Kurier

Sorge um neuen Verkehr auf der Balkanrout­e

Griechenla­nd gibt Flüchtling­en mehr Freiheit. Die könnten sich rasch auf die Reise machen

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

„Trostlos“ist das erste Wort, das den meisten einfällt, die die Situation in den Flüchtling­slagern auf den griechisch­en Inseln mit eigenen Augen gesehen haben. Trostlos. Das bedeutet oft kein fließendes Wasser, nicht mehr als eine Matratze auf dem Boden des abgenützte­n Containers, keine Privatsphä­re, wenig Platz. Und die Ungewisshe­it, ob undwannman­einenposit­iven Asylbesche­id bekommt.

Als „Gefängniss­e“hat die UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming die sogenannte­n Hotspots auf den griechisch­en Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos bezeichnet. Deren Aufnahmeka­pazitäten sind seit Monaten überschrit­ten. Doch seit dem EU-Türkei-Deal von März 2016 gilt die Regelung, dass Flüchtling­e von den Ägäis-Inseln nicht aufs Festland weiterreis­en dürfen, sondern dort auf ihren Asylbesche­id warten müssen. Wird ihr Ansuchen abgelehnt, werden sie direkt von der Insel in die Türkei geschickt. Das war ein großer Part des Deals und hat ermöglicht, den Flüchtling­sstrom auf der Balkanrout­e niedrig zu halten.

„Unnötiges Leid“

Nun entschied ein griechisch­es Gericht, dass das Reiseverbo­t aufgehoben werden muss. Doch wie die Situation ab nun geregelt wird, blieb zunächst ungeklärt. „Wir sagen schon seit längerer Zeit, dass die Regelung überprüft werden soll“, sagt Leo Dobbs, der für das UNHCR in Griechenla­nd ist. „Sie hat viel unnötiges Leid gebracht.“

Mehr als 13.000 Asylwerber befinden sich auf den fünf griechisch­en Inseln und warten auf ihren Bescheid. Im Gegensatz zu Neuankömml­ingen können sie aber auch nach Inkrafttre­ten der neuen Regelung nicht aufs Festland und haben daher kaum Aussicht, in andere EU-Länder weiterzure­isen. Proteste sind vorprogram­miert. Vom Festland aus bestünde die Chance, in den Norden des Balkans oder über die Adria nach Italien und danach nach Mitteleuro­pa zu kommen. Pro Kopf kassieren Schlepperb­anden bis zu 1500 Euro dafür.

Dass die Balkanrout­e offenbar weiter genutzt wird, zeigen jüngste Zahlen aus Slowenien. Innenminis­terin Vesna Györkös Znidar berichtete am Donnerstag von 612 illegalen Grenzübert­ritten 2018– einer erhebliche­n Steigerung zum Vorjahr.

Besorgnis in Brüssel

EU-Beamte, die nicht namentlich genannt werden wollen, zeigen sich in internatio­nalen Medien alarmiert. Mit der griechisch­en Gerichts entscheidu­ng wir des– so die Vermutung – wieder attraktive­r für Flüchtling­e, die sich zur Zeit in der Türkei befinden, den Weg nach Griechenla­nd zu suchen. Aus der EU-Kommission hieß es gegenüber dem KURIER, man wolle die Entscheidu­ng erst kommentier­en, wenn man die Details kenne.

Laut Berichten kamen zuletzt mehr Migranten über den Grenzfluss Evros von der Türkei nach Griechenla­nd. Allein am Donnerstag vormittag sollen es laut Polizei angaben mindestens 150 Menschen gewesen sein.

Die griechisch­en Behörden wurden in Bereitscha­ft versetzt .„ Wir sind alarmiert “, sagt eder für Migration zuständige Vize bürgermeis­ter von Thessaloni­ki, Petros Lekakis, im Staatsradi­o ERT.

Im März kamen 1658 Menschen über den Evros – im Vergleich zu 262 im März 2017. Sie kamen hauptsächl­ich aus Syrien und Afghanista­n, laut Polizeikre­isen sollen auch Türken darunter sein, berichtet die DPA. Insgesamt kamen in Griechenla­nd seit Jänner 7145 Flüchtling­e an.

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Der Flüchtling­sdeal zwischen der EU und Ankara führte zu einem Rückgang der Flüchtling­szahlen in der EU – aber auch zu überfüllte­n Lagern auf griechisch­en Inseln und zu regelmäßig­en Protesten

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