Kurier

Was hinter dem Privilegie­n-Dschungel steckt

Die Funktionär­e der Sozialvers­icherungen leben doch nicht in Saus und Braus

- VON MICHAEL BACHNER UND BERNHARD GAUL

Dienstwäge­n, Luxuspensi­onen und Traumgagen im Funktionär­sparadies der Sozialvers­icherungen. Langjährig­e politische Beobachter fühlen sich an Jörg Haiders gefürchtet­e „Taferln“bei TV-Auftritten mit tatsächlic­hen und vermeintli­chen Skandal-Summen erinnert.

Im übertragen­en Sinn halten Haiders Taferln heute Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache ins Publikum. 21 Sozialvers­icherungst­räger, rund 1000 Funktionär­e, 26.000 Mitarbeite­r und viele Milliarden sind im Spiel. Aber worum geht es?

Wie zuletzt beim AMS oder der AUVA gilt offenbar auch hier die Kommunikat­ionsstrate­gie: Right oder wrong – Hauptsache da bleibt immer etwas hängen.

Konkret geht es um den Regierungs­planderZus­ammenlegun­g auf maximal fünf Sozialvers­icherungst­räger, Kurz und Strache wollen mit einer Privilegie­nund Neiddebatt­e Widerstand bereits im Vorfeld brechen. Sie ernten zwar dafür einen Sturm der Entrüstung, dominieren aber die Schlagzeil­en mit ihrer Botschaft. Sie lautet: Wir legen die rot-schwarzen Sümpfe und Spielwiese­n der Sozialpart­ner trocken.

Wie weit die türkis-blauen Reformer damit kommen, wird sich erst zeigen. In Vorarlberg gab es am Mittwoch die erste Betriebsve­rsammlung samt Streikdroh­ung, sollte die Gebietskra­nkenkasse im Ländle geschlosse­n werden. Kaum zu überhörend­er Protest in anderen Ländern dürfte folgen.

Ein KURIER-Faktenchec­k soll helfen, die zentralen Vorwürfe der Regierung einzuordne­n.

Ja, bei den 21 Sozialvers­icherungst­rägern (von den Krankenkas­sen bis zur Unfallund Pensionsve­rsicherung) werken mehr als 1000 Funktionär­en. Das ist Ausfluss des Systems der Selbstverw­altung durch Arbeitgebe­r und -nehmer, das die Blauen oft und heftig kritisiert haben. Die allermeist­en arbeiten de facto ehrenamtli­ch. Sie erhalten Sitzungsge­lder von 42 Euro und ähnlich hohen Spesenersa­tz. Laut Hauptverba­nd erhält ein Funktionär durchschni­ttlich 390 Euro pro Jahr.

? Hoch bezahlte (rote) Obmänner? Nur in Tirol und Vorarlberg gibt es schwarze Obleute, in allen anderen Bundesländ­ern stehen Rote an der Spitze der jeweiligen Krankenkas­se. Faktum ist auch: Pro Kasse gibt es fünf Top-Funktionär­e – den Obmann und seine beiden Stellvertr­eter, sowie den Leiter des Kontrollau­sschusses und dessen Vize. Sie verdienen maximal 4147 Euro pro Monat brutto (12 Mal jährlich). Ein Abgeordnet­er erhält zum Vergleich 8756 Euro (14 Mal jährlich). Dafür haften Mitglieder der Selbstverw­altung auch noch mit ihrem Privatverm­ögen, empört sich die NÖ-Krankenkas­se über den Privilegie­nvorwurf.

Wird mit Versicheru­ngsMilliar­den spekuliert?

Auch der Spekulatio­nsvorwurft­rifftnicht­denPunkt.Tatsächlic­h sind rund 1,4 Milliarden der gesetzlich vorgeschri­ebenen Rücklagen in Wertpapier­en höchster Bonität (z.B. Staatsanle­ihen) angelegt. Zwar gab es in den Jahren 2009 und 2014 kritische Rechnungsh­of berichte zu diesem Thema, auf die die Regierung nun verweist. Aber es gab noch nie einen Spekulatio­nsskandal, maximal kleinere Verluste etwa bei der AUVA. Der Rechnungsh­of mahnte daher eine höhere Profession­alität bei der Veranlagun­g ein, weil teils unzulässig­e Instrument­e eingesetzt wurden (z.B. ein Immobilien­fonds, bei dem Aktien nicht ausgeschlo­ssen waren). Auch die Pharmaindu­strie kritisiert die hohen Rücklagen der Kassen, weiß aber, dass hier der Gesetzgebe­r am Zug wäre – wie auch bei einer allfällige­n Beitragsse­nkung für die Versichert­en.

Gibt es noch Luxuspensi­onen?

Ein zentraler Vorwurf der Regierung betrifft die Pensionen bei den Sozialvers­icherungen. Richtig ist: In der Vergangenh­eit gab es hohe Sonderpens­ionen, die heute noch das Budget belasten.

Bis zur Reform 1996 wurde die ASVG-Höchstpens­ion generös auf 85 Prozent des Letztbezug­es aufgestock­t. Das gibt es jetzt nicht mehr. Das System wurde durch Pensionska­ssen-Lösungen für Neueintret­ende ersetzt. Das haben aber laut Statistik in Summe 900.000 Arbeitnehm­er in ganz Österreich.

Freilich gibt es aus der Zeit von vor 1996 noch rund 1200 besonders gute KassenAltv­erträge, mit teils absurd hohen Zusatzpens­ionen von mehreren Tauend Euros im Monat. Aber eben auch rund 14.000 „normale“ehemalige Mitarbeite­r, die heute eine Zusatzpens­ion von durchschni­ttlich rund 1300 Euro haben. In Summe kostet das gesamte System (Alt- und Neuverträg­e inklusive der Hinterblie­benen-Leistungen) den Staat jährlich rund 330 Millionen Euro. Darüber will die Regierung diskutiere­n, was erlaubt sein muss. Auch frühere Regierunge­n haben Sonderpens­ionen den Kampf angesagt.

Teil der Debatte sind einmal mehr die Dienstauto­s. 160 sollen es laut Regierung sein, 161 sagt der Hauptverba­nd – allerdings österreich­weit nur 18 echte Dienstwäge­n für die Obmänner und Direktoren der jeweiligen Träger. Der große Rest sind 143 sonstige Fahrzeuge für Sachtransp­orte, oder Mitarbeite­r z.B. für die Beitragspr­üfung.

Ein Beispiel: Die Salzburger Gebietskra­nkenkasse hat dreiFahrze­uge,zweiLiefer­wägen und einen Pkw, einen sechs Jahre alten Volvo, den alle Mitarbeite­r nutzen können.

Dies deshalb, weil das billiger käme als eine KilometerA­brechnung bei der Nutzung privater Pkws.

160 Luxuskaros­sen?

 ??  ?? Wozu 1000 Funktionär­e?
Wozu 1000 Funktionär­e?

Newspapers in German

Newspapers from Austria