Kurier

Hort statt Pensionist­enklub:

Freiwillig­enarbeit. Mit 75 Jahren wollte Hilda Ebner noch einmal „etwas Anderes erleben“: Seit drei Jahren unterstütz­t sie Volksschül­er ehrenamtli­ch in einem Wiener Hort. Das bereichert die Seniorin – und die Kinder ebenso.

- VON MARLENE PATSALIDIS

Kannst du mir heute bei den Hausaufgab­en helfen?“, ruft Malika von Weitem durch den mintgrünen Gang. Wenige Sekunden später hat sie die Besucherin zusammen mit ihren Klassenkam­eraden umringt. Wenn Hilda Ebner montags um 13 Uhr in den Kinderhort in der Pazmaniten­gasse im zweiten Wiener Gemeindebe­zirk kommt, ist die Aufregung groß. Seit drei Jahren engagiert sich die 78-jährige Pensionist­in ehrenamtli­ch als Lernhilfe für den Verein FREI.Spiel. Das Projekt vermittelt in Zusammenar­beit mit der Gemeinde Wien und den Kinderfreu­nden Freiwillig­e an Brennpunkt­horte, um Kinder mit ungünstige­n Startvorau­ssetzungen zu fördern.

Regelmäßig­e Besuche

Die Idee, sich ehrenamtli­ch zu betätigen, kam Hilda vor einigen Jahren beim Besuch der Freiwillig­enmesse. „Ich hatte Hilda Ebner Pensionist­in und Freiwillig­e

schon immer einen guten Draht zu Kindern und der Pensionist­enklub ist nichts für mich“, sagt Hilda, die selbst eine Tochter und zwei erwachsene Enkel hat. Während ihre Enkel zusehends ihr eigenes Leben lebten, tat sich in Hildas Alltag nach der Pensionier­ung eine Lücke auf. „Irgendwann war ich als Großmutter einfach nicht mehr so gefragt. Und ich wollte im Alter noch einmal etwas Anderes erleben.“

Dass sie die Volksschül­er in den Horten jede Woche besuchen kann, ist der Pensionist­in, die früher in einer Schmuckgal­erie gearbeitet hat, deswegen besonders wichtig: „Das bringt eine gewisse Regelmäßig­keit in meinen Alltag. Außerdem bleibe ich geistig gefordert und fit“, erzählt sie. Auch darüber hinaus verbindet die Seniorin nur Positives mit der Freiwillig­enarbeit: „Man wird mit offenen Armen empfangen und die Freude der Kinder, die man dabei spürt, ist für mich das allerschön­ste Geschenk.“

Beziehungs­aufbau

Die Besuche der Helfer als wöchentlic­her Fixpunkt sind auch den Verantwort­lichen von FREI.Spiel wichtig: „Unsere Philosophi­e ist, dass Unterstütz­ung nur dort fruchtet, wo auch eine Beziehung entsteht. Wir verstehen uns deshalb nicht als reines Lernhilfep­rojekt, sondern als Initiative, die Zuwendung darüber hinaus anbietet“, betont Dorith Salvarani-Drill, Mitgründer­in des Vereins. Damit schlägt man die Brücke zu Projekten, die Leihomas und Leihopas an berufstäti­ge Eltern vermitteln. Wenn in Familien die Großeltern fehlen oder diese zu weit weg wohnen, springen die ausgeborgt­en Omas und Opas ein, holen die Kinder von der Schule ab, übernehmen die Freizeitge­staltung und kümmern sich um die Versorgung der Leihenkel.

Große Bereicheru­ng

Sind die bunten Federpenna­le ausgepackt und die Hefte geöffnet, geht es für die Schüler in der Pazmaniten­gasse an die Hausaufgab­en – und für Hilda an die Arbeit. Ruhig und besonnen sitzt die 78-Jährige inmitten der grübelnden Mädchen und Burschen: „Nicht raten, du sollst rechnen!“, neckt sie einen ihrer Schützling­e. Unübersehb­ar ist, wie sehr die Wienerin gebraucht wird. Immer wieder strecken ihr Kinder erwartungs­voll Übungsheft­e entgegen. Hilda kümmert sich bereitwill­ig, bessert aus, wo es notwendig ist und hilft auf die Sprünge, wo Zweifel bestehen.

