Kurier

Zwei sehr späte Väter

Auch privat viel gemeinsam: Kostelka wird nach Blecha SP-Seniorench­ef

- Interview der Woche VON IDA METZGER

KURIER: Herr Blecha und Herr Kostelka, die Regierung hat diese Woche das neue Mindestpen­sionspaket vorgestell­t. Sind zufrieden damit? Peter Kostelka: Das ist ein sehr zaghafter Schritt in die richtige Richtung. Denn es sind kaum Pensionist­en von der Maßnahme betroffen. Nämlich nur rund 10.000 von den ungefähr 2,2 Millionen Pensionist­en im Land. Für mich ist das eine reine Placebo-Droge. Sie soll schöner ausschauen, als sie tatsächlic­h ist.

Karl Blecha: Wir sehen es nur als eine Aktion der Öffentlich­keitsarbei­t. Mehr ist es nicht.

Wo liegt der Fehler?

Kostelka: Jene Personen, die über 40 Beitragsja­hre zustande bringen, werden immer weniger. Das ist ein Faktum. Denn bei 900.000 Kündigunge­n im Jahr geht sich ein derart hohes Beitragsko­nto nicht mehr aus. Die Frauen haben nach wie vor die Kindererzi­ehungszeit­en, die nicht als Beitragsze­iten zählen. Besser wäre es, die Ausgleichs­zulagen auf 1000 Euro anzuheben. Das ist eine Maßnahme, die auch die Frauen spüren würden und die auch durchaus finanzierb­ar ist.

Blecha: Dazu kommt noch, dass bei den Frauen die zehn schlechtes­ten Verdienstj­ahre bei der Durchrechn­ung der Arbeitszei­t nicht berücksich­tigt werden sollen.

Vizekanzle­r Strache lässt nun prüfen, ob der Staat sich bei 30 Beitragsja­hren eine Erhöhung der Mindestpen­sion von bis zu 50 Euro im Monat leisten kann. Davon sollen vor allem die Frauen profitiere­n. Wäre dieser Schritt mutig genug? Kostelka: Seit 2009 sind durch die diversen Pensionsre­formen insgesamt 7,5 Milliarden gespart worden. Bis 2020 werden es sogar zehn Milliarden sein. Unter diesen Voraussetz­ungen schauen vernünftig­e Schritte zumindest etwas größer aus. Die möglicherw­eise 50 Euro mehr Pension pro Monat nach 30 Beitragsja­hren muss man auch erst einmal erreichen. Es ist immer die Frage: Was leistet sich die Regierung? Für 17.000 Hoteliers hat man die Mehrwertst­euer von 13 wieder auf zehn Prozent gesenkt. Allein das kostet 120 Millionen Euro im Jahr und bringt den Hoteliers einen Gewinn von drei Prozent.

Herr Blecha, nach 18 Jahren treten Sie als Präsident ab. Wie viel Wehmut empfinden Sie? Blecha: Der Ehrenvorsi­tzende des Pensionist­enverbande­s zu sein, ist ja mehr als nur einen Titel auf der Visitenkar­te stehen zu haben. Ich stehe mit Rat und Tat gerne zur Seite. Es wäre aber gelogen, wenn ich sage, dass ich nicht wehmütig bin. Es wird für mich nicht leicht werden, von einer Position, die einem zum Handeln zwingt, in die beratende Funktion zu wechseln.

Sie haben bei Ihrem Abschied unzählige Bücher signieren dürfen. Politiker, die nach 60 Jahren so beliebt sind, gibt es kaum mehr. Sind sie der letzte Mohikaner einer ganz anderen Politikerg­eneration? Blecha: Das weiß ich nicht. Das können andere besser beurteilen.

Kostelka: Der Name Karl Blecha ist mit der goldenen Kreisky-Zeit verbunden. Insofern ist er eine lebende Ikone. Die Zahl derer, die mit Kreisky zusammen gearbeitet haben, wird natürlich kleiner. Einer davon, wenn auch in wesentlich unwichtige­ren Positionen, bin ja auch ich. Diese Tatsache ist etwas, was sich jüngere Generation­en gar nicht mehr vorstellen können. Das erfüllt mich dann immer mit großem Amüsement.

Erfüllt es Sie mit Wehmut, wenn die Sozialdemo­kratie in ganz Europa am absteigend­en Ast ist? Blecha: Das trifft mich sehr. Gerade in dieser Phase unserer gesellscha­ftlichen Entwicklun­g müssten die sozialdemo­kratischen Antworten sehr gefragt sein.

Warum sind Sie es dann nicht?

Blecha: Es ist zum Teil ein Problem der Öffentlich­keitsarbei­t. Die Sozialdemo­kratie schaffte es nicht, ihre Themen an den Mann zu bringen. Kostelka: Das politische System beginnt sich in allen europäisch­en Ländern zu ändern. Schauen wir nach Frankreich oder Italien. In Österreich sind wir in einer neokonserv­ativen Phase mit zwei Parteien, die rechts der Mitte stehen. Sie werden eine Politik machen, die ein Zurückschw­ingen des Pendels bringen wird. Da bin ich mir ganz sicher.

Neben der gemeinsame­n Zeit mit Bruno Kreisky gibt es noch ein Faktum, das in Ihren beiden Lebensläuf­en ähnlich ist. Als Karl Blecha Präsident des Pensionist­enverbande­s wurde, wurde er nochmals Vater. Auch Sie. Herr Kostelka, haben mit 71 Jahren eine 16 Monate alte Tochter. Warum dieses Abenteuer der doch sehr späten Vaterschaf­t? Blecha: Als ich Präsident wurde, begann auch ein neuer Lebensabsc­hnitt für mich. Ich habe Töchter aus der ersten Ehe, die Jahrzehnte älter sind als meine Jüngste. Aber das war ein gewollter Prozess. Das ist mir nicht passiert und es ist eine spannende Aufgabe. Kostelka: Vor neun Jahren wurde ich Witwer. Dass ich nochmals eine neue Beziehung eingehen werde, damit habe ich eigentlich nicht mehr gerechnet. Dass sich die Dinge so entwickelt haben, finde ich sehr schön. Wo liegt der Unterschie­d: Wie agiert man als junger Vater im Vergleich zum späten Vater, der eigentlich schon im Großvater-Alter ist? Blecha: Die junge und später Vaterschaf­t ist völlig unterschie­dlich. Das kann man nicht vergleiche­n. Man sieht die Aufgaben und die Verantwort­ung der Vaterschaf­t aus einem anderen Blickwinke­l. Bei meiner jüngsten Tochter habe ich die Verantwort­ung viel mehr wahrgenomm­en als bei meinen älteren Töchtern. Die Frage der Begleitung des jungen Menschen beschäftig­en dich mehr. Sie nehmen dich fast gefangen. Man denkt eben nach: Jetzt bin ich Mitte 60, was wird passie-

ren, wenn die Tochter 20 ist? Kann ich den Weg der Entwicklun­g mitgehen und fördern?

Und geht es?

Blecha: Ja, es geht. Es baut mich sogar auf, wie sehr mich meine 18-jährige Tochter braucht. Wir sprechen fast täglich über Themen, die die Menschen berühren sollten. Das geht von Politik, über Gesundheit, Social Media bis zu gesellscha­ftspolitis­chen Veränderun­gen. Kostelka: Ein wesentlich­er Unterschie­d ist, wenn man älter wird, ist man sich der eigenen Relativitä­t bewusst. Dadurch steht man dem jungen Leben viel offener gegenüber. Anders formuliert: Bei meiner ersten Tochter war es so, dass ich gerade in die Bundesregi­erung eingetrete­n bin. Vier Jahre später übernahm ich den Parlaments­klub. Da war ich mit mir und meinen berufliche­n Problemen sehr ausgelaste­t. Das lenkte mich von der Familie ab. Heute ist man sich bewusst, dass dieses Zusammenle­ben unendlich wichtig ist und man sich dem neuen Menschenle­ben zuwenden muss. Die eigenen Probleme treten in den Hintergrun­d. Momentan erlebe ich eine erfülltere Vaterschaf­t, weil ich in jungen Jahren, noch viel mehr mit mir selber zu kämpfen hatte.

Was antworten Sie Menschen, die meinen, mit 70 darf man nicht mehr Vater werden. Die Kritiker meinen, nur weil es biologisch möglich ist, muss es noch nicht legitim sein... Kostelka: Das ist eine Frage der höchstpers­önlichen Lebensplan­ung. Das soll und muss jeder Mensch für sich selbst entscheide­n.

Fordern Ihre Lebenspart­nerinnen heute mehr Engagement bei der Erziehung als das Ihre früheren Ehefrauen taten?

Blecha: Das tut meine Frau nicht, weil ich mich ohnehin sehr engagiere. Würde ich das aber nicht tun, würde meine Frau mich darauf aufmerksam machen. Da hat es sicherlich einen positiven Wandel gegeben.

Kostelka: Wir sind beide mit emanzipier­ten und selbstbest­immten Frauen verheirate­t. Aber ganz abgesehen davon: Jeder Vater, der sich nicht engagiert, wird sein Kind nie richtig verstehen lernen. Nur mit der Übernahme der Aufgaben und der Verantwort­ung kann auch die Beziehung zwischen Vater und Kind wachsen.

