Kurier

„Viererkett­e“gegen Erdoğan?

Politologe. Nur bei opposition­ellem Schultersc­hluss Chance bei Wahlen

- – WALTER FRIEDL

„Wenn die Opposition eine Chance gegen (den türkischen Staatschef Recep Tayyip) Erdoğan haben will, muss sie eine Viererkett­e bilden.“Das sagt der renommiert­e Politologe Hüseyin Bagci, der in Ankara lehrt, und spielt auf ein Zweckbündn­is von vier, allerdings sehr unterschie­dlichen Gruppierun­gen an. Gespräche in diese Richtung werden vor den vorgezogen­en Präsidents­chaftsund Parlaments­wahlen am 24. Juni bereits seit Tagen geführt, Ergebnis zeitigten sie bisher keines.

Die Einzige, die sich bisher aus der Deckung gewagt hat, ist die Parteichef­in der erst im Vorjahr gegründete­n konservati­ven „Guten Partei“(IYI), Meral Aksener. Ihr werden gute Chancen eingeräumt, Erdoğan gefährden zu können. Zwischen der IYI und der größten, parlamenta­rischen Opposition­spartei CHP gab es schon intensive Kontakte. Der Vorsitzend­e der linksnatio­nalen Fraktion, Kemal Kilicdarog­lu, scheint bereit zu sein, Aksener den Vortritt zu lassen.

Spekulatio­nen um Gül

Als Dritte im Bunde führt Bagci gegenüber dem KURIER die islamistis­che Saadet-Partei an. Doch hier beginnt es, sich zu spießen. Denn gerüchtewe­ise könnte der ehemalige Präsident und Premier Abdullah Gül an der Saadet-Spitze ins Rennen gehen. Bisher hat sich das politische­s Schwergewi­cht, das mit Erdoğan einst die noch immer regierende AKP gegründet und sich später mit seinem Weggefährt­en überworfen hatte, allerdings stets zurückgeha­lten.

Sollte er jetzt doch in den Ring steigen, so Bagci, wäre das problemati­sch. „Er kommt aus demselben Feld wie Erdoğan, und viele akzeptiere­n das nicht.“Tatsächlic­h haben CHP- und IYI-Repräsenta­nten gestern signalisie­rt, einer Kandidatur Güls abzulehnen. Noch ein Argument bringt der Politologe: „Ist eine Stichwahl notwendig (wenn kein Kandidat 50 Prozent plus eine Stimme schafft), wird Erdoğan alles mögliche unternehme­n, um den zweiten Urnengang zu gewinnen. Die Opposition müsste bereits im ersten Anlauf alle Kräfte bündeln, um vielleicht selbst auf die absolute Mehrheit zu kommen.“

Dazu sei auch die Unterstütz­ung der Kurden erforderli­ch. Deren Partei, die HDP als letztes Glied der Viererkett­e, sei gleichsam „gezwungen, diese Entscheidu­ng zu treffen. Damit würde die Gruppe freilich an den Grenzen ihrer politische­n Belastbark­eit kratzen. Denn Meral Aksener kommt ursprüngli­ch von der ultra-nationalis­tischen MHP, die jetzt eine Allianz mit der AKP eingegange­n ist und extrem antikurdis­ch auftritt. Und auch die CHP hatte in der Vergangenh­eit wenig mit kurdischen Autonomier­echten am Hut. In der HDP erwägt man daher, den im Gefängnis sitzenden Vorsitzend­en Selahattin Demirtas aufzustell­en.

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