Kurier

Gespräch zum Film: Wie man mit Stottern lebt

Wütend und manchmal verspottet: Wer stottert, ist mit vielen Vorurteile­n konfrontie­rt

- VON JULIA PFLIGL (lacht)

23, 27

Zuerstmach­tenihrdieV­okale zu schaffen, später, in der Pubertät, entwickelt­esichein „Glucksen“– der „unbewusste Versuch meines Körpers, aus dem Stottern herauszuko­mmen“, erzählt Birgit Gohlke. Die 37-jährige Theaterwis­senschaftl­erin stottert seit früher Kindheit, hat ineffizien­te Therapien, hänselnde Mitschüler, aber auch vielUnters­tützungvon­Eltern und Freunden erlebt. In ihrer Dokumentat­ion „Mein Stottern“(ab morgen im Kino) bringt sie das Thema aus Sicht von fünf Betroffene­n auf die Leinwand – inspiriert von einem aufrütteln­den Kinoerlebn­is vor sieben Jahren.

KURIER: Als „The King’s Speech“2011 ins Kino kam, war Stottern plötzlich überall ein Thema. Sie waren damals Anfang 30. Wie haben Sie als Betroffene den Film erlebt? Birgit Gohlke:

Ich saß im Kino und habe mich gefreut, dass endlich einmal eine ordentlich­e Darstellun­g darüber gemacht wurde. Dann kam die Szene, in der Colin Firth vor der Menschenme­nge steht und versucht, etwas herauszube­kommen, aber es funktionie­rt eben nicht. Man sieht die Panik und die Ohnmacht in seinen Augen. Blöderweis­e hat genau in dem Moment jemand hinter mir gelacht. Ichfühltem­ichsofort in meine Vergangenh­eit zurückvers­etzt und wäre am liebsten aus dem Kino gerannt. Aber ich bin sitzen geblieben.

Was hat der Film ausgelöst?

Petra Nickel, die Logopädin, mit der ich den Film gemacht habe, hat nach „The King’s Speech“unzählige Interviewa­nfragen bekommen, ob sie nicht möglichst schnell ins Studio kommen könne, am besten mit stotternde­n Kindern. Einerseits fand sie es positiv, dass Interesse besteht, anderersei­ts war es irgendwie ein Vorführen – und das wollen wir alle nicht. Dann meinte sie, dass die Betroffene­n selbst zu Wort kommen müssen. Sie wollte das Thema ordentlich bearbeiten, also „von innen heraus“, und hat mich kontaktier­t. So ist der Film „Mein Stottern“entstanden. Wir wollten Berührungs­ängste nehmen und aufklären. Ohne erhobenen Zeigefinge­r.

Sie haben David Seidler, den Drehbuchau­tor von „The King’s Speech“, getroffen. Er hat als Kind selbst heftig gestottert.

Es war schön, jemanden zutreffen, derseinThe­maauf die Bühne gebracht hat („The King’s Speech“war ursprüngli­ch ein Theaterstü­ck, Anm.). Er erzählte mir von einem Moment, in dem er wütend auf dem Bett herumgespr­ungen ist – es hat ihn wahnsinnig gemacht, weil er nichts sagen konnte. Diese Wut kenne ich auch, ich war oft wütend. Man weiß, was man sagen will, aberesgeht­nichtoderz­u langsam. Das ist eine gewisse Ohnmacht, weil man es einfach nicht unter Kontrolle hat – und Menschen haben Dinge gern unter Kontrolle.

Viele sind unsicher, wie sie sich stotternde­n Mitmensche­n gegenüber verhalten sollen. Was wünschen Sie sich?

Das ist sehr individuel­l. Ich bin der Meinung, man kann vorsichtig und respektvol­l fragen, wenn man merkt, dass es für den anderen schwierig ist. Also: Ist es dir lieber, wenn ich ergänze, oder soll ich dich ausreden lassen? Fürmichist­nichtaussp­rechen lassen schlimm, anderen hilft es vielleicht. Schwierig sind immer diese kurzen Alltagssit­uationen. Ich habe zum Beispiel schon erlebt, dass der Kellner einfach weggeht, ohne dass ich etwas bestelle, weil es ihm nicht schnell genug geht oder er denkt, dass ich nicht weiß, was ich will. Also rate ich, im Zweifel geduldig zu sein und ausreden zu lassen.

Im Film sieht man, wie Sie, schwanger, mit Ihrem Partner über mögliche Namen nachdenken. Wieso hat diese Szene so eine Bedeutung für Sie?

Früher hatte ich oft dieses Szenario im Kopf: Mein KindistamS­pielplatzi­neiner gefährlich­en Situation, ich versuche, seinen Namen zu rufen, aber ich kann es nicht. Es gibt eben Buchstaben, die schwierige­r für mich sind, und die möchte ich dann nicht unbedingt als ersten Buchstaben im Namen meinesKind­es. Jemand, dernicht stottert, muss über so etwas niemals nachdenken – da geht es einfach darum, ob der Name gefällt oder welche Bedeutung er hat. Jetzt habe ich jedenfalls einen Josef und eine Martha. Und beide reden wie ein Wasserfall.

Welches Vorurteil über das Stottern würden Sie gerne aus der Welt schaffen?

Man weiß mittlerwei­le, dass die Ursachen nicht psychisch, sondern organisch sind. Dieses Wissen ist ganz wichtig, weil es zeigt, dass niemandsch­uldist. DieMehrhei­t weiß das nicht, man hört immer noch Sätze wie „Du armes Kind, deine Eltern lassen dich bestimmt nie ausreden“. Das ist unangenehm, denn niemand kennt mein Elternhaus, und Schuldgefü­hle sind sowieso immer da. Alle Protagonis­ten im Film zeigen, dass man gut mit dem Stottern leben kann. Auch wenn das Umfelddas zunächst nicht glaubt und zum Beispiel sagt ,„ Wenn man stottert, kann man keinen Sprechberu­f machen“– es stimmt nicht. Eine Lehrerin hat damals zu meiner Muttergesa­gt, eswärebess­er, ich würde Latein statt Französisc­h lernen, weile seine tote Sprache ist. Natürlich habe ich Französisc­h gelernt. Man kann alles machen, nur vielleicht ein wenig anders oder langsamer als andere.

 ??  ?? Aufklären, ohne jemanden vorzuführe­n: Birgit Gohlke bringt das Thema Stottern auf die Leinwand
Aufklären, ohne jemanden vorzuführe­n: Birgit Gohlke bringt das Thema Stottern auf die Leinwand
 ??  ?? Ab morgen im Kino: „Mein Stottern“von und mit Birgit Gohlke (hier in einer Filmszene mit Baby Josef und Freund Bernhard)
Ab morgen im Kino: „Mein Stottern“von und mit Birgit Gohlke (hier in einer Filmszene mit Baby Josef und Freund Bernhard)

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