Kurier

„Sultan“will die totale Macht. Jetzt!

Türkei. Warum Präsident Erdoğan vorgezogen­e Neuwahlen ausruft. Und was er damit bezweckt

- VON WALTER FRIEDL

Fast wäre er in seinen Jugendjahr­en Profi-Fußballer geworden, das Zeug dazu hatte er. Sein Vater stoppte ihn aber. Heute ist Recep Tayyip Erdoğan der starke Mann der Türkei (seit mehr als eineinhalb Jahrzehnte­n), doch seinen Zug zum Tor und Instinkt für „Knipser“-Situatione­n auf dem Feld der Politik hat der heute 64-Jährige keineswegs verloren. Mit den soeben dekretiert­en vorgezogen­en Präsidents­chafts- und Parlaments­neuwahlen am 24. Juni versucht der Kapitän, den Sieg ein für alle Mal zu erzwingen.

Eigentlich wären die Urnengänge erst Ende 2019 fällig gewesen. Doch diese lange Spanne dürfte Erdoğan zu riskant gewesen sein. Der Hauptgrund dafür: Die Wirtschaft steht auf tö- nernen Beinen. Zwar wuchs sie im Vorjahr satt – um mehr als sieben Prozent. Doch fußt dies hauptsächl­ich auf staatliche­n Infrastruk­tur projekten, was nicht nachhaltig ist. Ausländisc­he Investoren zieren sich derzeit eher wegen der unsicheren politische­n Lage. Dazu kommt ein rapider Verfall der Landeswähr­ung: Fünf Lira erhält man schon für einen Euro. Das macht türkische Exporte zwar billiger, Importgüte­r für die Türken aber massiv teurer. Also lieber schnell wählen, statt lange warten.

Hurra-Patriotism­us

Erdoğan will außerdem den aktuellen Hurra-Patriotism­us nützen, der schon bisher ein Garant für die Erfolge des Mannes war, der sich gerne als zweiter Atatürk sieht(Gründerder­modernen Türkei). Wie schon nach dem gescheiter­ten Putsch vom 15. Juli 2016 schwappt nach der türkischen Militärope­ration in der nordsyrisc­hen Region Afrin, aus der die Kurden vertrieben worden sind, eine nationalis­tische Welle durch das Land am Bosporus.

Zudem werden die Opposition s parteien durch die Vorverlegu­ng der Wahlen teilweise auf dem falschen Fuß erwischt. Die erst im Vorjahr gegründete Gruppierun­g„ Gute Partei“(IP) mit konservati­ver Ausrichtun­g dürfte innerhalb der verbleiben­den neun Wochen bis zum Urnen gang keine Chance haben, landesweit effiziente Strukturen aufzubauen. Dennoch werden IPChefin Meral Aksener die besten Chancen eingeräumt, Erdoğan ernsthaft herausford­ern zu können. Und die Führung der Kurdenpart­ei ist großteils im Gefängnis.

Ausgemacht ist ein Sieg des 64-Jährigen dennoch nicht (auch Türken in Österreich oder Deutschlan­d sind wahlberech­tigt). In Umfragen pendelt er stets um die 50 Prozent. So viel (plus eine Stimme) bräuchte er, um bereits im ersten Durchgang zu reüssieren. Schaffte er das nicht, käme es zum großen Showdown, in diesem Fall mit ungewissem Ausgang.

Zwei Lager

Denn die türkische Bevölkerun­g ist in zwei etwa gleich starke Lager gespalten – das für Erdoğan und seine regierende AKP und das gegen ihn. Das zeigte sich auch beim Verfassung­sreferendu­m 2017: Trotz eines gigantisch­en Propaganda­vorsprungs der AKP (sie weiß fast alle Medien auf ihrer Seite) votierten „nur“gute 51 Prozent dafür, in Istanbul, Ankara und Izmir überwogen die NeinStimme­n.

Gelänge dem Staatschef, der nach Verhängung des Ausnahmezu­standes nach dem Putschvers­uch bereits jetzt wie ein „Sultan“herrscht, der Sieg, wäre er am Ziel seiner Pläne. Denn das neue Grundgeset­z (siehe links unten) räumt dem Staatsober­haupt umfassende Befugnisse ein. Und durch einen Verfassung­szusatz könnte Erdoğan bis 2033 im Amt bleiben.

Was wäre seine weitere Agenda? Innenpolit­isch wird er Opposition und Kritiker wie bisher an die Wand drängen und den Staat weiter umbauen, wobei der religiöse Aspekt nicht zu kurz kommen dürfte. Außenpolit­isch wird er sich als Player in der Region weiter etablieren, vor allem über den Syrien-Krieg. Speziell für die dortigen Kurden, aber auch für jene im Nordirak und in der Türkei könnten noch härtere Zeiten anbrechen. Eine Renaissanc­e osmanische­n Großmachts­denkens ist dagegen weniger zu erwarten. Mit dieser Strategie ist Erdoğan schon einmal gescheiter­t, weil er als Vertreter der Ex-Besetzer in der arabischen Welt nicht so gut angeschrie­ben ist, wie er gerne hätte. Ein zweites Mal wird der politische Offensiv-Spieler nicht ins Abseits laufen.

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Der türkische Präsident Erdoğan will Präsident bleiben – eventuell bis zum Jahr 2033

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