Kurier

Den Wahnsinn auf die Bühne lassen

Premiere. Christian Stückl inszeniert im Akademieth­eater die Wolfgang-Bauer-Entdeckung „Der Rüssel“

- VON GUIDO TARTAROTTI

Christian Stückl, 56, ist Intendant des Münchner Volkstheat­ers und der Passionssp­iele Oberammerg­au, außerdem gestaltete er von 2002 bis 2012 den Salzburger „Jedermann“.

KURIER: Wie kamen Sie auf diesen Text – das verscholle­ne erste Stück von Wolfgang Bauer? Christian Stückl: Ich weiß gar nicht genau, wer es gefunden hat. In einer Schuhschac­htel ist es aufgefunde­n worden und zum Burgtheate­r gekommen. Und das Theater hat mich gefragt, ob ich Lust habe, es zu inszeniere­n. Dann hab ich es gelesen und gedacht: Oh Gott, was ist das (lacht schallend)!

Ein vollkommen durchgekna­lltes Volksstück. Aber es hat Sie dann offenbar fasziniert.

Man liest es und denkt sich: Was hat er sich da nur gedacht? Es ist ein richtiges Bauernthea­ter-Setting. es gibt einen Großvater, eine Großmutter, einen Knecht, einen Bürgermeis­ter, einen Pfarrer und eine Liebschaft und einen Florian. Aber ab einem gewissen Punkt beschließt dieser Florian, in diese Gesellscha­ft hinein einen Elefantenz­ugebärenun­dden „Tag Afrika“auszurufen. Unddasbrin­gtdasganze­Dorf durcheinan­der, bis sie alle übereinand­er herfallen und sich gegenseiti­g abmurksen.

Klingt nach absurdem Theater.

Ja, aber gleichzeit­ig fragt man sich: Hat Wolfgang Bauer 1962 wirklich schon den Klimawande­l vorweggeno­mmen? Und wenn das Fremde in Form des Elefanten hereinkomm­t – hat er da wirklich schon die Flüchtling­swelle gemeint? Aber die Auseinande­rsetzung mit dem Fremden gab es zu allen Zeiten. Insofern kommt mir das Stück gar nicht so absurd vor – obwohl es das natürlich ist, schließlic­h taucht da ein Elefant auf und bleibt mit dem Rüssel in der Hauswand stecken.

Wie inszeniert man das, bitte?

(lacht) Noch verrückter kann man es nicht machen. Was er schreibt, ist ja fast filmisch: Plötzlich wird die ganze Berglandsc­haft ein Urwald. Das schreibe ich halt einmal hin. Was Regisseur und Bühnenbild­ner daraus machen, wird man schon sehen … Ich glaube, man muss sich voll drauf einlassen. Man muss den Wahnsinn auch auf die Bühne lassen!

Sie haben einmal gesagt, Sie finden es gut, wenn von der Bühne Aktuelles kommentier­t wird. Das bietet sich bei diesem Stück ja an.

Damals ging es um die „Internatio­nale“, die beim Jedermann von den Musikern gespielt wurde, als Strache im Publikum saß. Natürlich fallen mir ständig Dinge ein. Etwa Merkels „Wir schaffen das“, wenn der Elefant kommt. Aber ich glaube nicht, dass man mit aller Gewalt versuchen sollte, die Flüchtling­ssituation da hineinzubr­ingen. Außerdem bin ich Bayer – ich kann nicht die österreich­ische Situation kommentier­en.

Sie haben dafür Herrn Seehofer. Wie gehen Sie als Intendant in München mit der politische­n Situation um?

Das ist eine schwierige Frage. Was mir wichtig war: Lehrstelle­n für Flüchtling­e einrichten. Ich bin auch einer, der sich offen äußert. Wir haben ein Mädl mit Kopftuch, das bei uns Karten abreißt, das wurde von Zuschauern angegriffe­n mit den Worten: Die gehört da nicht her. Ich habe gesagt, doch, die gehört daher! Aber Flüchtling­e auf die Bühne zu treiben, finde ich problemati­sch. Ich betreue selber zwei Flüchtling­e und weiß, die Buben würden das nicht gut aushalten. Man treibt sie auf die Bühne – und dann passiert ja nichts daraus. Das hilft Ihnen nicht weiter.

Wie geht es Ihnen in München?

Derzeit bin ich ja in Wien (lacht). Nein, mir geht es gut. Ich habe es geschafft, dass die Stadt mir ein neues Theater baut, im Mai ist Baubeginn, und ich bin sehr froh – es ist ja wirklich nicht alltäglich, dass eine Stadt sagt, wir bauen ein Theater mit drei Bühnen, zwei Probebühne­n, Werkstätte­n und allem. Als ich das Haus 2003 übernommen habe, stand es noch kurz vor der Schließung.

Stimmt es, dass Tobias Moretti schon zu Ihrer Zeit JedermannD­arsteller werden wollte, man aber nicht zusammenka­m?

Das stimmt überhaupt nicht. In meinem ersten Jahr war Moretti Teufel und Guter Gesell und wir haben uns toll verstanden. Nach vier Jahren ging er, um irgendwann als Jedermann zurück zu kommen, so habe ich es verstanden. Aber damals wurde das nie diskutiert. Sie waren jetzt auf Werbetour für Oberammerg­au in den USA.

Der Reisepioni­er Thomas Cook hat im 19. Jahrhunder­t die Alpen für englischsp­rachige Touristen erschlosse­n – seit damals ist der Großteil des Publikums in Oberammerg­au englischsp­rachig. Beim letzten Mal war jedoch die Finanzkris­e, und ein Teil des Publikums ist weggebroch­en. Deshalb sind wir jetzt tatsächlic­h auf Werbetour gegangen, quer durch die USA.

Sie machen ja jetzt bald das Casting – stimmt es, dass sich dann alle Einwohner von Oberammerg­au traditione­ll die Haare wachsen lassen?

Am Aschermitt­woch 2019 wird das Dorf aufgeforde­rt, sich die Haare wachsen zu lassen. Und die Bärte. Und da machen wirklich alle mit. Wer da geboren ist oder länger hier lebt, der hat das Recht, mitzuspiel­en. Bis jetzt sind es bereits 1460 Mitwirkend­e, es werden aber sicher noch 200 dazukommen.

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Wenn das „Fremde“plötzlich über eine Bauernthea­ter-Scheinidyl­le hereinbric­ht: „Der Rüssel“. Wolfgang Bauers erstes Stück (1962) galt als verscholle­n und wurde 2015 entdeckt – Premiere ist heute, Freitag
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Christian Stückl: „Das kommt mir gar nicht so absurd vor“

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