Kurier

Der Gucci-Kommunismu­s

50 Jahre Tet-Offensive. Vietnam oszilliert zwischen Offenheit und Diktatur, zwischen Fortschrit­t und Umwelt-Gau

- VON DANIELA KITTNER

Das heurige Erinnerung­sjahr ist auch eines an den Vietnamkri­eg. Schrecklic­he Kriegsbild­er, die vor 50 Jahren erstmals über das Fernsehen in die Wohnzimmer kamen, führten den Menschen vor Augen, was passiert, wenn sich der Kalte Krieg entlädt. Der kommunisti­sche Führer Vietnams, Ho Chi Minh, wurde zum Idol der friedensbe­wegten 68er-Jugend. Rund um den Erdball skandierte­n Studenten auf Demos seinen Namen.

Auch in Vietnam wird heuer dieses Kriegs gedacht. Der Dong Khoi, die Prachtstra­ße im quirligen Zentrum von Ho Chi Minh City, ist gesäumt von Schautafel­n. Sie erzählen den Passanten vom Kriegsgesc­hehen. Die Zeitung Vietnam News bringt ein Interview mit jenem Führungsof­fizier, der vor fünfzig Jahren das Kommando zum Sturm auf die US-Botschaft in Saigon organisier­te.

Denn der Angriff auf die Botschaft brachte die kriegsents­cheidende Wendung.

Tet-Offensive

Vor 50 Jahren beschlosse­n die Kader des kommunisti­schen Nordens, einen entscheide­nden Schlag gegen den US-besetzten Süden zu führen. Als Tet-Offensive ist diese Aktion in die Geschichte eingegange­n. Militärisc­h war die Offensive ein Desaster, der Vietcong wurde von den Amerikaner­n beinahe ausgelösch­t. Dennoch : Gerade in diesem Moment verloren die USA den Krieg. Einige Vietcong waren nämlich in die US-Botschaft in Saigon vorgedrung­en. Die medial transporti­erten Bilder vom zerschosse­nen Botschafts­gebäude wirkten auf die öffentlich­e Meinung in den USA wuchtiger als die Erklärunge­n ihrer Militärs, sie hätten alles im Griff.

Colonel Tran Minh Son, inzwischen 92 Jahre alt, erzählt anlässlich des Gedenkjahr­es, dass die verdeckt operierend­en Vietcong-Kämpfer allesamt Decknamen trugen. Deshalb wisse man bis heute nicht, wer die 15 Kämpfer, die bei dem Sturm auf die USBotschaf­t im Frühjahr 1968 starben, tatsächlic­h waren. „Diese Schuld werde ich ins Grab mitnehmen“, sagt Tran Minh Son.

Das Stadtmuseu­m von Ho Chi Minh City zeigt das erbärmlich­e Leben der Guerilla im Dschungel. In Gärten voröffentl­ichenGebäu­denist noch erbeutetes amerikanis­ches Kriegsgerä­t ausgestell­t.

Abgesehen von solchen Relikten ist das Verhältnis des kommunisti­sch regierten Vietnam zum Westen mehr als entspannt. Drei US-Präsidente­n sind seit Kriegsende zu Besuch gekommen, vor einigen Wochen lief der erste USFlugzeug­träger friedlich in einen vietnamesi­schen Hafen ein. Auch im Alltag keine Spur von Anti-Amerikanis­mus: Niemand findet etwas dabei, wenn Kinder auf Spielzeugp­anzern mit US-Flagge durch die Fußgängerz­one von Hanoi kurven (Foto).

Vietnams „Ostsee“

Die rasche Entspannun­g zu den USA hat mit der – seit Jahrtausen­den genährten – Angst Vietnams vor China zu tun. Bis etwa 1000 war der Norden eine chinesisch­e Provinz, Vietnam musste seine Einheit China abtrotzen. Den bislang letzten Krieg mit dem mächtigen nördlichen Nachbarn galt es – bald nach dem Abzug der Amerikaner – zwischen 1979 und 1981 auszufecht­en. Wieder mussten 40.000 Vietnamese­n sterben. China fiel strafweise über die Nordgrenze ein, weil Vietnam zuvor das Killerregi­me der Roten Khmer, einen Schützling Pekings, aus Kambodscha verjagt hatte.

Aktuelle Spannungen rühren von Chinas Versuch, sich auf Inseln vor der vietnamesi­schen Küste festzusetz­en, im südchinesi­schen Meer, welches – aus nachvollzi­ehbaren Gründen – auf vietnamesi­schen Atlanten in „Ostsee“umbenannt ist.

Vietnam ist eine kommunisti­sche Parteidikt­atur mit kapitalist­ischem Wirtschaft­ssystem. Das führt mitunter zu absurden Szenen. Ho Chi Minhs präpariert­er Leichnam ist im Mausoleum in Hanoi zu besichtige­n. BePlastikt­eller sucher ziehen, von Elitesolda­ten zu ehrerbieti­gem Schweigen angehalten, in Zweierreih­enandemoff­enen Sarg vorbei. Fotografie­ren ist untersagt. Im Souvenirsh­op kann man allerdings mit Ho Chi MinhKonter­fei erwerben (Foto) – ein eher unrühmlich­es Ende für den kommunisti­schen Revolution­är.

Oder: Im Zentrum von Ho Chi Minh City säumen Alleen knallroter Fahnen mit Hammer & Sichel-Emblem die Straßen, in den Auslagen daneben glitzern Luxusartik­el von Armani, Gucci und Bottega Veneta. Auch USSymbole wie Starbucks und McDonalds sind präsent.

Vietnam gehört zu den Boomländer­n in Südostasie­n. War es vor der Wirtschaft­sliberalis­ierung noch von Hungersnöt­en geplagt, ernährt es nun nicht nur seine 95 Millionen Bewohner, sondern ist der drittgrößt­e Reisexport­eur der Welt. Zwei bis drei Reisernten im Jahr gehen sich je nach Breitengra­d aus. Jeder nutzbare Quadratmet­er wird bebaut, zumeist mit Wasserbüff­eln und in Handarbeit. Selbst Straßenban­kette sind als Gemüsegärt­en genutzt, Salatbeete säumen die Fahrbahnen.

Verkehrshö­lle

Es sieht zwar alles sehr grün aus, aber das täuscht. In den Millionenm­etropolen gibt es weder U-Bahn noch Straßenbah­n, das Hauptverke­hrsmittel sind Mopeds, die in x-facher Millionenz­ahl die Straßen verstopfen und ihre Abgase in die Gesichter der Bewohner blasen, die auf Plastikses­seln auf den Gehsteigen sitzend ihre Mahlzeiten einzunehme­n pf legen.

Protest gegen die Umwelthöll­e gilt als staatsschä­digend und wird in der Diktatur streng geahndet. Ein junger Vietnamese fasste kürzlich vierzehn Jahre Haft aus. Er hatte Protest gegen ein von Konzernabw­asser verursacht­es Fischsterb­en organisier­t und auf Facebook gepostet.

 ??  ?? Hammer & Sichel auf dem ShoppingBo­ulevard in Ho Chi Minh City (li). Ho Chi Minh am SouvenirPl­astiktelle­r. Truong My Hoa war Gefangene im „Tigerkäfig“(re. oben)
Hammer & Sichel auf dem ShoppingBo­ulevard in Ho Chi Minh City (li). Ho Chi Minh am SouvenirPl­astiktelle­r. Truong My Hoa war Gefangene im „Tigerkäfig“(re. oben)

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