo-Jo-Effekte.
Lebensmittelexperte Klaus Dürrschmid über die Vor- und Nachteile des Kasteiens
Auch wenn viele Österreicher mit der Kirchen icht mehr allzu viel am Hut haben: Zur Fastenzeit übe nimmer noch viele Verzicht. Bis Ostern ist für sie Alkohol, Schokolade oder das Smartphone tabu.
Der Lebensmittel wissenschaftler
Klaus Dürrschmid begrüßt, dass es „gesellschaftlich anerkannte Phasen des Verzichts gibt“. Er selbst wird in dieser Zeit keinen Alkohol trinken. „Wenn man bedenkt, dass 1,5 Millionen Österreicher alkoholkrank oder suchtgefährdet sind, ist es zu begrüßen, wenn regelmäßig für ein paar Wochen Pausen gemacht werden.“(s. rechts)
Doch Fasten im klassischen Sinne sei der Verzicht auf Alkohol nicht. Fasten bedeute, dass man seine Kalorienzufuhr reduziert – eine spirituelle Übung, die Teil aller Religionen ist. „Nach ein paar Tagen kann der Mensch dabei in eine angenehme, euphorische Stimmung kommen. Der Fastende hat das Gefühl, dass er Herr im eigenen Haus ist, weil er über seinen Körper bestimmt.“
Wie sehr sich Essensverzicht positiv auf die Gesundheit auswirkt, wird derzeit von Wissenschaftlern wie Frank Madeo an der Uni Graz erforscht: „Nach etwa 16 Stunden ohneNahrungwirdimKöperdie sogenannte Autophagie ausgelöst. Dabei werden defekte Zellbestandteile oder geschädigte Mitochondrien abgebaut“, so Dürrschmid. Eine ausbleibende Autophagie wird für Krankheiten wie Krebs, Parkinson oder Diabetes verantwortlich gemacht.
Bitte warten!
Ist das also ein Plädoyer für das derzeit so angesagte Intervallfasten? Dürrschmid mahnt zur Vorsicht: „Wir wissen
zwar aus Maus-Studien, dass eine verringerte Kalorienzufuhr die Lebenserwartung erhöhen kann. Dennoch würde ich die Ergebnisse der Forschungen abwarten. Vielleicht gibt es auch negative Folgen. Die Frage bleibt z. B. offen, ob so dem Körper ausreichend Nährstoffe zugeführt werden.“
Überhaupt überwiegen beim Fasten die Nachteile, ist der Wissenschaftler überzeugt: „Es begünstigt nicht nur den bekannten Jo-JoEffekt, sondern kann auch Essstörungen wie Binge-Eating oder Bulimie auslösen und verstärken. Starkes Übergewicht oder Magersucht sind die Folge.“
Gibt es außer dem Alkohol noch ein Nahrungsmittel, auf das wir eine Weile getrost verzichten können? „Alkohol ist eigentlich kein Lebensmittel, aus ernährungsphysio logischer Sicht ist es völlig sinnlos. Alle anderen Nahrungsmittel kann unser Verdauung s apparat erstaunlich gutv erarbeiten. Was Essen angeht, ist der Mensch erstaunlich flexibel .“
Weniger Eiweiß
Statt kurzfristigem Fasten empfiehlt der Experte eine langfristige Ernährungsumstellung. Das ist wohl die schwierigste Übung: „Die Ernährungsmuster, die wir in der frühen Kindheit eintrainiert haben, bekommen wir nur ganz schwer wieder los.“
Wohl ein Grund, warum die Österreicher zu süß, zu fett und zu eiweißreich essen. „Vor allem die Männer konsumieren zu viel Fleisch und nehmen zu wenige hochwertige Kohlenhydrate zu sich.“
Zu Letzteren zählt Dürrschmid Vollkornprodukte oder Hülsenfrüchte wie Linsen oder Bohnen. Bei Erdäpfeln oder etwa Nudeln komme es auch auf die Zubereitung an: „Weichgekochte Nudeln haben einen schlechteren glykämischen Index als die Pasta al dente. Wenn man sie so zubereitet wie die Italiener, verbraucht der Körper mehr Energie, um die Nährstoffe zu verarbeiten.“Zucker sei zwar erlaubt, aber nur in Maßen: „Maximal zehn Prozent der Kohlenhydrate sollten süßen Ursprungs sein.“Den Verzehr von tierischem Eiweiß sollte man nicht nur aus ökologischer und ethischer Sicht reduzieren, sagt Experte Dürrschmid: „Auch Ihre Gesundheit dankt es Ihnen.“Denn Fleisch gilt als Ursache von Krankheiten wie Gicht, Krebs oder Herzinfarkt. Deshalb: Öfter mal eine Linsensuppe statt Schnitzel genießen.
„Ernährungsmuster, die wir in der frühen Kindheit eintrainiert haben, bekommen wir nur schwer los.“
Klaus Dürrschmid Lebensmittel wissenschaftler