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Was sich ändert und was bleibt: August Sanders Typen im Westlicht Auslastung nur 56 Prozent: Sanierungs­fall Volkstheat­er

Fotografie. Eine Schau bietet die Chance, die „Menschen des 20. Jahrhunder­ts“neu zu betrachten. Desaster. Meinl-Reisinger fordert Maßnahmen

- VON MICHAEL HUBER VON thomas.trenkler@kurier.at

Das Werk ist einer der ganz großenKlas­sikerderFo­tografiege­schichte: Als August Sander die Serie „Menschen des 20. Jahrhunder­ts“in den 1920er-Jahren entwickelt­e, wollte er ein komplettes Porträt der Gesellscha­ft seiner Zeit schaffen. In sieben Kategorien – neben „Bauern“, „Handwerker­n“und „Künstlern“ist eine Mappe den „letzten Menschen“gewidmet – ging der Fotograf der Frage nach, inwieweit sich in der Abbildung einzelner Personen universell­e Charakteri­stika einfangen ließen.

Sander gelang es dabei, das Allgemeine und das Spezielle in einem Spannungsv­erhältnis zu halten, das auch nach Jahrzehnte­n nicht erschlafft. Die Präsentati­on von 60 großformat­igen Abzügen, die bis 20. Mai im Fotomuseum Westlicht zu sehen ist, nimmt einen daher auf verblüffen­de Weise gefangen: Wer sind diese Men- schen, die ihre Betrachter da aus einer vergangene­n Epoche anblicken? Könnte der Zuckerbäck­er auch in der Konditorei gegenüber stehen, der „Couleurstu­dent“mitdenSchm­issenimGes­icht Gehilfe eines Ministers sein?

Hinter der Maske

Die Personen, die Sander ablichtete, tragen eine Maske, die ihnen die Gesellscha­ft anpasste. Doch die Montur konnte die Persönlich­keit nicht verdecken: Die Gesichter der Porträtier­ten sind unsicher, mitunter lächerlich, auch deshalb verboten die Nationalso­zialisten den 1929 veröffentl­ichten Auszug „Antlitz der Zeit“: Idealtypis­che Deutsche sucht man bei Sander vergebens.

Doch es ist gerade das Abweichend­e, Nicht-Typische, das in der zeitlichen Distanz besticht: Ungeachtet ihrer epochetypi­schen Hülle wirken die abgelichte­ten Menschen als Menschen nahe, dank ihrer Präsenz und Würde, aber auch dank der NichtPerfe­ktion. In einer Zeit, in der das eigene Abbild unermüdlic­h optimiert und mit „Hashtags“in Kategorien eingepasst wird, könnte man daraus auch den Appell destillier­en, das eigene „Image“öfters zu hinterfrag­en. Der KURIER traf Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ), der seinen Rückzug bekannt gegeben hatte, am 13. April im Rathaus zum Interview. Auf die Frage nach dem Sanierungs­fall Volkstheat­er antwortete er, wie man tags darauf lesen konnte: „Ich wäre kein guter Kulturstad­trat, wenn ich bei einer Auslastung von 62 oder 65 Prozent sagen würde: Jetzt ist Schluss!“Direktorin Anna Badora sollte „ein längerer Atem“zugestande­n werden.

Der Kulturstad­trat nannte hohe Zahlen – wider besseren Wissens. Denn bereits am 10. April hatte er auf eine Anfrage von Beate Meinl-Reisinger, der Wiener NEOSChefin, eine Auslastung von 57 Prozent im Jahr 2016 beziehungs­weise von 56 Prozent im vergangene­n Jahr einbekannt. Und selbst diese Zahlen waren nur durch das großzügige Verschenke­n von Karten zu erzielen gewesen: 2016 lag der Anteil der Freikarten bei 8,2 Prozent! Konkret wurden für alle Spielstätt­en zusammen, inklusive der Roten Bar und dem Hundsturm (nun Volx Margareten) bloß 138.977 Karten ausgegeben – und 11.394 davon unentgeltl­ich. Die Erlöse betrugen 2,32 Millionen Euro. Das heißt, dass man pro ausgegeben­er Karte lediglich 16,70 Euro erzielte.

Zum Vergleich: Das von Herbert Föttinger geleitete Theater in der Josefstadt kam in der Saison 2016/’17 auf Einnahmen von 9,35 Millionen Euro (vier Mal so viel!) und 290.000 Zuschauer. Im Durchschni­tt kostete jede Karte 32,20 Euro (doppelt so viel wie im Volkstheat­er). Dennoch betrug die Auslastung fulminante 88 Prozent. Der Eigenfinan­zierungsgr­ad lag bei 41 Prozent; das Volkstheat­er kam 2016 im Haupthaus lediglich auf 20,5 Prozent. Meinl-Reisinger fordert Maßnahmen: „So kann es ja nicht weitergehe­n!“

Wie trist die Situation ist, beweisen die Spielpläne für April und Mai: An 18 von 61 Tagen setzt das Volkstheat­er für die große Bühne „Keine Vorstellun­g“an. Der Schließtag scheint ein echter Renner zu sein.

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Aus dem Bildatlas des August Sander: „Konditor“, 1928
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