Sorge um neuen Verkehr auf der Balkanroute
Griechenland gibt Flüchtlingen mehr Freiheit. Die könnten sich rasch auf die Reise machen
„Trostlos“ist das erste Wort, das den meisten einfällt, die die Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln mit eigenen Augen gesehen haben. Trostlos. Das bedeutet oft kein fließendes Wasser, nicht mehr als eine Matratze auf dem Boden des abgenützten Containers, keine Privatsphäre, wenig Platz. Und die Ungewissheit, ob undwannmaneinenpositiven Asylbescheid bekommt.
Als „Gefängnisse“hat die UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming die sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos bezeichnet. Deren Aufnahmekapazitäten sind seit Monaten überschritten. Doch seit dem EU-Türkei-Deal von März 2016 gilt die Regelung, dass Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln nicht aufs Festland weiterreisen dürfen, sondern dort auf ihren Asylbescheid warten müssen. Wird ihr Ansuchen abgelehnt, werden sie direkt von der Insel in die Türkei geschickt. Das war ein großer Part des Deals und hat ermöglicht, den Flüchtlingsstrom auf der Balkanroute niedrig zu halten.
„Unnötiges Leid“
Nun entschied ein griechisches Gericht, dass das Reiseverbot aufgehoben werden muss. Doch wie die Situation ab nun geregelt wird, blieb zunächst ungeklärt. „Wir sagen schon seit längerer Zeit, dass die Regelung überprüft werden soll“, sagt Leo Dobbs, der für das UNHCR in Griechenland ist. „Sie hat viel unnötiges Leid gebracht.“
Mehr als 13.000 Asylwerber befinden sich auf den fünf griechischen Inseln und warten auf ihren Bescheid. Im Gegensatz zu Neuankömmlingen können sie aber auch nach Inkrafttreten der neuen Regelung nicht aufs Festland und haben daher kaum Aussicht, in andere EU-Länder weiterzureisen. Proteste sind vorprogrammiert. Vom Festland aus bestünde die Chance, in den Norden des Balkans oder über die Adria nach Italien und danach nach Mitteleuropa zu kommen. Pro Kopf kassieren Schlepperbanden bis zu 1500 Euro dafür.
Dass die Balkanroute offenbar weiter genutzt wird, zeigen jüngste Zahlen aus Slowenien. Innenministerin Vesna Györkös Znidar berichtete am Donnerstag von 612 illegalen Grenzübertritten 2018– einer erheblichen Steigerung zum Vorjahr.
Besorgnis in Brüssel
EU-Beamte, die nicht namentlich genannt werden wollen, zeigen sich in internationalen Medien alarmiert. Mit der griechischen Gerichts entscheidung wir des– so die Vermutung – wieder attraktiver für Flüchtlinge, die sich zur Zeit in der Türkei befinden, den Weg nach Griechenland zu suchen. Aus der EU-Kommission hieß es gegenüber dem KURIER, man wolle die Entscheidung erst kommentieren, wenn man die Details kenne.
Laut Berichten kamen zuletzt mehr Migranten über den Grenzfluss Evros von der Türkei nach Griechenland. Allein am Donnerstag vormittag sollen es laut Polizei angaben mindestens 150 Menschen gewesen sein.
Die griechischen Behörden wurden in Bereitschaft versetzt .„ Wir sind alarmiert “, sagt eder für Migration zuständige Vize bürgermeister von Thessaloniki, Petros Lekakis, im Staatsradio ERT.
Im März kamen 1658 Menschen über den Evros – im Vergleich zu 262 im März 2017. Sie kamen hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan, laut Polizeikreisen sollen auch Türken darunter sein, berichtet die DPA. Insgesamt kamen in Griechenland seit Jänner 7145 Flüchtlinge an.