Was sich ändert und was bleibt: August Sanders Typen im Westlicht Auslastung nur 56 Prozent: Sanierungsfall Volkstheater
Fotografie. Eine Schau bietet die Chance, die „Menschen des 20. Jahrhunderts“neu zu betrachten. Desaster. Meinl-Reisinger fordert Maßnahmen
Das Werk ist einer der ganz großenKlassikerderFotografiegeschichte: Als August Sander die Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“in den 1920er-Jahren entwickelte, wollte er ein komplettes Porträt der Gesellschaft seiner Zeit schaffen. In sieben Kategorien – neben „Bauern“, „Handwerkern“und „Künstlern“ist eine Mappe den „letzten Menschen“gewidmet – ging der Fotograf der Frage nach, inwieweit sich in der Abbildung einzelner Personen universelle Charakteristika einfangen ließen.
Sander gelang es dabei, das Allgemeine und das Spezielle in einem Spannungsverhältnis zu halten, das auch nach Jahrzehnten nicht erschlafft. Die Präsentation von 60 großformatigen Abzügen, die bis 20. Mai im Fotomuseum Westlicht zu sehen ist, nimmt einen daher auf verblüffende Weise gefangen: Wer sind diese Men- schen, die ihre Betrachter da aus einer vergangenen Epoche anblicken? Könnte der Zuckerbäcker auch in der Konditorei gegenüber stehen, der „Couleurstudent“mitdenSchmissenimGesicht Gehilfe eines Ministers sein?
Hinter der Maske
Die Personen, die Sander ablichtete, tragen eine Maske, die ihnen die Gesellschaft anpasste. Doch die Montur konnte die Persönlichkeit nicht verdecken: Die Gesichter der Porträtierten sind unsicher, mitunter lächerlich, auch deshalb verboten die Nationalsozialisten den 1929 veröffentlichten Auszug „Antlitz der Zeit“: Idealtypische Deutsche sucht man bei Sander vergebens.
Doch es ist gerade das Abweichende, Nicht-Typische, das in der zeitlichen Distanz besticht: Ungeachtet ihrer epochetypischen Hülle wirken die abgelichteten Menschen als Menschen nahe, dank ihrer Präsenz und Würde, aber auch dank der NichtPerfektion. In einer Zeit, in der das eigene Abbild unermüdlich optimiert und mit „Hashtags“in Kategorien eingepasst wird, könnte man daraus auch den Appell destillieren, das eigene „Image“öfters zu hinterfragen. Der KURIER traf Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ), der seinen Rückzug bekannt gegeben hatte, am 13. April im Rathaus zum Interview. Auf die Frage nach dem Sanierungsfall Volkstheater antwortete er, wie man tags darauf lesen konnte: „Ich wäre kein guter Kulturstadtrat, wenn ich bei einer Auslastung von 62 oder 65 Prozent sagen würde: Jetzt ist Schluss!“Direktorin Anna Badora sollte „ein längerer Atem“zugestanden werden.
Der Kulturstadtrat nannte hohe Zahlen – wider besseren Wissens. Denn bereits am 10. April hatte er auf eine Anfrage von Beate Meinl-Reisinger, der Wiener NEOSChefin, eine Auslastung von 57 Prozent im Jahr 2016 beziehungsweise von 56 Prozent im vergangenen Jahr einbekannt. Und selbst diese Zahlen waren nur durch das großzügige Verschenken von Karten zu erzielen gewesen: 2016 lag der Anteil der Freikarten bei 8,2 Prozent! Konkret wurden für alle Spielstätten zusammen, inklusive der Roten Bar und dem Hundsturm (nun Volx Margareten) bloß 138.977 Karten ausgegeben – und 11.394 davon unentgeltlich. Die Erlöse betrugen 2,32 Millionen Euro. Das heißt, dass man pro ausgegebener Karte lediglich 16,70 Euro erzielte.
Zum Vergleich: Das von Herbert Föttinger geleitete Theater in der Josefstadt kam in der Saison 2016/’17 auf Einnahmen von 9,35 Millionen Euro (vier Mal so viel!) und 290.000 Zuschauer. Im Durchschnitt kostete jede Karte 32,20 Euro (doppelt so viel wie im Volkstheater). Dennoch betrug die Auslastung fulminante 88 Prozent. Der Eigenfinanzierungsgrad lag bei 41 Prozent; das Volkstheater kam 2016 im Haupthaus lediglich auf 20,5 Prozent. Meinl-Reisinger fordert Maßnahmen: „So kann es ja nicht weitergehen!“
Wie trist die Situation ist, beweisen die Spielpläne für April und Mai: An 18 von 61 Tagen setzt das Volkstheater für die große Bühne „Keine Vorstellung“an. Der Schließtag scheint ein echter Renner zu sein.