Kurier

Tierisch viel Ärger für die SPD

Mitglieder votum. Die Abstimmung zum Koalitions­v ertrag geht los und wird von einer Panne überschatt­et

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER

Manche haben sie schon in der Post, andere warten noch: Die Unterlagen zur Mitglieder befragung plus 177- Seiten Koalitions­v ertrags ind unterwegs. Bis zum 2. März stimmen die Genossen ab, ob die Sozialdemo­kraten noch einmal in einer Großen Koalition mitregiere­n.

463.723 Menschen haben es also in der Hand, sie sind die Basis, die große Unbekannte. Was man über sie weiß: Der durchschni­ttliche Genosse ist 60 Jahre, ein Drittel der Mitglieder ist weiblich, nur elf Prozent sind unter 35 Jahren, also im Alter der Mitglieder der Partei nachwuchs organisati­on. Ein Tier ist ebenfalls dabei. So ähnlich titelt es die Bild-Zeitung, nachdem sie übers Internet die Mitgliedsc­haft für Hündin Lima erstellt hat. Sie gehört zu den zirka 24.000 Neu-Mitglieder­n, die seit Jahresbegi­nn eingetrete­n sind–etwa mit der Motivation, gegen den Vertrag zu stimmen.

Da hat der Hund gerade noch gefehlt: das Personalch­aos nach Schulz’ Rücktritt, kontinuier­lich sinkende Umfragewer­te (laut Insa-Institut liegt die SPD derzeit hinter der AfD), und jetzt macht sich auch noch Deutschlan­ds größte Boulevardz­eitung über das SPD-Votum lustig.

Im Willy-Brandt-Haus hat man dafür keine Nerven. Ein Medien rechtsanwa­lt wurde konsultier­t und eine Erklärung ausgeschic­kt. Kurz: Die

Bild habe bei der Recherche eine falsche Identität angegeben und gegen die Grundsätze der journalist­ischen Ethik verstoßen. Zudem sei die Kernaussag­e falsch: Der Hund kann als Mitglied nicht abstimmen. Dieses muss neben dem Stimmzette­l eine eidesstatt­liche Erklärung zu seiner Identität abgeben.

Undemokrat­isch?

Soweit, so schräg. Abgesehen davon sorgte die Befragung selbst für geteilte Meinungen. Beim Bundesverf­assungsger­icht Karlsruhe gingen fünf Eilanträge zur Beschwerde ein (alle wurden abgelehnt). Das Argument der Kritiker: Die Wähler haben bei der Bundestags­wahl Abgeordnet­e bestimmt, die eine Regierung mitbestimm­en sollen – jetzt dürfe so gut wie jeder aus einem SPD-Ortsverban­d mitentsche­iden, ob es eine Große Koalition geben wird.

Auch Politik-Experten sind darüber uneins. Andrea Römmel von der Hertie School of Governance erklärt dem KURIER :„ In einer parlamenta­rischen Demokratie ist die Regierung den gewählten Abgeordnet­en gegenüber verantwort­lich und nicht den Mitglieder­n einer gewählten Partei.“Allerdings, soRömmel,i st es auch ein System der Delegation: den Parteien steht es frei, auf welche Weise sie überein eRegierung­s beteiligun­g entscheide­n.

So sieht es auch Thorsten Faas, Wahlforsch­er an der FU Berlin. Die Kritik an der Befragung kann er nicht nachvollzi­ehen: „Von einigen wird hier ein – für mich etwas seltsamer – Gegensatz zwischen repräsenta­tiver und Parteien demokratie aufgebaut. Den gibt es aber so nicht.“Parteien spielen eine essenziell­e, strukturie­rende Rolle, die ihre jeweiligen Organisati­onen mitnehmen müssen – dafür haben sie mehrere Möglichkei­ten: Vorstandsb­e schluss, Parteitag, Mitglieder­votum. Faas: „Sicherlich sind damit verschiede­ne Dynamiken verbunden, aber das ist keine Frage von Verfassung­srecht oder Demokratie: Ja oder Nein.“

Die SPD-Spitze trommelt indessen für die Koalition: Die designiert­e Parteichef­in Andreas Nahles und Vertreter der Parteispit­ze treten teils unter Ausschluss der Presse auf. Was einigen in der Basis sauer aufstößt: Dass es keine Diskussion zwischen Nahles und Juso-Chef Kevin Kühnert gibt, der für den Gang in die Opposition und eine Minderheit­sregierung wirbt.

Politologi­n Andrea Römmel rechnet den Koalitions­gegnern nur wenige Chancen aus. Das kritische Datum war der Parteitag im Jänner, als die Delegierte­n knapp für Verhandlun­gen stimmten. „Ich rechne mit einem doch recht klaren Ja der Mitglieder – die neuen Mitglieder werden hier nicht das Zünglein an der Waage sein.“

Ausgerechn­et das aktuelle Umfragetie­f und die Angst vor einem noch schlechter­en Ergebnis bei Neuwahlen könnten einige Genossen davon überzeugen, für die Große Koalition zu stimmen.

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 ??  ?? Die „Bild“wollte testen, wer als Parteimitg­lied die Befragung zur Großen Koalition beeinfluss­en kann: Hündin Lima bekam den Vertrag per Post zugeschick­t
Die „Bild“wollte testen, wer als Parteimitg­lied die Befragung zur Großen Koalition beeinfluss­en kann: Hündin Lima bekam den Vertrag per Post zugeschick­t
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Andrea Nahles mit Malu Dreyer wirbt weiter für die Koalition: „Wir wollen das Leben der Menschen ganz konkret verbessern“

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