„Harakiri“mit Rückenwind
Skicross. Der Olympia-Bewerb der Herren endete mit einem kanadischen Sieg und etlichen Verletzten. Unter ihnen waren auch drei Österreicher.
Der Olympiasieger war am Ende nur ein Randthema im Phoenix Snow Park in Bokwang. Dass der Kanadier Brady Leman Gold im Skicross geholt hatte, ging in der Sorge um seinen Landsmann Christopher Del Bosco praktischunter. Der35-Jährige war in seinem Achtelfinallauf beim Zielsprung hoch in die Luft katapultiert worden undkrachtenacheinemFlug, der nicht aufzuhören schien, auf die Piste. Nicht nur ÖSV-Entwicklungschef Anton Giger, der im Ziel Augenzeuge des Unfalls war, fühlte sich dabei an den Sturz von Hermann Maier vor 20 Jahren in Nagano erinnert.
WährendMaierseinenlegendären Abflug seinerzeit vergleichsweise glimpflich überstanden hatte, zog sich Christopher Del Bosco gestern einen Beckenbruch zu. Die Krankenstation im Phoenix Snow Park war nach dem Skicross-Bewerb überhaupt stark frequentiert: Der Franzose Terence Tchiknavorian brach sich bei einem Sturz das Schienbein, der Österreicher Christoph Wahrstötter erlitt eine Gehirnerschütterung und musste die Nacht im Spital verbringen. Sein Landsmann Robert Winkler klagte über eine Hüftprellung, Adam Kappacher machten nach seiner Fahrt Knieschmerzen zu schaffen.
Fahrlässig
So eine lange Schwerverletztenliste ist ein hoher Preis für einen Bewerb, der zugegebenermaßen zu den attraktivsten der Olympischen Spiele zählt. „Fahrlässig“nannte ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner die Erbauer des Hindernisparcours. ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel hatte schon nach dem turbulenten Snowboardcross-Wettkampf, in dem sich der Vorarlberger Markus Schairer einen Wirbel gebrochen hatte, angekündigt, eineProtestnote zu verfassen: „Weil das sicher nicht im Sinne des Sports sein kann.“
NichtimSinnedesSports, aber durchaus im Sinne der Athleten, diediesenSportbetreiben. Nach der Sturzorgie im Skicross wurden von Fahrerseite erstaunlich wenige kritischeStimmenlaut. Deutsche Trainer waren bemüht, den Unfall des Kanadiers Del Bosco als reinen Fahrfehler einzustufen, der Tiroler Thomas Zangerl verwies darauf, dass „du volles Risiko eingehen musst, wenn du eine Medaille holen willst. So ist unser Sport. Und genau deshalb schalten die Leute ein.“
Das ist genau das Dilemma, in dem sich viele dieser Actionsportarten befinden. Auch wenn ihr Bewerb Show und Spektakel garantiert, fristen die Skicrosser ein Schattendasein. AllevierJahre rücken sie bei Olympia für einen kurzen Moment in den Mittelpunkt, und selbstverständlich wollen sie dann dabei auch Aufsehen erregen.
Am Limit und darüber
Aber nicht nur die Athleten wirken übermotiviert, auch die Konstrukteure des Parcours gehen ans Limit, manchmal auch darüber hinaus. Schon die Snowboardcrosser hatten sich über den Kurs mit seinen viel zu hohen Sprüngen beklagt, bei denen die Sportler zum Spielball der Lüfte werden. Skicross steht aber noch einmal eine Stufe darüber. Die Sportler sind deutlich schneller, und wenn dann auch noch wie am Mittwoch Rückenwind herrscht, dann wird die Sache gleich noch einmal anspruchsvoller.
Vom Ehrgeiz der Stars einmal ganz zu schweigen. Bei Olympia, das wurde gestern wieder deutlich, bewegen sich auch die Skicrosser im Grenzbereich. „Jeder hat das Messer zwischen den Zähnen“, weiß der österreichischeCheftrainerWillibald Zechner, der nach dem Rennen drei lädierte Fahrer zu beklagen hatte. „Der Kurs verzeiht nun einmal keine Fehler. Wenn einer wirklich auf Harakiri geht, dann führt es unweigerlich zu Stürzen.“