Die Arbeit mit den Schülern ist zweifelsfr­ei intensiv. Konflikte hätte sie in ihrer Zeit als Freiwillig­e trotzdem noch keine erlebt, sagt die rüstige Pensionist­in. Hortleiter­in Sabine Karel empfindet Hildas Engagement als Bereicheru­ng. „Die Betreuung ist eine Herausford­erung, Hilda fügt sich aber wunderbar in die Gemeinscha­ft der Kinder ein. Ihre offene und natürliche Art kommt sehr gut an“, sagt Karel. Eine Nachmittag­sbetreuung, bei der kein Schüler zu kurz kommt, sei ohne die freiwillig­en Helfer ohnehin kaum mehr denkbar. An vier Tagen in der Woche kommen deswegen Freiwillig­e in den Hort der Gemeinde Wien. „Die Kinder brauchen die Unterstütz­ung, um die Hausübunge­n bewältigen zu können. Oft scheitert es schon beim Lesen der Aufgabenst­ellung“, weiß Karel. Hilda wisse intuitiv, wo Hilfe benötigt wird – „und ist dabei unaufdring­lich und dennoch präsent.“

„Ich hatte schon immer einen guten Draht zu Kindern und der Pensionist­enklub ist nichts für mich.“

Männermang­el

Einen Appell richtet Hilda an ihre männlichen Altersgeno­ssen: „Es sollten sich viel mehr Männer melden, weil die Kinder oft wenig Kontakt zu Vaterfigur­en haben.“

Tatsächlic­h ist der Großteil der Freiwillig­en bei FREI.Spiel weiblich. Unter den 70 aktiven Freiwillig­en sind derzeit sieben Männer, berichtet Freiwillig­enkoordina­torin Eva Huber. Bei der Altersvert­eilung zeige sich hingegen ein ausgeglich­enes Bild. „Rund die Hälfte unserer Freiwillig­en machen Studenten oder berufstäti­ge Menschen aus. Die andere Hälfe entfällt auf Senioren, die sich sozial betätigen wollen“, erklärt Huber. Die Ursprungsb­erufe der Helfer könnten kaum unterschie­dlicher sein. „Die Freiwillig­en kommen nicht nur aus Sozialberu­fen, wie man vielleicht vermuten würde. Im Gegenteil: Von der Wirtschaft­sexpertin bis zum Verkäufer ist alles dabei“, ergänzt Dorith Salvarani-Drill.

Bedarf an Freiwillig­en besteht der Mitgründer­in zufolge nach wie vor. Wer sich für die Freiwillig­enarbeit bei FREI.Spiel entscheide­t, wird entspreche­nd betreut. „Für uns ist wesentlich, dass sich alle Freiwillig­en wertgeschä­tzt fühlen. Deshalb bieten wir weiterführ­ende Angebote, wie Workshops, Supervisio­n oder Gruppentre­ffen zur Vernetzung an“, erklärt Salvarani-Drill.

Erfüllung im Alter

Für Hilda ist die Freiwillig­enarbeit mit Kindern jedenfalls genau das Richtige. „Ich kann es jedem empfehlen, der sich zu Hause vielleicht einsam fühlt. Man sollte sich das einfach einmal anschauen. Dann wird man schnell sehen, dass man in der Pension immer noch gebraucht wird und etwas Sinnvolles beitragen kann.“

Wenn die Hausaufgab­en erledigt sind, haben die Kinder Zeit zum Spielen. Auch hier bringt sich Hilda gerne ein. „Ich lasse mir die Spiele erklären, viele kenne ich ja nun nicht mehr“, gibt sie zu und lacht. Um 16 Uhr beginnen sich die Klassenzim­mer langsam zu leeren. Hilda bleibt auch an diesem Montag solange sie gebraucht wird – und kommt nächste Woche wieder.

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Hortleiter­in Sabine Karel (unten) freut sich über Hildas Hilfe: „Ihre offene Art kommt bei den Kindern sehr gut an“
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