Wenn Talent und Asphalt ausgehen
Formel 4. Ein KURIER-Redakteur glaubte, sein Potenzial für den Motorsport entdeckt zu haben. Ein Irrtum
Ohne Hilfe komme ich nie wieder aus diesem Auto raus. Tief hineingerutscht in das enge Cockpit zerrt ein Helfer den Sechs-PunktGurt fest und fixiert H.A.N.S., den als „Head and Neck Support“bezeichneten Schutz für den Nackenbereich. Nur wenige Zentimeter kann der Kopf nach links und rechts bewegt werden, dann blockiert das System abrupt. Es reicht, um in die Spiegel zu schauen. Per Funk meldet sich eine Stimme im Helm: „Auto Nummer 8, wenn du mich hörst, bitte Hand heben.“Ich winke.
Die Anweisung gibt der Mann, der im Auto genau vor mir festgezurrt wird: Patrick Friesacher, 37-jähriger Kärntner, elffacher Teilnehmer an Formel-1-Rennen. Nun ist er Instruktor auf dem Red-Bull-Ring in Spielberg. Er soll uns mit einem der spektakulärsten Spielzeuge in Spielberg vertraut machen, einem Formel-4-Auto.
Seit dieser Saison kann jeder Führerscheinbesitzer mit diesem Rennwagen über den 4,3 Kilometer langen Ring fahren. Die Eckdaten: 210 PS, 570 kg, 240 km/h Spitze,von0auf100in3,7Sekunden. Preis: ab 430 Euro für fünf Runden.
Günstiger Einstieg
Für den Laien schaut der Wagen wie ein Formel-1-Auto aus, Front- und Heckflügel sind im Red-Bull-Design. 50.000bis60.000Eurokostet das gute Stück. Friesacher bezeichnet das als „günstigen Einstieg in den Motorsport“. Tatsächlich ist die Formel 4 oft die erste Station nach den Lehrjahren im Kart.
Wieder meldet sich die Stimme im Helm: „Denkt daran, was wir besprochen haben. Zwei Mal Kippschalter, dann starten.“
Der erste Kippschalter links im Cockpit schaltet die Elektrik ein, das Display auf dem Lenkrad erwacht. Mit dem zweiten Schalter springt röhrend der Motor imHeckan.Waswardanoch? Kupplung treten, dann zeitgleich den grünen Knopf am Lenkrad drücken und mit der rechten Schaltwippe den ersten Gang einlegen – Klock!
„Mit wenig Gas gaaanz langsam die Kupplung kommen lassen“, sagt Friesachers Stimme im Helm. Ein erster Erfolg, das Auto setzt sich in Bewegung. Im ersten Gang bei Standgas rollen wir die Boxenausfahrt hinauf, Visier schließen, die erste Linkskurve, dann vorsichtig auf das Gas steigen. „Rechte Wippe – Zweiter – Dritter – Vierter“, sagt die Helmstimme. Ohne zu Kuppeln und ohne vom Gas zu gehen, schalte ich bis in den sechsten Gang, der Zündunterbrecher macht’s möglich.
Beim Anbremsen der Kurve wird zurückgeschaltet, vor dem Einlenken sollten Brems- und Schaltvorgang abgeschlossen sein. Das Auto rollt in die Kurve, am Scheitelpunkt gibt man vorsichtig wieder Gas. Es gelingt.
Nach und nach wird die Fahrt rasanter, werden die Schaltwippen vertrauter und wird das Vertrauen in die Bremse größer. Ohne Bremskraftverstärker muss manmitvielKraftindasPedal steigen, doch dann ist die Verzögerung eindrucksvoll.
Selbsterkenntnis
Auf der Start-Zielgeraden meldet sich wieder die Stimme: „Bitte nach rechts fahren und den Hintermann vorlassen.“Dann fällt es auf: Ich könnte schneller fahren. Zumindest schneller als der Kollege im anderen Auto, ich könnte mehr Gas geben und später bremsen. Habe ich gar mein Talent zum Rennfahren entdeckt?
Jetzt will ich es genau wissen, absichtlich lasse ich mich zurückfallen, um beim Anbremsen und in den Kurven wieder aufzuholen. Einen langgezogenen RechtsKnick versuche ich so schnell als möglich zu fahren. Angeblich kommt bei dieser Geschwindigkeitauchschonder Anpressdruck durch die Flügel zu tragen. Spürbar ist es für den Laien nicht, aber Friesacher hat es so erklärt. Es wird stimmen.
Auf der langen Geraden darf ich den Kollegen wieder überholen, mit knapp 220 km/h platziere ich mich hinter Friesacher. Ich fahre nahe auf, glaube das Auto zu kontrollieren. Vor der Remus-Kurve bremse ich spät, schaltezurück,6-5-4-3,lenke ein ... und verliere komplett die Kontrolle. Der Wagen drehtsichüberdieHinterachse weg über die Curbs von der Straße. Nicht nur die Strecke ist ausgegangen, auch das Talent. Der Motor stirbt ab, zeitgleich schimpft die Helmstimme: „Heee! Nummer 8. Nicht in der Kurve schalten.“Friesacher hat das Malheur im Rückspiegel beobachtet.
Überforderung
Ich bin überfordert, was ist zu tun? Okay, Kupplung treten, drei Mal Schaltwippe links, oberer Kipphebel, grüner Knopf, ersten Gang einlegen. Das Auto fährt wieder.
Langsam schließe ich auf, der Journalisten-Kollege ist vor mir. Wir biegen ab in die Box. Linke Schaltwippe bis Neutral, oberer Kipphebel, Motor aus. Ein Helfer befreit mich von Gurt und H.A.N.S., ich steige aus. Kleinlaut. Friesacher ist ein Ehrenmann,verliertüberden Fauxpas kein Wort. Leise frage ich nach der Rundenzeit. „Zirka zwei Minuten“, sagt er. Nicht schlecht, denke ich, darauf kann man stolz sein. Und wie schnell ist die Qualifying-Zeit der Formel 4? Die Antwort beendet meine Motorsport-Karriere. 1:30.