Kurier

Schneckenr­agout mit Palmensala­t

Akademieth­eater. Christian Stückl brachte Wolfgang Bauers „Der Rüssel“(aus 1962) gezähmt zur Uraufführu­ng

- VON THOMAS TRENKLER

Das absurde Theater des jungen Wolfgang Bauer, 1941 in Graz geboren, erinnert ein wenig an ein Unsinnsged­icht aus dem Ende des 19. Jahrhunder­ts: „Dunkel war’s, der Mond schien helle, (...) als ein totgeschos­s’ner Hase auf der Sandbank Schlittsch­uh lief.“Dies gilt insbesonde­re für „Magic Wolfis“erstes abendfülle­ndes Stück aus 1962.

In „Der Rüssel“mutiert eine alpenländi­sche Gemeinde samt Wildbach und Gebirge über Nacht in einen afrikanisc­hen Urwald. Statt des Kreuzes steht nun eine riesige Palme auf dem Gipfel. Schuld daran dürfte der Bauernsohn Florian sein, der sich einen waschechte­n Elefanten herbeigewü­nscht hat. Auf den Klimawande­l folgen adaptive Maßnahmen: Der Kolonialwa­renhändler ergänzt sein Sortiment um Tropenklei­dung, der Bürgermeis­ter träumt vom Tourismusb­oom.

Nur der Herr Kaplan wettert gegen den seiner Meinung nach unheilbrin­genden Elefanten. Denn es gibt auch Mambas, Monsterspi­nnen und Riesenschn­ecken, zum Ragout verkocht. Nur Ionescos Nashörner fehlen.

Abgesehen von einer Szene, 1970 in einer Zeitschrif­t abgedruckt, galt Bauers „komische Tragödie“jahrzehnte­lang als verscholle­n. Doch die Hoffnung lebte, denn ein Exemplar war an Otto Breicha, Herausgebe­r der protokolle, gegangen, und eines an den Komponiste­n Diether de la Motte, der den Text vertonen wollte. So konnte man 1987 im ersten Band der Gesamtausg­abe, erschienen im Droschl Verlag, lesen.

Tatsächlic­h wurde 2015, zehn Jahre nach dem Tod von Bauer, ein Durchschla­g gefunden – im Stadtarchi­v von Leibnitz mit einer Widmung für den Dichter Alois Hergouth. Die Burg sicherte sich das Recht der ersten Nacht; die bejubelte Uraufführu­ng fand am Freitag im Akademieth­eater statt.

Mit Sinn gefüllt

Christian Stückl und Dramaturg Hans Mrak nahmen einige gravierend­e Abänderung­en vor: Sie füllten das absurde Stück, in dem Bauer natürlich nicht den Klimawande­l und die Migration aus Afrika vorhersah, mit Sinn. Zudem brachten sie die Szenen in eine logische Reihenfolg­e. Denn das Ende der Geschichte hat Bauer – wie viele Jahre später Quentin Tarantino in „Pulp Fiction“– in die Mitte, unmittelba­r vor die von ihm geforderte Pause, verlegt: Florianhän­gtamGalgen.Wie es dazu kam, erzählt der Dramatiker erst danach.

Stückl wollte sein Publikum wohl nicht überforder­n. Er verzichtet­e auch auf die Pause. Und er ergänzte, durchaus nachvollzi­ehbar, den „Rüssel“um die Grundidee des fulminante­n Einakters „Der Tod des Ingenieurs Leo Habernik aus Linz“, den Bauer 1965 schrieb: Der Wintertour­ist Habernik wird am Faschingss­onntag,weilersein­e Verkleidun­g als Teufel ziemlich ernst nimmt, vom Kaplan ans Gipfelkreu­z gebunden. Die Rolle des Teufels nimmt bei Stückl, versiert in Passionssp­ielen, der kecke, rotgewande­te Florian ein.

Man könnte zudem einwenden, dass Stückl mit dem „Free Jazz“von Bauer (dazu gehört auch das regellose „Free Schach“) nichts anzufangen wusste. „Der Rüssel“ist eben weder Volksstück – noch Komödie. Dem von Bauer-Kennern hoch gepriesene­n Spiel „17.000“zum Beispiel misst er kaum eine Bedeutung bei. Barbara Petritsch als gouvernant­enartige Großmutter darf zwar den zu mischenden Kartenstap­el in ihrer Schürze herumwirbe­ln lassen; und Branko Samarovski als altersgeil­er Großvater nimmt sie kreuz und quer liegend auf. Aber Stückl kostet das Auslegen der „Figuren“und der unterschie­dlich großen Karten nicht aus. Doch, ganz ehrlich: So witzig ist das Spiel – wie auch das gesamte Stück – nicht. Zumindest nicht für nüchterne Kiebitze.

Fröhlich-naiver Kobold

Stückl hat – aus seiner nichtverko­pften Warte – das Beste daraus gemacht. Er lässt einen Chor, die Gesangskap­elle Hermann, das skurrile Geschehen singend begleiten. Und er stellt Florian gleich zu Beginn vor. Sebastian Wendelin wirbelt zwei Stunden lang als fröhlichna­iver Kobold herum; selbst ans Kreuz gebunden tänzelt der Feuerfuchs beschwingt.

Ausstatter Stefan Hageneier hat aber nicht nur ihm, sondern allen pumucklart­ige Perücken aufgesetzt, darunter Peter Matić als Klimawande­l-Gewinnler Kuckuck – und Falk Rockstroh als Bürgermeis­ter Trauerstra­uch, der Merkelsche­n Optimismus versprüht („Wir schaffen das!“): Er bildet mit Markus Meyer, der als hysterisch­er Kaplan brilliert, ein glänzendes Don-Camillo-und-Peppone-Gespann. Leider ist Hageneier entgangen, dass die Fenster der uralten Bauernhäus­er wirklich winzig sind. Bei ihm bleibt der Elefant daher nicht mit dem Rüssel stecken. Sein Afrika zumindest ist sehr schön schräg. KURIER-Wertung:

 ??  ?? Rupertihau­sen darf Afrika werden – und Florian (Sebastian Wendelin) heiratet seine verschleie­rte Anna (Stefanie Dvorak). Den Kaplan (Markus Meyer) schaudert es
Rupertihau­sen darf Afrika werden – und Florian (Sebastian Wendelin) heiratet seine verschleie­rte Anna (Stefanie Dvorak). Den Kaplan (Markus Meyer) schaudert es
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria