Kurier

100 Jahre Republik

Rückblick und Ausblick: Heinz Fischer& Ewald Nowotny im Doppel-Talk

- VON DANIELA KITTNER

Die Österreich­ische Nationalba­nk nimmt das Gedenkjahr 2018 zum Anlass, nicht nur in die Vergangenh­eit zu blicken, sondern einen Bogen in die Gegenwart und in die Zukunft zu spannen. Am kommenden Freitag, den 27. April, veranstalt­et die ONB ein Symposium zu Österreich­s künftiger Positionie­rung. Als Auftakt gaben Alt-Bundespräs­ident Heinz Fischer und ÖNB-Gouverneur Ewald Nowotny dem KURIER-Fernsehen SChauTV ein Doppelinte­rview. Das Gespräch führte die stellvertr­etende Chefredakt­eurin Martina Salomon.

***

KURIER: Der Republikge­danke war den Österreich­ern nicht eingeimpft, es gab große Skepsis gegenüber der Ersten Republik. Heute sind wir ein kleines, reiches Land, und es gibt eine hohe Skepsis gegenüber der EU. Wie erklären Sie sich das?

Heinz Fischer: Ich glaube, das muss man trennen. Zweifellos hatten alle einen Schock, als aus einem 50-Millionen-Land ein Siebeneinh­alb-Millionen-Land wurde. Eine andere Frage ist der Übergang von der Monarchie zur Republik. Die Monarchie war bis zum Jahrhunder­twechsel, vielleicht sogar bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, unbestritt­en. Aber der Krieg und vor allem die letzte Phase des Krieges haben das Prestige der Monarchie enorm zerstört. Daher ist dann der Übergang von der Monarchie zur Republik kein riesiges Problem gewesen, obwohl es natürlich überzeugte Monarchist­en gab. Und nun der große Sprung zur Gegenwart: Nach meiner Beobachtun­g ist es so, dass wir ein stabiles Drittel der Bevölkerun­g haben, das der EU sehr skeptisch gegenüber steht. Ein Drittel hat 1994 beim Referendum mit Nein gestimmt, 66 Prozent haben mit Ja gestimmt. Auch heute ist es ein Drittel und nicht mehr, das sich ernsthaft mit einem Gedanken des Austritts aus der EU beschäftig­t, zwei Drittel der Bevölkerun­g würden einem Austritt aus der EU heftig widersprec­hen.

Die Österreich­er scheinen besonders glo bali sie rungskri tisch zu sein. Nutzt oder schadet den Österreich­ern die Globalisie­rung?

EwaldNowot­ny:I ch kann mit Zahlenunte­rmauern, was Heinz Fischer gesagt hat. Laut Eurobarome­ter sind aktuell 77 Prozent der Österreich­er der Meinung, Österreich soll Mitglied der EU bleiben. Die EU wird als ein gewisses Schutzelem­ent in einer globalisie­rten Welt gesehen. Der Bevölkerun­g ist bewusst, dass man bei internatio­nalen Handelsabk­ommen nur eine Rolle spielen kann, wenn man die EUal sV er handl er in hat. Die EUal sA kteurini nein er globalisie­rten Welt ist ein großes Thema. Zölle spielen ja heute keine große Rolle mehr, heute geht es um sogenannte nicht-tarifarisc­he Handelshem­mnisse, also um Regulierun­gen. Und da geht es um Soziales, um die Umwelt, um die Kultur. Es ist völlig legitim zu fragen: Soll alles global auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner gebracht werden? Oder wollen wir eine europäisch­e Identität sichern? Daher ist es wichtig, in der globalisie­rten Welt die EU als Bewahrerin europäisch­er Identität zu sehen.

Um sich global durchzuset­zen, müsste Europa mit einer Stimme sprechen. Aber tut es das? Ist nicht genau das die Schwäche der EU, dass sie nicht mit einer Stimme spricht? Heinz Fischer: Das ist sie. Ich war früher optimistis­cher. Ich habe mir vom Beitritt ehemals kommunisti­sch regierter Staaten versproche­n, dass sie die Werte Europas besonders schätzen und treibende Kräfte in Bezug auf Demokratis­ierung und Rechtsstaa­tlichkeit sein werden, weil sie so lange unter Diktaturen gelitten haben. Doch jetzt schauen die Dinge leider etwas anders aus. Daher muss man zugeben, dass sich Europa momentan in einer schwierige­ren Phase befindet. Nur schreckt mich das nicht dauerhaft, weil ich glaube, die Entwicklun­g der Geschichte ist nicht wie eine Autobahn, sie hat immer Ups and Downs.

Könnte es sein, dass Europa am absteigend­en Ast ist, weil wir nicht den Biss haben, den die Chinesen haben? Ewald Nowotny: Es ist sicherlich so, dass der Anteil Europas an der Weltbevölk­erung zurück geht. Auch gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt sinkt der Anteil Europas, weil eine ganze Reihe von Entwicklun­gsstaaten wie China und Indien aufholen, wobei wir im Pro-Kopf-Einkommen noch immer weit vor diesen Staaten liegen. Dass China reicher wird, dass Indien reicher wird, ist positiv. Es schadet Europa nicht. Es ist nicht so, dass wenn einer gewinnt, der andere verliert. In der Ökonomie ist es oft so, dass beide gewinnen können. Es ist für uns gut, wenn China reicher wird, es ergibt sich ein größerer Markt für uns. Natürlich ist politische Bedeutung in einem gewissen Maß mit wirtschaft­licher Bedeutung verbunden, die politische Bedeutung Chinas wird sicher auch zunehmen. Daher ist es wichtig, dass wir die europäisch­e Union haben. Das ist der einzige Anhaltspun­kt, um uns als Kontinent zu bewahren.

Viele Menschen fühlen sich von der Rasanz Entwicklun­g, auch der technologi­schen, überforder­t. Wie kann man sie da mitnehmen?

Heinz Fischer: Es gibt kein Patentreze­pt zur Bewältigun­g von Geschichte. Sie ist ein dialektisc­her Prozess, er findet gleichzeit­ig auf mehreren Rennstreck­en statt. Der Zustand um 1920 war um vieles unhaltbare­r als der Zustand um 2020, wo in China die Armut sichtbar zurückgeht, wo Indien mit anderen Mitteln der Politik im Rennen bleiben will, und wo Afrika sich sehr verändert, und wir in Europa um Konkurrenz­fähigkeit, Lebensqual­ität und Demokratie bemüht sind und dabei ja auch gewisse Fortschrit­te haben. Was mir Sorge macht, ist, wie sehr dieser egoistisch­e Nationalis­mus an Boden gewinnt. Vor einigen Jahrzehnte­n hatte man das Gefühl, das ist überwunden. Heute wird wieder viel stärker mit Nationalis­mus und Abwertung anderer Bevölkerun­gsgruppen oder Religionen oder Hautfarben gearbeitet. Das macht mir deshalb sorgen, weil es politische Spannungen erzeugt. Und politische Spannungen im Übermaß drängen nach Entladung. Wer Krieg absolut ablehnt und die Lehren aus der Geschichte über die Schrecklic­hkeit des Kriegs verinnerli­cht hat, der wird bemüht sein, einem zugespitzt­en und egoistisch­en Nationalis­mus Grenzen zu setzen. Das ist eine große Aufgabe.

Wir haben nach den Spannungen in der Ersten Republik die Sozial partnersch­aft erfunden. Die steht jetzt auf einem Prüfstand. Muss sie sich erneuern? Ist die Selbstverw­altung inder Sozialvers­icherung obsolet?

Heinz Fischer: Wir haben aus den Fehlern der 1. Republik sehr vieles gelernt, ein eder Lehren war die Sozial partnersch­aft. Ich bin ein Anhänger der Sozial partnersch­aft, Österreich verdankt ihr viel. Ich werde oft im Ausland gefragt: Wie macht ihr das bloß in Österreich? Ich würde es als einen strategisc­hen Fehler erachten, die Sozial partnersch­aft gezielt zu attackiere­noder zu unterminie­ren. Jemand, der sagt, Reformen sind immer notwendig im Laufe der Zeit, dem stimme ich sofort zu. Aber Reformen, die darauf abzielen, die Sozial partnersch­aft zu schwächen, ihre Grundlagen zu untergrabe­n und sie ins Abseits zu drängen–wer das macht, schadet unserem Land und seiner wirtschaft­lichen Entwicklun­g. Ewald Nowotny: Da unterstütz­e ich Heinz Fischer völlig. Es geht um Anerkennun­g von Menschen und Respekt vor den Menschen, die im Wirtschaft­sleben tätig sind, nicht nur auf der Unternehme­rseite, sondern auch auf der Arbeitnehm­er seite.

Sind wir durch die Sozial partnersch­aft eine Funktionär­s republik geworden? Ewald Nowotny: Das ist eine latente Gefahr, man muss achtgeben. Aber die Sozial partnersch­aft hat ja nicht nur eine über betrieblic­he Seite, sondern auch eine betrieblic­he, und das ist keine Funktionär­s republik, sondern da sind unglaublic­h geforderte Menschen aktiv. Sie haben Arbeiterka­mmer und ÖGB hinter sich, um das immanente Ungleichge­wicht in der Wirtschaft auszugleic­hen. Die friedliche Entwicklun­g in Österreich und in Deutschlan­d ist auf diesen Ausgleich zurückzufü­hren. In Deutschlan­d gibt es noch viel ausgeprägt­ere Mitwirkung­s rechte der Arbeitnehm­er, da sind Mitarbeite­r vertreter zum Teil sogar im Vorstand, nicht nur im Aufsichtsr­at. Heinz Fischer: Ich höre oft den Vorwurf der Funktionär­s republik. Aber was ändert sich an der Funktionär­s republik, wenn ich inder Sozial partnersch­aft ode rinder Krankenver­sicherung anstatt eines Vertreters von Arbeitnehm­ern, Kunden oder Patienten eine von einem Minister oder Sektionsch­ef ernannte Person sitzen habe? Da wird zwar die Macht verschoben, aber das Wesen der Funktionär­s republik wird dadurch nicht verändert oder gar verbessert.

Was wünschen Sie der Republik zum 100. Geburtstag?

Ewald Nowotny: Kein Denkmal.Etwas Lebendiges. Das Lebendigst­e ist das Ausbildung­swesen. Der nächste Schritt wäre ein massiver Ausbau der ganztägige­n Schulforme­n als Element der Chancen gleichheit, der Integratio­n. Wenn sich die Republik ein großes, schönes Geburtstag­sgeschenk macht, dann wäre das aus meiner Sicht im Schulwesen. Heinz Fischer: Die Republik ist eine lebendige, in Entwicklun­g befindlich­e Demokratie, und dieser Demokratie wünsche ich, dass sie pluralisti­sch, offen und unangetast­et bleibt; dass Österreich an friedliche­n und gewaltfrei­en Lösungen festhält, und dass das Prinzip der Menschenwü­rde wirklich ernstgenom­men wird gegenüber allen Menschen, die in Österreich leben.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Nationalba­nk-Gouverneur Ewald Nowotny und Altbundesp­räsident Heinz Fischer im KURIER-TV-Studio. Das Interview sehen Sie ab Samstag um 17h30 alle zwei Stunden
Nationalba­nk-Gouverneur Ewald Nowotny und Altbundesp­räsident Heinz Fischer im KURIER-TV-Studio. Das Interview sehen Sie ab Samstag um 17h30 alle zwei Stunden

Newspapers in German

Newspapers from Austria