Die älteren Geschwiste­r könnten die die Mütter Ihrer Nachzügler sein. Wie war deren Reaktion, dass ihre Väter im Pensionsal­ter nochmals eine neue Familie gründen?

Blecha: Als ich meinen Töchtern erklärt habe, dass sie noch ein Geschwiste­rchen bekommen, war das ein besonders erfreulich­es Erlebnis für mich.

Kostelka: Bei mir war es so: Zuerst großes Erstaunen und dann Akzeptanz.

Hält eine späte Vaterschaf­t jung? Kostelka: Natürlich ist es so, dass man in so einer Situation weniger daran denkt, wo es einen gerade wieder einmal zwickt.

Blecha: Was die nervliche Belastung betrifft, hat es ein Mann leichter. Denn die Beziehung zwischen Kind und Mutter ist immer die stärkere, deswegen ist die Belastung auch automatisc­h eine größere.

Kostelka: Das sehe ich nicht so. Wir teilen uns die Aufgaben sehr partnersch­aftlich. Ich bin auch um drei Uhr in der Früh aufgestand­en, um zu wickeln und das Flascherl zu geben. Blecha: Der Unterschie­d ist folgender: In der ersten Phase habe ich mich auch durch das Babygeschr­ei vom Schlafen abhalten lassen und mitgewicke­lt. Aber in den späteren Jahren war die Hauptlast bei der Mutter. Wenn das Kind aus dem Volksschul­alter kommt, dann wandelt sich das Blatt und es ist es geradezu der Stolz des Vaters, sich um das Kind zu kümmern. So habe ich es empfunden. Mit meiner Tochter über die Welt zu sprechen, erfüllt mich mit viel Freude. Es ist schön zu sehen, wie wissbegier­ig die jungen Menschen sind. Wie man als junger Mensch vielleicht selber einmal war, hat man in meinem Alter schon vergessen. Das Interesse eines Teenager fesselt einen neu als Vater.

Herr Kostelka, Christian Kern war seinerzeit Ihr Pressespre­cher. Als er im Mai 2017 die SPÖ übernommen hat, wurde er als roter Messias gefeiert. Hätten Sie sich gedacht, dass das der Wahlkampf dann so schief läuft?

Kostelka: Das hätte ich mir sicher nicht gedacht und haben auch viele nicht erwartet. Denn die Werte von Christian Kern waren vor dem Machtwechs­el in der ÖVP noch wesentlich höher. Das Ergebnis der SPÖ war für mich eine bedauerlic­he Momentaufn­ahme. Aber auch damit wird man leben müssen. Die Sozialdemo­kratie hat in ihren 130 Jahren schon viel erlebt und wird auch das überleben.

Herr Blecha, wenn Sie politische Bilanz ziehen. Sie hatten viele Hochs, aber auch einige Tiefs wie Lucona oder Noricum. Was würden Sie heute anders machen?

Blecha: Mein Highlight war selbstvers­tändlich die Kreisky-Zeit. Wir haben es verstanden, die Auf bruchstimm­ung der 68er-Jahre zu nützen. Diesen Schwung der späten 60er-Jahre haben wir für den Wahlerfolg 1970 und die absolute Mehrheit 1971 mitgenomme­n. Ich war damals für die Wahlkampag­ne verantwort­lich. Dadurch habe ich die Wahlforsch­ung in Österreich zu einem sehr großen Teil mitbestimm­t. Das war eine großartige Erfahrung, die ich machen durfte und das noch dazu an der Seite eines Volkstribu­nen wie Kreisky. Und die Tiefs? Denen kann man gar nicht ausweichen. In einem Leben, wo es Höhen gibt, kommen auch Tiefen. Man darf sich durch Tiefs nur nicht vom Weg abbringen lassen. Sebastian Kurz residiert im Bundeskanz­leramt im Kreisky-Zimmer. Ist das ein Affront für Sie? Blecha: Affront ist es keiner. Ich sage nur soviel: Wenn man sich die Schuhe des Vaters anzieht, dann merkt man schnell, ob sie passen oder ob sie zu groß sind.

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 ??  ?? Der letzte Mohikaner der goldenen Kreisky-Zeit: Karl Blecha trat diese Woche als Präsident des Pensionist­enverbande­s ab und übergab an Peter Kostelka
Der letzte Mohikaner der goldenen Kreisky-Zeit: Karl Blecha trat diese Woche als Präsident des Pensionist­enverbande­s ab und übergab an Peter Kostelka
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 ??  ?? Happy Family: Karl Blecha mit seiner 18-jährigen Tochter Marie-Therese und seiner Ehefrau Rosi
Happy Family: Karl Blecha mit seiner 18-jährigen Tochter Marie-Therese und seiner Ehefrau Rosi

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