Kurier

Stummer Schrei ins Handtuch

Stronger. Jake Gyllenhaal verliert als Bomben-Opfer des Bostoner Marathons beide Beine

- VON ALEXANDRA SEIBEL

„Deine verdammten Beine, sie sind weg, Bruder!“

Wahrschein­lich gäbe es einfühlsam­ere Möglichkei­ten, einem Schwerverl­etzten, der gerade aus dem Koma erwacht, die traurige Nachricht zu überbringe­n: Dass seine beiden Beine über dem Knie amputiert werden mussten.

Jeff Bauman war einer jener Menschen, die im Jahr 2013 beim Bombenansc­hlag auf den Bostoner Marathon schwer verletzt wurden. Bauman hatte sich hinter der Zielgerade­npostiert,umdortden Endspurt seiner Ex-Freundin Erin zu bejubeln. Er hoffte, die angeschlag­ene Beziehung zu retten und seinen Ruf als sympathisc­hen, aber unzuverläs­sigen Loser zu rehabiliti­eren. Die Detonation riss ihm beide Beine weg, sein Leben verdankte er dem Einsatz eines Passanten.

In der öffentlich­en Wahrnehmun­g wurde Bauman, der der Polizei auch bei der Identifizi­erung des Attentäter­s half, umgehend zum Helden stilisiert: Für den Slogan „Boston Strong“verkörpert­e er den Symbolträg­er.

Held wider Willen

Doch wie fühlt sich ein gefeierter Nationalhe­ld, wenn er hilflos vom Klo fällt und ins Handtuch brüllt, damit die Verwandten nebenan nichts von seiner Verzweiflu­ng bemerken? Wenn die Mutter – immer mit einem Bein im Alkoholism­us – Talkshow-Masterin Oprah Winfrey einlädt, um sich mit ihrem Sohn zu brüsten? Wenn einen jede zweite Großverans­taltung zum patriotisc­hen Fahnenschw­ingen engagieren will?

Dem wählerisch­en Regisseur David Gordon Green („Prince Avalanche“) gelingt es, ein potenziell kitschiges Survival-Rührstück mit patriotisc­hen Durchhalte-Parolen („Wir lassen uns von denen – gemeint sind die Terroriste­n – nicht unterkrieg­en!“) in ein sensibles, emotional durchartik­uliertes Drama umzumünzen.

Der unermüdlic­he Jake Gyllenhaal spielt seinen labilen Helden mit dem Temperamen­t eines renitenten Kindes, dem man den HeldenMyth­os wie ein zu großes Kleidungss­tück übergezoge­n hat. Die Welt will in ihm einen unbeugsame­n Kämpfer sehen, der sein tragisches Schicksal tapfer meistert, doch Jeff greift lieber zum Bier und versäumt verkatert seine Rehab-Stunden.

Großartig auch Miranda Richardson in ihrer Rolle als mütterlich­e Schnapsdro­ssel, die ihren Bubi nicht mit seiner Freundin teilen möchte und zur emotionale­n Übergriffi­gkeit neigt.

David Gordon Green hat ein scharfes Auge für Jeffs untere weiße Mittelschi­chtsfamili­e und deren lärmende Rituale. Schwelende­m, dem Genre inhärenten, Heroismus, setzt er rüpelnde Bierrunden entgegen, ohne das Milieu zu denunziere­n. Gleichzeit­ig lotet er die angespannt­e Beziehung zwischen Jeff und seiner Freundin (hervorrage­nd: Tatiana Maslany) zartbesait­et aus – bis hin zum emotionale­n Showdown. „Stronger“funktionie­rt als klassisch erzähltes, gefühlvoll­es Drama mit unpeinlich­em Meanstream­Appeal – und trägt eine Träne im Knopfloch.

Stronger. USA 2017. 119 Min. Von David Gordon Green. Mit Jake Gyllenhaal, Miranda Richardson. KURIER-Wertung:

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Zerbrechli­che Paar-Beziehung: Tatiana Maslany und Jake Gyllenhaal
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