„Viererkette“gegen Erdoğan?
Politologe. Nur bei oppositionellem Schulterschluss Chance bei Wahlen
„Wenn die Opposition eine Chance gegen (den türkischen Staatschef Recep Tayyip) Erdoğan haben will, muss sie eine Viererkette bilden.“Das sagt der renommierte Politologe Hüseyin Bagci, der in Ankara lehrt, und spielt auf ein Zweckbündnis von vier, allerdings sehr unterschiedlichen Gruppierungen an. Gespräche in diese Richtung werden vor den vorgezogenen Präsidentschaftsund Parlamentswahlen am 24. Juni bereits seit Tagen geführt, Ergebnis zeitigten sie bisher keines.
Die Einzige, die sich bisher aus der Deckung gewagt hat, ist die Parteichefin der erst im Vorjahr gegründeten konservativen „Guten Partei“(IYI), Meral Aksener. Ihr werden gute Chancen eingeräumt, Erdoğan gefährden zu können. Zwischen der IYI und der größten, parlamentarischen Oppositionspartei CHP gab es schon intensive Kontakte. Der Vorsitzende der linksnationalen Fraktion, Kemal Kilicdaroglu, scheint bereit zu sein, Aksener den Vortritt zu lassen.
Spekulationen um Gül
Als Dritte im Bunde führt Bagci gegenüber dem KURIER die islamistische Saadet-Partei an. Doch hier beginnt es, sich zu spießen. Denn gerüchteweise könnte der ehemalige Präsident und Premier Abdullah Gül an der Saadet-Spitze ins Rennen gehen. Bisher hat sich das politisches Schwergewicht, das mit Erdoğan einst die noch immer regierende AKP gegründet und sich später mit seinem Weggefährten überworfen hatte, allerdings stets zurückgehalten.
Sollte er jetzt doch in den Ring steigen, so Bagci, wäre das problematisch. „Er kommt aus demselben Feld wie Erdoğan, und viele akzeptieren das nicht.“Tatsächlich haben CHP- und IYI-Repräsentanten gestern signalisiert, einer Kandidatur Güls abzulehnen. Noch ein Argument bringt der Politologe: „Ist eine Stichwahl notwendig (wenn kein Kandidat 50 Prozent plus eine Stimme schafft), wird Erdoğan alles mögliche unternehmen, um den zweiten Urnengang zu gewinnen. Die Opposition müsste bereits im ersten Anlauf alle Kräfte bündeln, um vielleicht selbst auf die absolute Mehrheit zu kommen.“
Dazu sei auch die Unterstützung der Kurden erforderlich. Deren Partei, die HDP als letztes Glied der Viererkette, sei gleichsam „gezwungen, diese Entscheidung zu treffen. Damit würde die Gruppe freilich an den Grenzen ihrer politischen Belastbarkeit kratzen. Denn Meral Aksener kommt ursprünglich von der ultra-nationalistischen MHP, die jetzt eine Allianz mit der AKP eingegangen ist und extrem antikurdisch auftritt. Und auch die CHP hatte in der Vergangenheit wenig mit kurdischen Autonomierechten am Hut. In der HDP erwägt man daher, den im Gefängnis sitzenden Vorsitzenden Selahattin Demirtas aufzustellen.